Seite:Die Gartenlaube (1879) 848.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Das Werk gedieh zu Ende. Nichte und Tante begleiteten die Gräfin an die kleine Stiege, die in’s Wasser führte. Schon war die Dame zwei Stufen hinunter, als Angela rief:

„Erlauben Sie, Signora! Bleiben Sie stehen! Eine Locke quillt hervor; ich stecke sie Ihnen geschwind noch fest.“

Arglos ließ die Polin sich den Dienst leisten, diesmal ohne ihn durch den Spiegel zu controliren. Angela warf einen flüchtigen Blick voll Schalkheit in das feuchte Element und heftete an der Haarverkleidung zwei Schnürchen mit kleinen spitzen Angelhaken ein. Dann drängte sie:

„Nun rasch, Signora, rasch, daß Sie sich nicht erkälten! Treten Sie nur fest auf; der Grund ist flach; ich werde Ihnen mit dem Finger zeigen, wie Sie gehen müssen, damit Sie von keiner Sturzwelle getroffen werden. Hier, mehr nach rechts!“

Die Badende folgte vertrauensvoll der Anweisung, doch nach einigen Schritten fragte sie aus der Tiefe hinauf: „Kommt man dort nicht in’s Schilf?“

„Das ist kein Schilf, Signora; das nennt man Seetang; er thut Ihnen nichts – nur muthig weiter, immer rechts gehalten, rechts! Sie können sich auch dreist geradeaus wagen, bis zu den eingerammten Pflöcken dort!“

Während das Mädchen so durch Wort und Wink die schöne Frau leitete, die sich schnell sicher auf dem Meeresboden fühlte, stand Antonio di Fabbris regungslos, einem Säulenheiligen gleich, und verwandte kein Auge von den schwellenden Armen, die bald in der freien Luft Schaumperlen von den feinen Fingern schüttelten, bald unter dem Wasser Schwimmbewegungen übten.

Wer das Meer kennt, sieht einer Welle schon aus der Entfernung an, ob sie matt verlaufen oder, ihres Gleichen an sich ziehend, zur schäumenden Sturzwelle werden wird, und Angela kannte ihre Adria ausgezeichnet. Sie hatte eine Minute geschwiegen, die Gräfin sich kokett wiegen und biegen lassen und mitunter seitwärts nach Antonio geschielt; jetzt rief sie: „Links, Signora, links!“

Ludovica that, wie ihr geheißen; im nächsten Augenblicke jedoch ward sie von sprühendem Gischt überschüttet, verlor das Gleichgewicht, sank rücklings, wähnte, die Wucht des Wassers erdrücke sie, ward aber von derselben Macht, die sie niedergeworfen, ebenso schnell wieder aufgerichtet und vorwärts geschleudert, wobei ein jäher Schmerz durch ihre Stirn fuhr, als würde ihr der Kopf in zwei Hälften aus einander gerissen.

Die Empfindung beruhte nicht auf bloßer Täuschung, denn – das wunderbare Haar hatte bis auf einige unbedeutende Ueberbleibsel die Schläfen und den Nacken schmählich verlassen und sich sammt der Kappe, deren Obhut es anvertraut gewesen, kraft der Angelhaken an den Seetang geklammert.

Angela stieß einen Schreckenslaut aus und rief alle Apostel an; ihre Tante schlug entsetzt die Hände zusammen: „Signora, Signora!“ Die Gräfin lehnte an der Treppe, erschöpft nach Athem ringend; sie hörte erst, als Tante und Nichte von Neuem Lärm erhoben, tastete in den Nacken und war nahe daran, abermals umzusinken. Hülfreich glitt Angela die Stufen hinab, ergriff die Wankende am Arm und stützte sie beim Emporsteigen. Ein giftiger Blick war der Lohn für ihren Beistand. Aber kein lautes Wort des Vorwurfs traf das Mädchen; die Gräfin knirschte nur hörbar mit den Zähnen, und Angela sah so betreten, so unschuldig-dumm aus, daß Ludovica nicht im Entferntesten eine absichtlich gestellte Falle wittern konnte.

Schweigend eilte die Lockenberaubte in ihre Zelle. Hier erst fragte Angela, die ihr mit der Tante auf den Fersen geblieben, mit verschüchterter Stimme:

„Sollen wie Ihr Haar auffischen, Signora, und an der Sonne trocknen? Es wird vielleicht wieder brauchbar.“

Die Gräfin machte nur eine heftig verneinende Geste und herrschte ihre perplex dareinschauende Dienerin in ihrer den Italienerinnen unverständlichen Sprache an, die Hände zu rühren und sie anzukleiden. Die Alte winkte der Badewärterin wie dem Mädchen, sich zu entfernen, und schloß die Thür. Draußen verständigten sich Tante und Nichte, leise kichernd, durch Zeichen; dann lief Angela den Brettergang hinauf nach der Terrasse. Sie suchte den Lieutenant – er war fort. Als sie unverrichteter Sache zurückkehrte, hörte sie abermals in der Zelle der Gräfin fremdländische Laute und schloß aus der Tonfarbe, daß die Polin zornig schalt und schimpfte. Die Tante hatte unterdessen einen kleinen Nachen neben der Wassertreppe gelöst, ihn an die Stelle gestoßen, wo die goldenen Locken nach wie vor in den grünen Armen des Seetangs halb über, halb unter der Meeresfläche tanzten, nur nicht mehr gekräuselt, sondern in lange Strähnen zerfasert, und mit einem Bootshaken arbeitete die gute Frau an der Befreiung des gefangenen Kunstwerks, welches bisher im Glauben der Welt als Naturproduct gegolten. Der Zustand, in welchem es endlich der rettenden Stange folgte, war trostlos; nichtsdestoweniger griff Angela begierig darnach und schwenkte es triumphirend, wie ein siegreicher Krieger in der Schlacht die zerfetzte Fahne des Feindes. Vor der Zelle erwartete sie damit das Heraustreten der entthronten Haarkönigin und hielt es ihr mit einem stummen Knicks entgegen.

Die Gräfin trug den Kopf verbunden wie eine Bauerfrau, die an Zahnweh leidet; Angela und ihre Tante hätten beinahe laut aufgelacht. Die Reste ihres zerstörten Schmucks riß Ludovica mit stummem Ungestüm an sich und schleuderte sie ihrer Dienerin zu, die das kostbare Gut mit zitternden Fingern unter ihren Shawl stopfte. Der Badewärterin ein Trinkgeld zu verabreichen, vergaß die Dame, und während die Italiener sonst nicht blöde sind, für die kleinste Dienstleistung, oft sogar für die bloße Antwort auf eine Frage, Entschädigung in klingender Münze zu fordern, wich Angela’s Tante doch hier einmal von der Landessitte ab und ließ es geschehen, daß die Polin ohne Erleichterung ihrer Börse wie ohne mündlichen Abschied das Seebad dröhnenden Schrittes verließ.

(Schluß folgt.)




Weihnachts-Erinnerungen aus Brasilien.


Weihnachten! Nach fast vierzehnjähriger Abwesenheit von der Heimath ist es mir wieder vergönnt, die traulichsten Erinnerungen an die goldenen Tage der Kindheit durch eine echt deutsche Weihnachtsfeier aufzufrischen.

Drüben im Lande der Palmen feiert man auch Weihnachten, aber das ist nur ein schwacher Abglanz der Weihnachtslust, welche hier von Jung und Alt empfunden wird. In buntem Reigen ziehen in diesen Tagen wieder und wieder jene Weihnachtsabende an mir vorüber, wie ich sie in jenen vierzehn Jahren verlebt. Ich will Einiges davon aufzeichnen; vielleicht, daß sein fremd anmuthendes Farbenspiel auch Andere unterhält.


* *
*


Es war im Jahre 1866, und ich mit ein paar Freunden auf dem Wege nach Porto Alegre, wo ich die Weihnachtsferien verleben wollte. Nach mehrtägigem Ritt durch Urwald und Camp (Grasebene) befanden wir uns glücklich in Rio Grande do Sul, just am 24. December.

Rio Grande do Sul ist eine langweilige, rings von Dünensand umgebene Hafenstadt. Nur dem Umstande, daß sie Hafenstadt ist, verdankt sie es, daß sich viele Europäer, besonders aber viele Deutsche, daselbst niedergelassen haben. Wo sich aber Deutsche niederlassen, da gründen sie eine „Germania“, das heißt: einen deutschen Club, in welchem deutsche Zeitungen gelesen und deutsche Biere und Weine getrunken werden. Auch Rio Grande do Sul besitzt seine „Germania“, und zwar eine ganz vorzügliche, was Speisen und Getränke anbelangt. Dorthin schlenderte ich nach meiner Ankunft, um mich an einem kühlen Glase Erlanger zu erquicken. In tiefer Andacht führte ich mein Seidel zum Munde, als ich den mir befreundeten Dr. E., Director der deutschen Schule, eintreten sah.

„Sie kommen mir gerade recht,“ sagte er, „wir wollten heute Abend eine Weihnachtsbescheerung in der Schule veranstalten, und nun hat der Tischler noch nicht einmal den Baum gemacht. Ich weiß nicht, wie ich fertig werden soll. Sie müssen helfen.“

Dazu war ich gern bereit. Der Tischler wohnte nebenan, und wir gingen zunächst zu ihm. Der Baum, den er fabricirte, war fast vollendet; er leimte soeben in den Stamm die obersten

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 848. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_848.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)