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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Uebrigens schien über dem Geschlechte Derer von der Lippe ein ganz besonderes Verhängniß zu schweben; 1227 wurde Gerhard’s Bruder, Bischof Otto, erschlagen, 1228 wurde sein Bruder Dietrich, welcher Probst in Deventer war, von den Bauern scalpirt, und 1229 fiel sein Bruder Hermann gegen die Stedinger.

Gerhard brütete über Racheplänen – aber er sah ein, daß er noch zu schwach war, sie auszuführen. Er mußte sich nach mächtigerer Hülfe umsehen, und das „Wo“ – nun das war eben Rom. Stehen wir doch hier inmitten jenes Ringens zwischen kaiserlicher und päpstlicher Macht. Das „Wie“ konnte ebenso wenig zweifelhaft sein: es war jene schreckliche Zeit, wo solche Bestien im Priestergewand, wie der (für seine Schandthaten heilig gesprochene) Conrad von Marburg, mit ihrer Rotte Korah in majorem Dei gloriam sengend und brennend, mordend, Weiber schändend und plündernd unser armes Vaterland durchzogen, wo unter Häresie nicht mehr, wie früher, ein wirkliches Abfallen vom Glauben verstanden wurde, vielmehr die bloße Bethätigung des Selbsterhaltungstriebes gegenüber einer Gewaltthat der Kirche genügte, um sofort als verdammter Ketzer mit Feuer und Schwert verfolgt zu werden. Wenn die Bauern, deren Langmuth von der kirchlichen Gewalt auf eine zu harte Probe gestellt wurde, Handlungen begangen hätten, welche man als wirkliche Schändung des Heiligen bezeichnen konnte – nun, so gab das doch immer noch einen scheinbaren Grund für die Kirche ab, sie als Kirchenschänder und Ketzer hinzustellen. Aber gegen die Stedinger lag nichts dergleichen vor; ihre angeblichen Missetaten, wie das Erschlagen eines Priesters durch einen Bauer, weil jener, mit dem Beichtgroschen von dessen Frau unzufrieden, ihr denselben statt der Hostie in den Mund gesteckt habe, oder gar die blödsinnigen Berichte über einen Teufelscultus bei den Stedingern, sind Erfindungen – hatten sie doch noch vor Kurzem sogar das Kreuz genommen und sich mit den Friesen, ihren Nachbarn, an einem Zuge in’s gelobte Land betheiligt. Ihre einzige Ketzerei war – ihr Freiheitssinn.

Der Erzbischof wußte Rath, einen Weg, den Andere schon mit den besten Resultaten beschritten hatten. Waren die Stedinger keine gräulichen Ketzer, nun so machte man sie dazu, damit war die erste Position erreicht – die Erlaubniß des Papstes, das Kreuz zu predigen, war die zweite – als Drittes blieb dann noch immer die Aufgabe, das Kreuzheer in Wirklichkeit zusammenzutrommeln.

Gerhard berief also zunächst im März 1230 eine Diöcesansynode nach Bremen, um durch diese die Verketzerung und den Bannfluch über die Stedinger aussprechen zu lassen. Der Mangel an Kirchen in den Marschen wurde als Beweis mangelnder Religiosität, Aberglaube, wie er noch heute bei uns auf dem Lande zu Hause ist, wurde als heidnische Ketzerei ausgelegt, Zerstörungen von Klöstern und Kirchen und Mißhandlungen von Geistlichen während des Krieges wurden als Sacrilege hingestellt, auch allerhand dazu gelogen, und gestützt hierauf beschloß die Diöcesansynode, eine Versammlung von Ja-Brüdern, welche die verschiedenen Gründe hatten, dem Erzbischof nicht zuwider zu sein, genau das, was er wollte.

Nun galt es weiter vorzugehen und die Intriguen bei der Curie zum Zweck des Kreuzzuges zu beginnen. Zur Vorbereitung gründete der Erzbischof bei Bremen ein Cistercienserinnenkloster, gewann die Dominicaner für sich, die sich in Norddeutschland eines großen Ansehens erfreuten, und wiegelte auch die weltlichen Kreise auf, sodaß einstimmig von allen Seiten Klagen über die Stedinger in Rom ertönten. Nächstdem begann er seine Agitation bei der Curie selbst, allerdings zunächst mit wenig Erfolg. Erst in der Mitte des Jahres 1231 erließ Gregor der Neunte an den Prior der Dominicaner in Bremen eine Bulle, in welcher er, gestützt auf die schon bei der Diöcesansynode vorgebrachten Gründe, den Religionskrieg gegen die Stedinger erlaubte. Obschon die Dominicaner die rechten Leute für die Agitation waren, fand diese doch wenig Anklang bei den hauptsächlich in Frage kommenden Grafen; die einen wollten die Macht des Erzbischofs nicht ausdehnen helfen, die anderen, den Stedingern zunächst wohnenden hatten einen noch triftigeren Grund, nämlich – die Furcht vor diesen.

Die Sache ging nicht recht vom Flecke, und der Papst selbst ordnete noch eine neue Untersuchung über die Ketzerei der Stedinger an. Das Verhalten des sonst die Ketzerverfolgungen begünstigenden Papstes gestattet den Schluß, daß derselbe von der völligen Unhaltbarkeit der Stedinger-Anklage sehr wohl Kenntniß hatte und so lange ziemlich lau vorging, wie der Widerstand der Bauern nicht ein bedenkliches Moment für ihn selbst wurde.

Inzwischen war wieder einmal geschehen, was so oft sich in der Geschichte wiederholt: Macht hatte der Macht die Hand gereicht, und die Schwachen mußten die Kosten tragen – Kaiser und Papst hatten Frieden geschlossen, und als Preis des Bündnisses wurden gemeinsam schauderhafte Ketzergesetze erlassen, mit specieller Nutzanwendung auch auf die Stedinger, welche zugleich in die Reichsacht erklärt wurden. Und so hielt denn auch am 29. October 1232 Gerhard die päpstliche Bulle in der Hand, welche ihm gestattete, das Kreuz gegen die Stedinger zu predigen, „die,“ wie es in jener Bulle heißt, „nicht Gott, nicht Menschen scheuend, die Lehre unserer heiligen Mutter, der Kirche, für Tand achten, der Kirche Freiheit antasten und, ihrer Blutgier fröhnend, wie an wilder Thiere Brüsten genährt, keines Geschlechtes schonen und keines Alters. Mehr noch – Blut wie Wasser vergießend, zerreißen sie, gleich Raubthieren, Priester wie Mönche – verfahren mit dem Leibe des Herrn abscheulicher, als der Mund aussprechen darf, begehren von bösen Geistern Auskunft, bereiten von ihnen wächserne Bilder, erholen sich Raths von wahrsagerischen Frauen in schändlichen Zusammenkünften und treiben andere Werke der Verruchtheit etc.“ – eine Schilderung, die so wenig den armen Stedingern entsprach, wie sie vortrefflich auf die wüste Priesterwirthschaft jener Tage paßte. Der Bulle fehlte jedoch ein wesentliches Ingrediens: der volle Ablaß für die Kreuzträger, ein sehr wichtiger Umstand. Die Kreuzpredigt, namentlich durch die Bettelmönche, begann aber dennoch, und es lief Volks genug zusammen.

Die Stedinger, sobald sie von ihrer Verketzerung erfahren hatten, schritten vor allen Dingen dazu, die wenigen Punkte, welche nicht durch Deiche und Moore vor einem Angriff geschützt waren, zu befestigen; namentlich da, wo die Marsch an die Dünen stieß, lag kein Moor vor; nur der Hemmelskamper Wald bot eine Schutzwehr. Hier wurde eine Befestigung angelegt, ein tiefer Graben gezogen, den die Ochtum mit Wasser speiste, die Brücke über die letztere, auf welche die Heerstraße von Bremen zuführte, wurde verschanzt, und noch anderweite kleinere Deckungen wurden hergestellt. So bietet sich uns jetzt ein dramatisches Bild voll scharfer Contraste – hier die stille friedliche Marsch mit den freundlichen Höfen, den grünen Wiesen und flüsternden Schilfgräben, an der Grenzmark waffenerprobte Männer, in trotziger Ruhe des Angriffs harrend, entschlossen, ihre Heimath und ihre Freiheit bis zum letzten Athemzuge zu vertheidigen – draußen dagegen ringsum im Lande eine wüste Agitation fanatischer Kuttenträger, Lüge und Verleumdung, Haß und Fanatismus, Intrigue und Raublust, von machtgierigen Priestern zu Bundesgenossen erwählt!

Schon war, wie oben gesagt, das Kreuzheer zusammengezogen: da fuhren die Bauern dazwischen, brachen hinter ihren Verschanzungen hervor, zerstörten den halbfertigen Bau des Schlüttenberges, griffen die Oldenburger Veste an und hätten sie genommen, wenn nicht Verrätherei in ihrer Mitte dies gehindert hätte. Die Kreuzzügler richteten nichts aus – der Feldzug war verloren, und die Stedinger blieben die Herren des Augenblicks. Nunmehr aber griff der Papst selbst in die Hetzerei ein, indem er sowohl die zunächst betheiligten Bischöfe zum Handeln trieb, wie ganz besonders die Stadt Bremen auf Seite der Hierarchie zu bringen suchte, denn die Gefahr lag nahe, daß diese schließlich als Bundesgenossin der Stedinger auftreten möchte. Gerhard sah sich genöthigt, den Bremern weitgehende Zugeständnisse zu machen, wodurch die wichtige Bundesgenossenschaft der Stadt für die Stedinger verloren ging.

Die Kreuzpredigt hatte sich über ganz Norddeutschland verbreitet und neue Schaaren dem Kreuzheere zugeführt, das nun zunächst gegen Oststedingen losbrach, und zwar zu Lande und zu Wasser. Das langgestreckte, schmale, zur Vertheidigung höchst ungünstig gelegene Oststedingen, von zwei Seiten angegriffen, konnte nicht lange Widerstand leisten – nicht nur die Männer, sondern auch die Weiber und Kinder wurden niedergemacht; es wurde gesengt und geplündert, und – wie hätten die Priester sich den pikanten Genuß entgehen lassen können! – die Gefangenen wurden lebendig verbrannt. Oststedingen war vernichtet.

Nachdem inzwischen der Papst, dem der Widerstand der verketzerten Stedinger höchst bedenklich zu werden begann, einen vollen Ablaß für alle Kreuzfahrer gespendet hatte, welcher sie mit den Kreuzfahrern in das gelobte Land auf eine Stufe stellte, bereitete

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