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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Die Benedictinerabtei Zwiefalten, im stillen Wiesenthale der Ach, nahe bei Riedlingen gelegen, war durch ihre große und prächtige Orgel, an welcher der Müllerssohn von Meßkirch nun die Register ziehen und das wuchtige Pedal treten lernte, weithin berühmt. Hier ward ein Mönch des Klosters sein Lehrer, Ernst Weihrauch, der für den tüchtigsten Contrapunktisten des ganzen Schwabenlandes galt. Dieser ausgezeichnete Mann übte den anregendsten Einfluß auf Kreutzer aus, fand sich aber auch seinerseits hochbeglückt durch die Empfänglichkeit des Jünglings, seine leichte Auffassung, seinen eisernen Fleiß.

Der Drang des jungen Musikers, die Fülle seiner Gedanken und Empfindungen zum Ausdrucke zu bringen, war so lebhaft, daß er schon kurz nach seinem Eintritt in das Kloster eine jener Symphonien zu componiren versuchte, wie sie damals während der Messe in der Kirche aufgeführt wurden. Da er aber eben erst die Anfangsgründe der Harmonielehre in sich aufgenommen und von dem Aussehen einer Partitur keinen Begriff hatte, so schrieb er die Hauptstimme auf ein Blatt und führte nach dieser jede der anderen Stimmen für sich auf einzelne Papierblättchen aus. So hatte er eines Tages den Boden seines Zimmers mit diesen Blättern bedeckt, als sein Lehrer unerwartet bei ihm eintrat. Die Naivetät seines Zöglings rührte den alten Mönch auf’s Tiefste, und von Stund an gab er ihm Unterricht im Partitursetzen.

Im Jahre 1796 starb aber leider der vortreffliche Weihrauch, und bald darauf verließ Kreutzer das Kloster Zwiefalten, um die Vorbereitungsstudien an das geistliche Amt in dem Prämonstratenserkloster Schussenried fortzusetzen, wo sich eine höhere Lehranstalt befand. Auch hier verfolgte Kreutzer seine musikalischen Studien und Uebungen eifrig weiter. Er componirte seine ersten Lieder und verschiedene mehrstimmige Sachen für Blasinstrumente; in der Kirche fungirte er als Organist; in der Schule wurden ihm schon vierzig Knaben zum musikalischen Unterricht anvertraut. Zu Violine, Clavier und Orgel lernte er jetzt noch Clarinette und Oboe, um so eifriger, als in seiner Seele bereits der Entschluß fest stand, sich ausschließlich der Musik zu widmen. Davon wollten seine Eltern natürlich nichts hören; diesen wackern Leuten galt ein Musikus für nicht viel besser als ein Taugenichts. Wollte der Sohn durchaus nicht Theologe werden, konnte er ja die Rechte studiren; und so bezog er denn zu diesem Zwecke im Jahre 1799 die Universität Freiburg.

Der Tod seines Vaters machte der Zwangslage Kreutzer’s ein Ende, und er wählte die Musik als Lebensberuf. In dasselbe Jahr 1800, in dem der Jüngling seinen Vater begrub, fällt die Composition seiner ersten Operette „Die lächerliche Werbung“. Dilettanten führten sie auf; Freunde zollten ihr reichen Beifall, er selbst aber mochte wohl am besten fühlen, wie viel ihm noch zur Meisterschaft fehlte; denn eine mächtige, von hohen Idealen getragene Begeisterung schwellte sein Herz, und mit unermüdlicher Anstrengung arbeitete er an seiner Ausbildung, zunächst in Constanz und den Schweizerstädten Zürich und Lenzburg, Bern und Basel, wo er mit einem wenig geübten Sängerchor schon damals Haydn’s „Schöpfung“ einstudirt und zur Aufführung gebracht haben soll.

Aus den engen Verhältnissen dieser Städte und Städtchen zog es indeß Kreutzer heraus nach der Stadt, die damals in noch höherem Grade als heute für die hohe Schule der Tonkunst galt, nach Wien. Dorthin sehen wir ihn im Juli 1804 seinen Weg nehmen, reich an Entwürfen und Hoffnungen und rastlosem Drang nach Meisterschaft, arm aber an Gütern dieser Erde. Neunzig Gulden betrug die ganze Baarschaft, mit der er auszog, das Glück zu suchen. Als er in Nußdorf bei Wien ankam, hatte die Reise seinen ganzen Mammon bis auf ein paar Gulden verzehrt, gerade genug, wie er glaubte, um einen Wagen zu miethen und sich vor die Thür eines Vetters bringen zu lassen, der zugleich sein vertrautester Jugendfreund war und schon seit geraumer Zeit in Wien wohnte. Aber welcher Schrecken! An dem von ihm bezeichneten Hause angelangt, muß er vernehmen, der Vetter sei umgezogen, und Niemand konnte ihm sagen, wo derselbe seither Wohnung genommen habe. Der Miethwagen fuhr wieder nach Nußdorf zurück, Kreutzer aber irrte in den Straßen der großen Stadt umher mit dem ganzen Mißbehagen, das den Neuling aus der Provinz so unheimlich ergreift, wenn er sich plötzlich in den brausenden Wogen großstädtischen Lebens und Treibens allein und verlassen sieht.

Obdachlos, wie er war, nahm er den Weg nach dem Opernhause, wo Salieri’s „Axur“ gegeben wurde; es war das erste Mal, daß er einer Opern-Aufführung beiwohnte. „Axur“ verfehlte denn auch nicht, einen tiefen Eindruck auf ihn zu machen; und siehe da – beim Ausgang aus dem Theater, mitten im dichtesten Gedränge erblickte er plötzlich seinen Vetter, den sehnlich gesuchten, neben sich und war damit zunächst der Sorge um das Nachtquartier und seine weitere Existenz überhoben. Der Vetter war über das unerwartete Wiedersehen nicht minder erfreut und theilte fortan seine Wohnung mit ihm.

Nun begann für Kreutzer eine Zeit angestrengter Studien. Bald nach seiner Ankunft in Wien wurde er mit hervorragenden Musikern und Dirigenten wie Schuppanzigh und Albrechtsberger bekannt. Unter der Leitung des Letzteren namentlich bildete er sich weiter, trat auch öffentlich mit eigenen Compositionen als Clavier- und Clarinettenspieler auf und fand Zutritt in die Kreise vornehmer Musikverehrer, unter Anderem in das Haus des Fürsten Esterhazy. Dort wurde der alte Haydn auf ihn aufmerksam und fand so viel Gefallen an dem bescheidenen jungen Künstler, daß er drei von dessen Claviersonaten einer Durchsicht unterzog. Auch Beethoven soll ihm freundlich gesinnt gewesen sein und ihn seines Rathes gewürdigt haben.

Nachdem unter solchen Anregungen eine ganze Reihe kleinerer Arbeiten, Messen, Quartette, Clavierstücke, entstanden war, faßte Kreutzer den Muth, sich an eine Oper zu wagen. Der Text, den er wählte, war das von Goethe für Kaiser gedichtete Singspiel „Jerry und Bäthely“. Die Wiener aber fanden den Text langweilig, und die Musik erinnerte sie allzu sehr an das Genre Dittersdorf’s, der ein Menschenalter früher hochgefeiert war und nun auch schon zu den vergessenen Größen zählte. Auch mit einer zweiten Oper, „Conradin von Schwaben“, mißglückte es ihm, da die Censur den politischen Stoff nicht durchließ. Eine dritte, nach Schiller’s „Taucher“ bearbeitet und betitelt, war 1809 vom Theater an der Wien schon angenommen, und der Tag der ersten Aufführung bestimmt, als die Franzosen in Wien einrückten und selbst den lebenslustigen Wienern auf eine Zeitlang die Freude an der Musik verdarben. Ja, Kreutzer mußte sogar das Mißgeschick erleben, daß in der allgemeinen Bestürzung über den Einmarsch der Feinde die Originalpartitur mit allen ausgeschriebenen Stimmen verloren ging. Den Schlachten von Aspern und Wagram folgte zwar bald der Friede, aber der Krieg hatte Oesterreich so tief gebeugt, namentlich auch die Finanzen so zerrüttet, daß Kreutzer nicht wohl hoffen konnte, in Wien eine seinen Wünschen entsprechende feste Stellung zu finden.

Unter diesen Umständen entschloß er sich, auf das Anerbieten eines Freundes, des Mechanikers Leppich aus Würzburg, einzugehen, welcher ein neues musikalisches Instrument, das er Panmelodikon nannte, erfunden hatte und nun Kreutzer überredete, mit ihm zu reisen um dieses Instrument bekannt zu machen. Das Panmelodikon hatte eine ähnliche Construction wie die später von Häckel in Wien erfundene Physharmonika; es erzeugte den Ton durch Vibration von Metallstäben. Kreutzer spielte das Instrument mit großer Bravour, und da er außerdem auch noch als Clavierspieler und Liedersänger Hervorragendes leistete, so konnte der Kunstreise ein namhafter Erfolg nicht fehlen. Für den Künstler kam noch der Vortheil hinzu, daß er auf solche Weise in Jahresfrist mit seinem Genossen Deutschland, die Schweiz, Frankreich und die Niederlande durchstreifte. In Stuttgart, wo er im königlichen Schlosse vor dem dicken König Friedrich spielte, machte er einen so günstigen Eindruck auf diesen, daß er ihn dauernd für seine Residenz engagirte. Nach der Aufführung der von Kreutzer in Stuttgart componirten Oper „Feodor“ ernannte ihn der König im Sommer 1812 zum Hofcapellmeister. So schien ihm nun eine gesicherte Laufbahn eröffnet, die ihm auch gestattete, sich einen eigenen Herd zu gründen. Während seines Aufenthaltes in Zürich hatte er in dem nahen Dorfe Glattfelden ein hübsches Mädchen, Anna Huber, kennen gelernt und ihre Neigung gewonnen. Am 18. October 1812 wurde er in Glattfelden mit ihr verbunden.

Zwei Oratorien, vier Opern und eine stattliche Reihe von Clavierstücken entstanden in Stuttgart und hatten sich der günstigsten Aufnahme zu erfreuen. Aber das stille Glück, das ihm hier blühte, sollte nicht von Dauer sein. Im Jahre 1816 starb König Friedrich, und bei seinem Sohn und Nachfolger, König Wilhelm, war es keine Empfehlung, ein Günstling des Verstorbenen gewesen zu sein.

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