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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

weitem den besten Jagdgrund, welchen ich auf meinen vielen Streiferen angetroffen habe; sie strotzt von Wild, das in dem saftigen Gras der tieferen Stellen und dem immer grünen Laube der mehr gebüschartigen Waldungen vortreffliche und ergiebige Aeßung findet. Ausreichende Tränke liefern einige an der Südostseite gelegene Wasser-Reservoirs, die sich während der Regenzeit füllen und nie austrocknen. Nur auf der vom Winde abgewendeten Ostseite ist eine Landung möglich, wogegen die äußerst heftige Brandung der Südwestlage die Annäherung wehrt, indem hier eine constante Brise aus gleicher Richtung, die heftige Schwellung des Meeres und das weit in dasselbe reichende flache Vorland, je nach der Einwirkung, drei bis fünf Reihen Brecher (Sturzseen) hervorruft. An der ganzen Länge dieser Seite ist der Strand beständig selbst bei geringem See-Andrange in einen aus stäubenden Wassertheilchen bestehenden Nebel gehüllt, eine Folge des Zerschellens der unter donnerndem Brausen und Zischen sich überstürzenden Brandungswellen, die man in Westafrika Calema nennt.

Dieser Theil der Halbinsel ist besonders von Thieren belebt, da er der gesündeste und von Menschen am wenigsten besuchte ist. Selbst zu Lande ist er äußerst beschwerlich zu erreichen, da der Zugang wiederholt durch tiefes Sumpfwasser inmitten zum Theil schon absterbender, unglaublich verwurzelter Mangle-Gebüsche führt, durch die man sich einhauend die Wege bahnen muß.

Ich war zu Jagdzwecken auf Mangi und kam nach sechswöchentlicher Jagd auf der Südostseite mit meiner Begleitung, bestehend aus fünf Orungus, zwei Galoa und einem Kru-Neger, an die südwestliche Küste, um Flußpferde zu schießen. Sehr überrascht war ich, als ich hart am brandenden Strande eine kürzlich erbaute Hütte und als deren Insassen ein altes, lahmes und schauerlich häßliches Medicinweib mit einem Sclaven zu ihrer Bedienung vorfand. Sie war aus Sangatanga, stand bei den Orungus und selbst Comis in großem Ansehen und war gekommen, um Kräuter für Medicin, sowie Gifte zu suchen und ihren Hokuspokus in einem kleinen, sehr reinlich gehaltenen Fetischhäuschen abzuhalten. Behangen war sie mit einer Menge von Firlefanz, das heißt Fetischen (Amuleten) der sonderbarsten und verschiedensten Art. Ihre Einladung, in der Hütte zu übernachten, schlug ich unter Ausreden ab, es vorziehend, auf einer der Fluth nicht ausgesetzten Sandbank zu campiren, wo wir denn auch unser Lager aufschlugen.

Im Verlaufe des nächsten Tages, der so verhängnißvoll für mich enden sollte, nöthigte mich das alte Medicinweib, wohl aus Dankbarkeit für erhaltene kleine Geschenke, in ihr Fetischhäuschen, nahm unter einer Höhlung des guten Götzen Eviva ein Stück weißer Erde hervor und beschmierte mir die innere Seite der einen Hand. Die Schwarzen selbst – um dies nebenbei zu bemerken – bemalen sich, wenn sie Frieden oder Willkommen stillschweigend ausdrücken wollen, damit die Stirn über den Augenbrauen. Diese heilige Erde entnehmen sie dem Rande eines tiefen Erdfalles, an welchem, wie sie glauben, der böse Geist Ibambu Wache hält und die sich ihm Nahenden durch Schwindelanfälle hineinzieht. Wie natürlich, wollen Viele dieses durch den Aberglauben vermehrte Gefühl empfunden haben. Den Erdfall bezeichnen sie mit Wonka-Wonka. Nie habe ich ein Stückchen dieser weißen Masse außer diesem einen Male in die Hand bekommen können, und damals dachte ich – ich muß es zu meiner Schande gestehen – nicht daran, zu untersuchen, ob es Talkerde, Thonerde oder Kreide war.

Etwa anderthalb Stunden vor Sonnenuntergang begab ich mich auf den Weg, um nach meinen Dickhäutern zu sehen. Zur Begleitung nahm ich einen Galoajungen mit, der mir noch eine leichte Jagdflinte zum Schießen von Vögeln nachtrug. Der andere Galoa gesellte sich uns unaufgefordert zu und bewaffnete sich mit einem Manatus-Speer. Die Ebbe hatte schon längere Zeit eingesetzt. Der Weg am Strande war angenehm zu gehen, und die Lagune, welche wir aufsuchen wollten, lag nur dreiviertel englische Meilen landeinwärts von ihm ab.

Nachdem ich eine geraume Weile am Meeresufer entlang gegangen war, glaubte ich die Stelle erreicht zu haben, um nach der Lagune einzubiegen, ging also den Strand hinauf und hatte kaum den Kopf über den Sandwall erhoben, als ich bemerkte, wie eine Büffelheerde – von der in Europa bisher noch durch keine Abbildung bekannten Art Bos brachyceros – hinter einer längeren Buschparzelle hervortrat und offenbar gleichfalls nach der Lagune sich in Bewegung setzte. So gingen wir eine Weile, uns gegenseitig immer mehr nähernd – ich hinter meinem Sandwalle – als die Thiere Zeichen von Unbehaglichkeit gaben, denn der Wind stand von mir nach ihnen zu. Die Leitkuh stutzte, und mit ihr die an dreißig Köpfe starke Heerde. Einige Thiere liefen eine kurze Strecke fort, um stehenbleibend wiederum zu wittern.

Das Leitthier mit ein paar starken Bullen kam einige zwanzig Schritte in der Richtung auf mich zu. Die Thiere hatten die Schwänze erhoben und scharrten unruhig den Boden mit den Füßen. Nunmehr war meine Zeit gekommen, und obwohl die Entfernung immer noch beträchtlich war, nahm ich doch einen der mir näherstehenden und größten Bullen auf’s Korn. Nach abgegebenem Schuß ergriff die Heerde, durch einander wirbelnd, die Flucht, von Zeit zu Zeit stutzend, bis sie verschwand. Der von mir auf Korn genommene Büffel jedoch, welcher anfänglich mit fortzukommen suchte, blieb zurück und lahmte in das schmale Gebüsch, welches mit Unterbrechungen die eine Seite der Lagune begrenzte.

Es ist stets ein großer Fehler, ein angeschossenes Stück Wild auf noch warmer Spur zu verfolgen; ebenso ist es ein solcher, wenn der Jäger hinter seinem Versteck hervortritt. In diesem Falle jedoch war es mir mehr um Flußpferde, als um den Büffel zu thun, namentlich deshalb, weil die Sonne sich rasch zum Horizont neigte. Genau hatte ich mir die Stelle gemerkt, wo das verwundete Thier in den Busch getreten war. Als ich derselben bis auf zwanzig Schritte nahe gekommen, höre ich vor mir das Gestrüpp und Geäst brechen und gewahre aufschauend den wüthenden Büffel, wie er mit gesenkten Hörnern auf mich zukommt. Keineswegs war ich, so großsprecherisch es auch klingen mag, bestürzt. Hatte ich doch bereits vier solche Attaquen ohne Herzklopfen ausgehalten und mit sicherer Kugel mir die Angreifer todt zu Füßen gelegt.

Im Nu lag die so oft erprobte Doppelbüchse im Anschlag. Nach abgegebenem Schuß markirte die wüthende Bestie denselben wohl, ließ sich jedoch dadurch im Angriff nicht weiter stören. „Komme mir nur hart vor’s Rohr!“ dachte ich. Endlich drückte ich los, aber, o Entsetzen! die Patrone, durch den Einfluß der feuchten Atmosphäre verdorben – versagt. Wie unwillkürlich springe ich mit einem gewaltigen Satze zur Seite, jedoch zu kurz.

Der zweifach schwer verwundete, dabei noch so gewandte Büffel schlug mir sein rechtes Horn durch den linken Unterschenkel. Natürlich riß mich dies zu Boden und kaum hatte ich mich gedreht, denn ich war auf den Leib geworfen worden, als er auch schon wieder über mich herfiel. Den hierauf folgenden Kampf genau zu schildern vermag ich nicht. Er war zu gräßlich. Meine Geistesgegenwart verlor ich zwar keinen Augenblick, wäre aber um ein Haar, ohne einen letzten Gedanken an den Höchsten und die mir Liebsten auf Erden, aus dem Leben geschafft worden, wenn nicht mein kleiner Edute, jener Galoaknabe, in der höchsten Noth, obwohl auf zweihundert Schritte, die mit Nr. 4 und 7 geladene Schrotflinte in der Richtung nach dem Kampfplatze abgefeuert hätte.

Bevor die Schüsse fielen, kniete das fürchterliche Thier mit dumpfem, heiserem Brüllen auf meiner Brust und drückte die Stirn mit den darauf tödtlich drohenden Hörnern mir in’s Gesicht. Beide hatte ich krampfhaft gefaßt, war auch während des Kampfes einmal, daran mich stützend, in die Kniee gekommen, alsdann aber wieder niedergedrückt worden. Schon kreiste es mir im Gehirn, schon ging mir der Athem aus; noch eine Minute in dieser Lage, und meine irdische Laufbahn war vollbracht. Da krachten die Schüsse. Der Büffel sprang von mir auf, um nach dem anderen Feinde zu wittern. Kaum fühlte ich mich von der centnerschweren Last befreit, kaum hatten sich meine Lungen wieder mit etwas Luft gefüllt, so erwachten schnell meine Lebensgeister. Das haarscharfe, in der Klinge neun Zoll lange, breite Jagdmesser fuhr gedankenrasch aus der Scheide und senkte sich, indem meine linke Hand noch immer das rechte Horn des Gegners gefaßt hielt, zwischen Hals und Schlüsselbein in des Büffels Herz. Der Stoß war so gewaltig, daß der halbe Griff des Messers mit eindrang und das Thier sofort über mir zusammenbrach. In diesem Augenblicke war ein schrecklicher Kampf, Leben um Leben, beendet. Der Büffel lag todt über seinem besinnungslosen Gegner.

Wie lange ich gelegen hatte, weiß ich nicht. Ein schwerer Alp hielt noch immer meine Sinne gefangen, als ich endlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 771. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_771.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)