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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

aus der spätern Zeit der Bebauung, welche erzählt, daß die Weststedinger (ungefähr das jetzige Stedingen) zu den Oststedingern (jetzige Osterstade) ohne Schiffe, unter Benutzung von Brettern und Stegen über die Weser, gelangen konnten.

Wenige Ansiedelungen abgerechnet, auf welche uralte Baulichkeiten und Knüppeldämme hindeuten, führte erst die Völkerbewegung des zwölften Jahrhunderts in Deutschland auch diesem Bruchlande der Weser die Colonisten zu, die es zur Heimath eines tüchtigen thatkräftigen Volkes umgestalten sollten. Es war ein Mischvolk, das sich hier zusammenfand, theils aus eigener Initative heranziehend, theils durch Unternehmer herbeigerufen – Friesen, Holländer, Sachsen, Westfalen, sowie Bewohner der umliegenden Geest – ein kräftiges, freies Bauernelement, welches der jungen Colonie eine gedeihliche Entwickelung versprochen hätte, wären nicht die politischen Verhältnisse der umliegenden Geest gewesen, die sich nicht wie Sumpf und Moor überwinden ließen und der jungen Colonie verhängnißvoll werden sollten.

Die Kirche des heiligen Gallus zu Süderbrok.

Auf das neucultivirte oder zu cultivirende Land erhoben nicht nur anwohnende Grafen, namentlich die von Oldenburg, die angrenzenden Klöster und Stifter, sondern vor Allem auch der Erzbischof von Bremen Anspruch, welcher das fragliche Bruchland von dem Grafen Udo dem Zweiten von Stade erworben hatte und, als er die Bebauung vorschreiten sah, der Sicherheit halber sich diesen Erwerb noch vom Kaiser Friedrich dem Ersten bestätigen ließ. In Folge der sich kreuzenden Interessen zeigten auch die grundrechtlichen Verhältnisse ein buntes Gemisch: Hollerbauern, Lehnpflichtige, Meier, Ministerialen, Alles war vertreten, den Kern bildete aber ein freier Bauernstand. Anfänglich hatten diese Rechtsverhältnisse keine sonderliche praktische Bedeutung; das Erzstift erhob einen geringen Zehnten und begann erst Rechte geltend zu machen, als die Macht der Stedinger zu einem Factor herangewachsen war, mit dem es bei seinen auf Macht und Gewinn gerichteten Plänen rechnen mußte.

Die Grafen von Oldenburg waren es zuerst, welche im Anfang des dreizehnten Jahrhunderts[WS 1] die Stedinger zwangen, den Pflug mit dem Schwert zu vertauschen. Diese Grafen besaßen an der Westgrenze Stedingens zwei feste Plätze und wollten dieselben jedenfalls als Operationsbasis für ein allmähliches Vordringen in die Marschen benutzen. Ihre Besatzung benahm sich gegen die Bauern übermüthig und gewaltthätig, raubte Frauen und erpreßte Lösegeld; da hielten die Bauern einen Thing ab und beschlossen, beide Burgen zu gleicher Zeit zu überrumpeln. Der Sturm gelang; die Besatzung wurde niedergemacht; Wälle und Mauern wurden geschleift. Der Erzbischof Hartwig unternahm einen Zug gegen die Stedinger, unterbrach ihn aber sofort, als man ihm die rückständigen Zehnten und Zinsen auszahlte.

Die Stedinger hatten ihre Bedeutung erkennen gelernt, und die nun folgende Zeit sollte das Ihre dazu beitragen, ihre Schlagfertigkeit, ihren Einfluß zu erhöhen und vor Allem auch das Bewußtsein der Zusammengehörigkeit der West- und Ost-Stedinger schärfer auszuprägen. Die Kämpfe zwischen Welf und Waibling nämlich zwangen die Stedinger zum ersten Male, Antheil an den politischen Verhältnissen und Ereignissen im Reiche zu nehmen, und hierbei finden wir dieselben immer auf der Seite, welche das Recht für sich hatte, erst auf Seiten des Königthums, sowohl gegen die Fürsten wie gegen die Hierarchie, dann auf der reichstreuen Seite. Ihr erstes Auftreten war glänzend genug, indem sie dem staufischen Erzbischof Waldemar, der nach der Ermordung Philipp’s durch den Wittelsbacher sogar von den eigenen staufischen Ministerialen im Stiche gelassen wurde, ihre Unterstützung angedeihen ließen, Stade stürmten und die mit den Welfen verbündeten Dänen hinauswarfen. Von da ab finden wir die Stedinger mit wechselndem Kriegsglücke vollständig in die Kämpfe der Parteien verwickelt, bald dem Vertreter ihrer Partei den Rücken deckend, bald selbstthätig vorgehend, bald auch lediglich durch ihre Macht einen Druck ausübend. Denn sie

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Jahrhunders
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 804. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_804.jpg&oldid=- (Version vom 18.12.2021)