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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

würde, er zweifelte nicht daran, so sehr auch ihre eigenen Wünsche darunter leiden mochten, die Kranke mit offenen Armen empfangen und sie hegen und pflegen, als sei sie ihr eigenes Kind. Leugnen ließ sich ja doch nicht, daß Walter, in gewissem Sinne, allein der Trauung mit ihr sein Leben verdanke. An die Frage des gemischten Blutes dachte er nicht mehr. Er hatte zuletzt die Ueberzeugung gewonnen, daß die Mulattin, trotz aller zärtlichen Intimität, nichts als eine jener Dienerinnen war, einstige Ammen oder Wärterinnen, welche in den Häusern reicher Pflanzer bis zu ihrem Tode eine bevorzugte Stellung genießen. Und floß ein Tropfen schwarzen Blutes in den Adern seiner Frau und spielte ihr Teint in Folge dessen etwas mehr in’s Gelbliche, als es in Deutschland gewöhnlich ist – je nun, so war das für einen Botaniker, vor dem wie vor Gott alle Blumen gleich sein sollen, auch eben kein Unglück zu nennen; es würde ihm sogar, wie Walter sich scherzend sagte, seiner gelehrten Vorurtheilslosigkeit wegen in den Augen seiner Collegen ein imponirendes Relief verleihen. Für jetzt war man indessen noch nicht so weit. Es ließ sich sogar voraussehen, daß der verwöhnten und allem Anscheine nach auch sehr verweichlichten Creolin die bescheidenen Verhältnisse eines deutschen Gelehrtenlebens unerträglich, eng und drückend erscheinen müßten, und daß ihr zunächst jedes Mittel recht sein werde, um sich daraus zu befreien. Walter war auch darauf vorbereitet, nachdem er sie der Obhut seiner Mutter übergeben, das Seinige zur Herbeiführung der Scheidung beizutragen. Indessen – war sie nur einmal erst daheim bei ihm, so gewöhnte sie sich vielleicht an ein einfaches Leben, und da ihm Heirathen doch unabwendbares menschliches Schicksal zu sein schien, so konnte aus dem verrückten Zufall sich am Ende für Beide noch eine ganz erträgliche Zukunft gestalten.

Wahrhaftig! Es fiel ihm selbst auf, wie es heute schon das zweite Mal war, daß er sich auf dieser Wendung ertappte! Was war aus seiner unüberwindlichen Antipathie gegen die Ehe geworden? Wo war überhaupt sein Haß gegen die Weiber hin? Nicht einmal daran dachte er, daß gerade seine Frau durch ihre Kränklichkeit sich weniger noch als jede Andere für die Mühen eines botanischen Wanderlebens eignen dürfte, und plötzlich stand es sonnenklar vor seiner Seele, daß er sogar eine ganz gute Meinung von dem kleinen, überspannten, unbegreiflichen Ding eingesogen, das sich so eigensinnig jeder noch so bescheidenen Annäherung von seiner Seite entzog. Es fiel ihm ein, welche respectvolle Theilnahme sie Jedem eingeflößt, der mit ihr in Berührung gekommen, dem Capitain, dem Arzt und sogar dem Stubenmädchen hier im Hôtel, welches sie doch nur wenige Minuten hatte sehen können. Nicht einmal Melazzo’s wilde unbändige Natur hatte sich diesem Zauber zu entziehen vermocht. Daß er sie geschont, und zwar trotz aller für ihn damit verbundenen Fatalitäten, war hinreichender Beweis von ihrer Macht über ihn. Gewiß, sie mußte Eigenschaften besitzen, welche Liebe und Achtung einzuflößen vermochten, und zwar in nicht geringem Grade. Wie weit Manches, das er selbst von ihrer Persönlichkeit wahrgenommen, und Anderes, das er, ohne es sich gerade zu gestehen, als selbstverständlich voraussetzte, diesen günstigen Eindruck mitbegründeten, das erörterte er weiter nicht.

Spät schlief er ein, und spät erwachte er mit heftigen Kopfschmerzen. Es war ein unfreundlicher, naßkalter, nebeliger Morgen, ein Morgen, wie ihn so trübselig nur Englands Himmel seinen Kindern bescheert. Trotz der vorgerückten Stunde mußte Licht angezündet werden. Schon das gab dem Aufstehen etwas Fremdes, Unbehagliches, und Walter war so recht in der Stimmung, in der man eine schlechte Nachricht noch zehnmal schlechter findet, als sie ist.

An dieser sollte es denn auch nicht fehlen. Als der Kellner das Frühstück brachte, lag neben der Tasse verheißungsvoll ein zierliches Billetchen: feines englisches Papier von zartem Duft überhaucht, hübsche Damenschrift, und schon das Siegel deutete auf etwas Sentimentales hin: ein Grab und eine Trauerweide.

Walter betrachtete das Briefchen um und um, zog die Augenbrauen in die Höhe und sah den Kellner fragend an.

„Mistreß Walter wollte den Herrn nicht stören“, sagte Jener mit einer steifen Verbeugung.

Da es sich für einen Ehemann nicht schickt, über irgend etwas, was die Gemahlin unternehmen mag, in Unkenntniß zu scheinen, so nickte Walter nur mit echt britannischem Phlegma und winkte den Kellner hinweg.

Sie konnte also schreiben. Zwar hatte er sich die Frage nie vorgelegt, doch wäre es ihm ganz natürlich erschienen, wenn die Antwort darauf verneinend ausgefallen wäre. Nochmals betrachtete er das Billet und lächelte gutmüthig über die ängstliche, schülerhafte Eleganz der Schrift.

„Sie eröffnet also selbst die Unterhandlungen,“ dachte er, während er langsam und doch neugierig das Couvert aufschnitt.

Aber das Lächeln schwand von seinen Lippen, sowie er einen Blick in das Schreiben geworfen; er sprang zum Glockenzug.

„Um wie viel Uhr ist meine – meine Frau abgereist?“ fragte er den zurückkehrenden Kellner mit Fassung.

„Gegen vier Uhr Morgens,“ lautete der Bescheid.

Walter wendete sich dem Fenster zu.

„Und sie hat nicht hinterlassen, mit welcher Bahn sie reist?“

„Nein. Die Lady war nur sehr besorgt, daß Mr. Walter nicht gestört werde, da er sehr ermüdet von der Reise sei.“

Wieder wurde der Mann hinweggewinkt und Walter stand da, als habe sich plötzlich ein Abgrund vor seinen Füßen geöffnet.

Nochmals überlas er das Billet, aber da stand es noch immer. Eine Täuschung war nicht möglich.

„Nie werden Sie mich wiedersehen. Vergessen Sie mich, als hätte ich nie gelebt! Nie wieder werde ich Ihren Lebensweg durchkreuzen. Aber nie auch werde ich vergessen, daß Sie mich aus der Gewalt eines Scheusals befreiten, das seine Hände mit dem Blute meiner nächsten Angehörigen befleckt hat. Wo Sie auch sein mögen: meine innigsten Wünsche für Ihr Glück, mein Dank, mein Gebet werden Sie überall begleiten.“

Da stand es; keine Silbe ließ sich davon wegklügeln. Die Schrift mochte noch an einer gewissen Unsicherheit leiden, über das Geschriebene selbst, über den Inhalt hatte sie gewiß nicht geschwankt. Und auch diese Schrift, trotz ihrer schülerhaften Aengstlichkeit, zeigte doch auch einen unverkennbaren festen Zug.

Was halfen nun alle schönen Vorsätze, mit denen er sich so süß in den Schlaf gewiegt, in der angenehmen Ueberzeugung, ein höchst edler Mensch zu sein? Es ist sehr ärgerlich, wenn Einem die besten Vorsätze in so fatal rücksichtsloser Weise vor die Füße geworfen werden; es ist ärgerlich, und Walter ärgerte sich denn auch.

Und nicht allein dieser Umstand, sondern fast noch mehr die Wandlung, die mit ihm selbst vorgegangen war, verdroß ihn. Vor ein paar Wochen noch wäre ihm diese Lösung des aufgedrungenen Verhältnisses als ein Glück erschienen, und nun auf einmal kam er sich wie beraubt, wie verrathen vor. Es war, um an dem eigenen gesunden Menschenverstande zu zweifeln. Er konnte es gar nicht fassen, wie er sich in so kurzer Zeit, ohne es nur zu ahnen, so sehr an das ungezogene kleine Ding hatte gewöhnen können, mit dem er nie ein Wort gesprochen, von dem er – und das war das Aergerlichste – auch nicht die Spitze des Näschens gesehen.

Und dann kam die Sorge: Wo war sie hin? Was sollte aus ihr werden? Daß sie hauptsächlich vor ihm geflohen, weil sie den Mörder ihrer Verwandten auch in dem Gatten haßte, den dieser Mörder ihr aufgezwungen, das dünkte Walter unzweifelhaft. Hätte er sie doch nur aufzuklären gesucht! Wäre er nur einmal energisch durch den Wall anerzogener Rücksichten gebrochen, die ja doch nur den Werth von Spinngeweben haben, wo es das Glück eines Menschen betrifft! Hätte er ihr nicht schreiben können, wenn sie es durchaus zur mündlichen Besprechung nicht kommen ließ?

Betrübt nahm er das Briefchen wieder auf. Sein Blick fiel auf das Siegel mit dem Grab und der Trauerweide. Ja, so dürfte es wohl kommen! Fort, um unbehelligt von ihm in irgend einem unbekannten Winkel zu sterben! Armes Kind! So jung, so krank! Ohne Freunde, ohne Pflege, fremd unter Fremden! Und er wußte nicht einmal, ob sie hinreichend mit Geld versehen sei, und doch hatte er eine bedeutende Summe ihres Vermögens in der Hand!

Er raffte sich auf, kleidete sich an und eilte auf das Schiff.

Der Arzt war verreist, Niemand wußte wohin. Der Capitain war zugegen. Damit war jedoch wenig geholfen. Mrs. Walter war als Mrs. Walter eingetragen worden; er hatte sie nie anders genannt, nie anders nennen hören – weiter wußte er nichts. Die herbeigerufenen Stewards behaupteten dasselbe und gaben sich sehr wenig Mühe zu verbergen, daß sie den so völlig verblüfft dastehenden Ehemann überaus komisch fanden.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_779.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)