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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Berlins wieder, im Arbeitskittel am Ambos stehend und den Hammer schwingend; er machte hier das für den Besuch des Gewerbe-Instituts erforderliche praktische Lehrjahr durch. Sein unter dem Takte des Dreischlags entstandenes Gedicht „In der Schmiede“ gewährt uns einen Einblick in die Schmerzen des siebenzehnjährigen Jünglings, in dessen Brust der künstlerische Schaffenstrieb immer stärker erwachte und der mit jedem Tage immer brennender den Zwiespalt dieses inneren Berufs mit dem äußern empfand:

„Komm Ruhe, komm Sonntag!
So tönt’s auch im Herzen
Beim Hämmern der Schmerzen:
Komm Sonntag, komm Sonntag!“

Sein künstlerisches Gefühl offenbarte sich nach zwei Richtungen, nach der malerischen, wie bei dem einen Ohm, und nach der poetischen, wie bei dem andern. In der anfänglichen Unklarheit über sich selbst glaubte er sich zum Maler bestimmt, und nachdem er alle Hindernisse besiegt, die sich ihm entgegenstellten, siedelte er im Jahre 1858 aus den Hörsälen des Gewerbe-Instituts in die Akademie der Künste über. Bald aber gelangte er zu der Ueberzeugung, daß Stift und Pinsel nicht das Material seien, womit er die Empfindungen seiner Seele aussprechen könne, und daß sich ihm die Welt, in der er lebe, erst Abends öffne mit dem Eintritt in das niedrige Söllerzimmer, das er unter tausend Entbehrungen bewohnte. Hier, in diesem engen Raume, strömten seine Gedanken in wohllautenden Versen aus, und schon in den ersten Anfängen zeigte es sich, daß er nicht blos ein lyrischer, sondern vorwiegend auch ein politscher Dichter sei; sein erstes Auftreten gehörte der Politik.

In Preußen war mit der Uebernahme der Regentschaft durch den Prinzen Wilhelm, unsern jetzigen Kaiser, eine „neue Aera“ angebrochen. In dem frischen Hauche, der von Berlin ausging, athmete ganz Deutschland wieder auf. Im Jahre 1859 erließ in Hannover Rudolph von Bennigsen mit einer Anzahl gleichgesinnter Männer im Hinblick auf die Gefahren, von welchen damals Deutschland von außen bedroht war, eine Erklärung, daß der alte Bund Deutschland nicht zu sichern vermöge und einer starken, von einem Parlament umgebenen Centralgewalt mit preußischer Spitze weichen müsse. Von dieser Erklärung, welche damals so viele Herzen entzündete, wurde auch unser junger zwanzigjähriger Dichter heftig bewegt, und von seinem Dachstübchen aus sandte er an Bennigsen seine Zustimmung in drei Gedichten: „Ein deutsches Parlament“, „Jetzt oder nie“ und „Mein Deutschland, mächt’ge Eiche“. Bennigsen ließ diese Gedichte, ohne daß Scherenberg darum wußte, in der „Zeitung für Norddeutschland“ abdrucken, von wo aus sie ihre Runde durch die ganze deutsche Presse machten und in so mancher Brust ihren Widerhall fanden. Wie in den vierziger Jahren Prutz dem Worte Constitution, so hatte jetzt Scherenberg dem Parlament das poetische Bürgerrecht erobert. Und wie jeder wirkliche Dichter ein Seher ist, so war es auch Scherenberg in dem dritten der Gedichte. Was er damals schrieb:

„Mein Deutschland, mächt’ge Eiche!
Verspottet oft, geschmäht!
Getrost, dein Lenz, der reiche,
Er kommt, kommt er auch spät.

Und Frühling wird dir’s werden,
Wie er noch nie gekannt!
Weitschattend rings auf Erden
Hin über alles Land –“

ist seitdem herrlich in Erfüllung gegangen.

Ermuthigt durch den großen Erfolg, der seinen Namen überallhin bekannt gemacht hatte, ließ Scherenberg im folgenden Jahre unter dem Titel „Aus tiefstem Herzen“ die erste Sammlung seiner Gedichte erscheinen, und zwar in Berlin bei Heinrich Schindler, der dem jungen Poeten für die Herausgabe freundlich eine hülfreiche Hand bot. Die politische Abtheilung der Gedichte war Rudolph von Bennigsen zugeeignet. Wir geben aus einem Briefe Bennigsen’s, worin er die Widmung annahm, folgende Stelle wieder, die uns sowohl für den Führer der Nationalpartei wie für unsern Dichter charakteristisch erscheint; sie lautet:

„Unsere junge Welt leidet an einem solchen Ueberfluß an Pessimismus, an Frivolität oder Sentimentalität, daß es erfrischend ist, zu sehen, wie ein junger Dichter einmal wieder Gefühl hat für unsere politische Schmach, und doch Kraft hat, festzuhalten an unseren nationalen Hoffnungen, aus denen wir Alle in dem jetzigen Jammer Begeisterung und Thatkraft schöpfen müssen.“

So jung das Leben Scherenberg’s war, so hatte ihm doch der Kampf nicht blos um das irdische, sondern ebenso sehr um das geistige Dasein eine Reihe von qualvollen Stunden und bitteren Erfahrungen gebracht, und es ist deshalb nicht zu verwundern, daß in den meisten Gedichten der Sammlung die Stimmung von einem elegischen Grundton beherrscht wird.

Bald darauf, schon 1861, erschien der Cyklus „Verbannt“, eine lyrisch-epische Dichtung, in welcher in wunderbarer Weise alle Saiten der Scherenberg’schen Leier zusammen klingen: Politik, Patriotismus, Freiheitsgefühl, dazu ein tiefes Seelen- und Gemüthsleben. Das Gedicht erzählt die Schicksale eines Kämpfers für die Freiheit Deutschlands, der mit den Waffen in der Hand ergriffen und zum Tode verurtheilt worden war, sich aber durch eine glückliche Flucht gerettet hatte und mit Weib und Kind jenseits des Meeres eine neue Heimath sucht. Alles, was ihm dort begegnet, wie er mit einer Schaar deutscher Genossen, die er findet, südwärts zieht, unter den Palmen sich eine Hütte baut und mit ungewohnter Hand den Pflug regiert, wie sein Knabe heranwächst, sein Weib hinsiecht und stirbt, ist mit rührender Innigkeit geschildert und um so ergreifender, als sich die Sprache Scherenberg’s in ihrer Einfachheit und Natürlichkeit von allem gemachten und unwahren Pathos fern hält. Der Schluß ist versöhnend. Zu keiner Stunde hatte den Helden des Gedichtes die Sehnsucht nach dem Vaterlande verlassen; da kommt die Nachricht, daß es von äußeren Feinden bedroht sei, und nun gilt für ihn kein Besinnen: er sendet den eigenen Sohn nach Deutschland, damit er im nationalen Kampfe mitkämpfe. Als dieser nach langer Trennung zurückkehrt, findet er seinen Vater sterbend, aber er kann ihm die doppelte Jubelbotschaft künden von der Abwehr des äußeren Feindes, von der Aufrichtung der Freiheit im Innern, und daß ihm selbst, dem Verbannten, die Rückkehr bedingungslos gestattet sei.

So sehr der Stoff auch in der Zeit wurzelt, so hat der Dichter doch verstanden, ihn von allem Vergänglichen, das der Zeit anhaftet, loszulösen und in die ideale Sphäre der Kunst zu erheben; dadurch ist er seiner Wirkung zu allen Zeiten gewiß. Beim Erscheinen der Dichtung hat man vielfach geglaubt, in dem Ausgange ein Compliment für die „neue Aera“ und die damals vom Könige Wilhelm bei seiner Thronbesteigung erlassene Amnestie erblicken zu müssen. Ernst Scherenberg hat nie solche Bücklinge gemacht. Zu jener Zeit lagen auch für ihn die großen nationalen Ziele der Bismarck’schen Politik noch verschleiert, und er befand sich in den ersten Reihen der Opposition. Unmittelbar nach der Auflösung des Abgeordnetenhauses, im März 1862, veröffentlichte die Berliner „Volkszeitung“ von ihm das Gedicht:

„Stürme des Frühlings, brechet herein!“

das in wahrhaft zündender Weise die Gedanken aussprach, von welchen damals die große Mehrheit des preußischen Volkes bewegt wurde.

In seinen Lebensbedingungen ganz auf sich angewiesen, trat Scherenberg im nämlichen Jahre in Verbindung mit der Modenzeitung „Victoria“ und folgte 1864 einem Rufe Westermann’s nach Braunschweig, wo er sich, neben buchhändlerischer Beschäftigung, an der Leitung des artistischen Theils der „Monatshefte“ betheiligte. Er verließ diese Stellung 1865, um, ebenfalls in Braunschweig, die Gründung einer größeren politischen Zeitung zu übernehmen (des „Braunschweiger Tageblattes“), die zur Vertretung der wahrhaft nationalen Interessen bestimmt war; sie erschien und erscheint noch im Verlage des Braunschweiger Hofbuchhändlers Friedrich Wagner. Scherenberg setzte alle Kraft für das neue Werk ein und zeigte, daß er neben der Phantasie des Dichters mit dem klaren Blick des Politikers begabt sei. Er hatte die Irrwege einer großen Partei erkannt, die auch in Braunschweig zahlreiche Anhänger besaß und Hand in Hand ging mit welfischem Particularismus und großdeutscher Verschwommenheit; ihm war angesichts der in Schleswig-Holstein Oesterreich und dem Bundestage gegenüber entwickelten energischen preußischen Politik das Verständniß aufgegangen für die großen Ziele Bismarcks, und er hatte es darum zu erdulden, daß man ihn höhnend dessen Söldling nannte; aber er harrte aus und ging schließlich als Sieger aus dem Kampfe hervor.

Noch nach ganz anderer Seite war der Aufenthalt in Braunschweig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 822. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_822.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)