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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

entlehnten, riefen in dem Herzen fast jedes Bürgers der Vereinigten Staaten eine aufrichtige Sympathie und die stolze Erinnerung an seinen eigenen Unabhängigkeitskampf hervor. Wer möchte es tadeln, wenn Monroe’s Amtsnachfolger, der edle und freisinnige Präsident John Quincy Adams, und dessen genialer Minister Henry Clay die auswärtige Politik ihres „amerikanischen Systems“ auf einen Staatenbund sämmtlicher Republiken Amerikas stützen wollten, wenn sie der „heiligen Allianz“ europäischer Fürsten ein „amerikanisches Amphiktyonengericht“ gegenüberzustellen und den monarchischen Congressen von Aachen, Laibach und Verona mit dem Congresse sämmtlicher amerikanischer Freistaaten auf der Landenge von Panama zu antworten suchten? Es lag diesem Streben eine von der Gemeinsamkeit der republikanischen Interessen gebotene Forderung politischer Nothwehr und Sittlichkeit zu Grunde, während die Flibustierzüge eines William Walker, jenes geheimen Werkzeuges der Sclavenhalter, nur aus Länder- und Beutegier hervorgingen. Diese Sclavenbarone der südlichen Unionsstaaten waren es auch, welche den von Adams und Clay geplanten Staatenbund der amerikanischen Republiken vereitelten, indem sie die Beschickung des Congresses von Panama seitens der Vereinigten Staaten durch parlamentarische Streitigkeiten so lange zu verzögern wußten, bis es zu spät war.

Eine andere Gelegenheit, die Monroe-Doctrin in Anwendung zu bringen, boten die centralamerikanischen Streitigkeiten, die zu dem Clayton-Bulwer-Vertrag führten, der seinen Namen von den Ministern, welche ihn im April 1850 schlossen, dem Amerikaner Clayton und dem Engländer Bulwer, erhielt. Dieser zwischen den Vereinigten Staaten und Großbritannien abgeschlossene Vertrag, der übrigens erst unter der Präsidentschaft Buchanan’s (1857) im Sinne der Amerikaner Geltung erhielt, bestimmte, daß für alle Durchfahrten vom Atlantischen Ocean nach dem Stillen Meere, mochten dieselben in Nicaragua, zu Panama, Tehuantepec oder an anderen Strecken des centralamerikanischen Isthmus entstehen, die vollste Neutralität zum Grundsatze erhoben werden sollte. „Die Regierungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens erklären“, so lautet ein Passus des genannten Vertrages, „daß keine von ihnen jemals eine ausschließliche Oberherrlichkeit über den Schiffscanal in Anspruch nehmen kann; sie erklären ferner, daß sie niemals in dessen Nähe Festungswerke errichten und Oberherrlichkeitsrechte über Ländergebiete von Nicaragua, Costa-Rica, der Mosquitoküste oder sonstige Theile von Mittelamerika beanspruchen wollen.“ So traten denn auch hier die Vereinigten Staaten nicht ohne Erfolg dem Versuche entgegen, wodurch eine europäische Regierung sich eine größere Machtstellung, als sie bereits in Amerika besaß, hätte erringen können.

Ruhmvoll für die nordamerikanische Union und erschütternd in ihren Folgen ist schließlich noch die Anwendung der Monroe-Doctrin, welche unter der Präsidentschaft Abraham Lincoln’s und seines Amtsnachfolgers Andrew Johnson Platz griff. Als nämlich im Jahre 1861 die südlichen Sclavenritter, um das Institut der Negersclaverei zu verewigen, zur Auflösung der Union schritten, eine eigene Conföderation bildeten und den blutigen Secessionskrieg entflammten, da war es von allen europäischen Souverainen Papst Pius der Neunte allein, der Jefferson Davis als rechtmäßigen Präsidenten der südlichen Conföderation anerkannte. Dieser infallible Träger der dreifachen Krone richtete an seine Prälaten jenseits des Oceans Briefe, in denen er zum Frieden in einer Zeit rieth, wo Friede nichts Anderes bedeutete, als Auflösung der Union; zu dem Ende wünschte er auch die Vermittelung einer europäischen Macht und bot selbst, wie officielle Actenstücke beweisen, seinen eigenen Beistand zu einem Ausgleiche zwischen der Unionsregierung und den Rebellen an. Hat doch die römische Papstkirche es von jeher wohl verstanden, in Revolutionszeiten im Trüben zu fischen.

Daß Abraham Lincoln das päpstliche Anerbieten vollkommen ignorirte, versteht sich von selbst. Anders aber gestalteten sich die Dinge, als Napoleon der Dritte im Bunde mit Pius dem Neunten den unglücklichen Maximilian von Oesterreich zum Kaiser von Mexico machen wollte. Da erhielt Herr Dayton, der amerikanische Gesandte in Paris, im September 1863, als die Union unter den schwierigsten Verhältnissen um ihre Existenz kämpfte, im Auftrag des Präsidenten Lincoln durch den Staatsminister Seward die Anweisung, der französischen Regierung im Hinblick auf die Lehre Monroe’s zu erklären, daß die Vereinigten Staaten das Vorgehen der Franzosen in Mexico nicht ruhig mit ansehen könnten, weil „die freien republikanischen Institutionen in ganz Amerika innig mit einander verbunden seien“.

Im April 1864 faßte das Repräsentantenhaus des Congresses in Washington City einstimmig den Beschluß, daß eine Monarchie in Mexico unter keinen Umständen von den Vereinigten Staaten anzuerkennen sei, und Herr Dayton mußte im Namen seiner Regierung der französischen Regierung hiervon mit dem Bemerken eine Anzeige machen, daß der obige Beschluß „die allgemeine Ansicht des amerikanischen Volkes in Betreff Mexicos feststelle“. Und als die Rebellion der Sclavenbarone zu Boden geworfen war, verlangte der Minister Seward im Februar 1866 die bedingungslose Zurückziehung der französischen Armee aus Mexico und zwar mit bestimmter Zeitangabe der Heimberufung, der Tuilerienhof aber beeilte sich, diesen Forderungen nachzukommen. Der stolze Napoleonide mußte sich dem Willen der Vereinigten Staaten beugen; vergebens flehte die Erzherzogin Charlotte im Schlosse zu Saint-Cloud und im Vatican um Hülfe. Gestörten Geistes verließ sie den päpstlichen Palast und kehrte als eine Wahnsinnige nach Miramar zurück, während ihr Gemahl Maximilian am 19. Juni 1867 seinen kurzen Kaisertraum auf dem Carro vor Queretaro mit dem Tode büßte.

So liefert denn die Geschichte hinlänglichen Beweis, daß die Monroe-Doctrin, der gemäß die amerikanischen Verhältnisse wesentlich im Einklang mit der Regierung der Vereinigten Staaten zu regeln sind, kein leerer Schall gewesen ist. Und wenn auch der Satz, daß Amerika den Amerikanern gehört, nicht in jeder Hinsicht eine praktische Anwendung finden darf, so hat er doch mit dem russischen Panslavismus, dem französischen Chauvinismus, den Bestrebungen der sogenannten Italianissimi wenig oder gar keine Aehnlichkeit. Die geschilderten Grundsätze der Monroe und Adams, der Jefferson und anderer amerikanischer Patrioten und Staatsmänner wurden zwar nach dem verunglückten Unternehmen Napoleon’s des Dritten gegen Mexico von einem Franzosen, und zwar von keinem geringeren als Michel Chevalier, als „eine Versicherung gegen die Civilisation“ bezeichnet. Man darf jedoch nicht vergessen, daß Chevalier von Napoleon dem Dritten nach dem Staatsstreiche vom 2. December 1851 zum Staatsrathe ernannt wurde und seitdem nur das napoleonische Regime als ein „Marschiren an der Spitze der Civilisation“ ansah. Wie weit die Monroe-Doctrin noch in der Zukunft Geltung haben wird, bleibt abzuwarten; die antimonarchischen Bestrebungen in Brasilien aber, welche gegenwärtig wiederholt von sich reden machen, so wie der neueste Plan, die Landenge von Panama zu durchstechen, wären unter Umständen wohl geeignet, diese Frage von Neuem zu einer brennenden zu machen.

Rudolf Doehn.     


Schutzgewohnheiten der Thiere.

Von G. H. Schneider.
1. Mittel und Wege zum Abschrecken stärkerer Feinde.

Es existirt bis jetzt leider noch kein wissenschaftliches Werk, welches alle Thier- und Menschengewohnheiten nach bestimmten Principien etwa in der Weise vergleichend zusammen stellte, wie die Handbücher der vergleichenden Anatomie die einander entsprechenden Formen der Organe.[1] Die vergleichende Psychologie der Willensäußerungen, welche sich jener Aufgabe zu unterziehen haben wird, ist, bis auf sehr wenige anfängliche Versuche, noch eine Wissenschaft der Zukunft, die aber ein weit größeres und


  1. Verfasser obigen Artikels, dessen Aufsätze über „Das Leben und Treiben auf dem Meeresgrunde“ in Nr. 41 und 42 des vorigen Jahrgangs so lebhaften Anklang gefunden, veröffentlicht soeben ein solches Werk unter dem Titel: „Der thierische Wille. Systematische Darstellung und Erklärung der thierischen Triebe und deren Entstehung, Entwickelung und Verbreitung im Thierreiche als Grundlage zu einer vergleichenden Willenslehre“ (Leipzig, Ambr. Abel). Schneider ist ein talentvoller Schüler Häckel’s.
    D. Red.     
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 801. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_801.jpg&oldid=- (Version vom 25.10.2019)