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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Hülfe der gezähmten Himmelskraft des Blitzfunkens über den Haufen warf.

Gegenüber einem so beispiellosen Siegeslaufe des menschlichen Geistes muß es als eine lohnende und dankbare Aufgabe erscheinen, die Denkmäler, welche den Zustand früherer Culturstufen in dieser Beziehung vergegenwärtigen, zu einer Sammlung, zu einem Gesammtculturbilde zu vereinigen.

Die Anregung zu diesem bei ernster Auffassung überaus weitschichtigen, aber um so bedeutsameren Plane gab der durch seine Schöpfungen auf dem Verkehrsgebiete zu einer wohlverdienten Weltberühmtheit gelangte deutsche Generalpostmeister Dr. Stephan. Nach seinen eigenen Worten wollte er, kühn genug, ein Museum begründen, das eine Uebersicht über das Verkehrswesen aller Zeiten und aller Völker liefern sollte. Die praktische Ausführung dieses umfassenden Planes wurde 1873 begonnen, als in dem damals vollendeten Neubau des Central-Postgebäudes zu Berlin geeignete Räume zur Aufnahme der Sammlungen bereit gestellt worden waren.

Natürlich bedurfte es zahlloser Anstrengungen und Mühen sowie des Zusammenwirkens günstiger Umstände, vor Allem aber der regen Betheiligung vieler Gönner und Förderer des Werkes, um in wenigen Jahren eine Sammlung in’s Leben zu rufen, welche schon heute der Verwirklichung der Idee, der sie dient, nahe gekommen ist.

Treten wir eine kurze Wanderung durch die – freilich noch provisorischen, weil nicht ausreichenden – Räume des Museums, Leipziger Straße Nr. 15 in Berlin, an.

Zunächst bietet das Museum interessante Denkmäler zur Geschichte der Schrift. Es ist sehr lehrreich, das Material zu vergleichen, auf dem in ältester und in neuester Zeit geschrieben wurde. Der Unterschied ist gar kein so gewaltiger, wie man wohl glaubt; denn der altägyptische Papyros, den man aus den am Nil wachsenden Schilfstauden der Papyrospflanze gewann, hat sich, wie die in den Museen befindlichen, mehr als viertausend Jahre alten Papyrosrollen beweisen, als ein vortrefflicher Beschreibstoff bewährt. Heute ist die Pflanze am Nil ausgestorben; sie findet sich dagegen in einer Abart noch auf den Gefilden des alten Syrakus vor, wo sie mit palmenartigen Kronen 12 bis 16 Fuß hoch aus dem Flusse Anapo hervorragt (il Papiro di Siracusa).

Im alten Aegypten – Taaut oder Thaut wird dort als Erfinder der Schrift bezeichnet – hatte der Brief die Rollenform, wohl die älteste, welche in der Culturgeschichte vorkommt; denn wir sehen, wie auf einem ägyptischen Relief aus Benihassan (2000 v. Chr.), dessen Abbildung das Postmuseum besitzt, ein Diener dem Chef der Provinz einen Rollenbrief asiatischer Einwanderer überreicht; auch eine Bronzestatuette aus der Zeit der sechsundzwanzigsten Dynastie in Aegypten (700 bis 600 v. Chr.) zeigt uns einen Briefschreiber, der, eine Papyrosrolle über sein Knie ausbreitend, schreibt.

Ebenso alt mag die in Indien und China übliche Sitte gewesen sein, Blätter der Palme zum Schreiben zu benutzen. Gegenwart und höchstes Alterthum knüpfen hierbei merkwürdig an einander an, indem uns ein im Postmuseum befindliches Palmblatt aus Orissa mit eingeritzten indischen Schriftzügen lehrt, daß noch heute in Ostindien, wie von altersher, die Palme das Material liefert, worauf geschrieben wird.

Der Orient bietet indeß weitere große Mannigfaltigkeiten im Gebrauch der Beschreibstoffe dar. Assyrien und Babylon haben eine ungeheure Anzahl von Thonscherben hinterlassen, die eine großartige Bibliothek bilden und uns einen Theil der Regierungsthätigkeit der alten Herrscher Assyriens in unvergänglicher Frische vergegenwärtigen. Wie dauerhaft der Thon als Beschreibstoff ist, zeigen die wohlerhaltenen, in den Stein eingegrabenen Schriftzüge einiger dieser im British Museum zu London aufbewahrten Actenstücke, von denen Abbildungen für das Postmuseum beschafft sind. Da ist z. B. ein auf Terracotta geritzter Brief des Königs Assur-Beni-Abla an Sinu-Akha-Utsar, ferner eine Bittschrift von fünf Bewohnern der Stadt Daratah an den König Assur; ein anderes Täfelchen, ebenfalls von Terracotta, enthält den Bericht über Fortschritte im Copiren aus Werken der königlich assyrischen Bibliothek, selbst die altassyrischen Standesregister sind auf Terracottastücken eingegraben.

Das Abendland hat ursprünglich gewiß dieselben Beschreibstoffe wie der Orient benutzt; noch in späterer Zeit verwendete der Stoiker Kleanthes Thonscherben zum Schreiben, weil er zu arm gewesen sein soll, sich Papyros zu kaufen, der z. B. zu Perikles’ Zeit in Athen ziemlich theuer war. In Sidon benutzte man Leinwand, in Persien Felle und später Seide zum Schreiben. Die ältesten Beschreibstoffe in Hellas waren Zinn und Blei. Hesiod’s Buch „Werke und Tage“ sah noch Pausanias im dritten Jahrhundert nach Christi Geburt auf Blei „geschrieben“, und Proben von Täfelchen aus Dodona in Epirus, von denen Copien sich im Postmuseum befinden, beweisen ebenfalls, daß man, um das Orakel in Dodona zu befragen, Täfelchen von Blei beschrieb. Ein solches Täfelchen, von unserem Zeichner getreu nachgebildet, hatte folgenden Inhalt:

„Mit Gott und günstigem Geschicke! Die Korkyräer fragen den Zeus Naios und die Diona, zu wem unter den Göttern oder den Halbgöttern sie opfern und flehen sollen, damit sie sich unter einander zum Guten versöhnen.“

Beschriebene Rollen von Zinn, auf denen das Ceremoniell des altmessenischen Gottesdienstes aufgezeichnet war, fand Epaminondas noch bei der Befreiung Messeniens vor. In späterer Zeit schrieb man in Griechenland auf Holztafeln, welche mit einer Wachsschicht bestrichen waren, in die man die Schriftzüge mittelst eines Griffels einritzte. Das Postmuseum verwahrt die Copie eines alten Täfelchens (griechisch pinax, pyxion, deltos, lateinisch tabula, pugillares) mit einem Briefe Cicero’s an Rufus auf. Auch in den Schulen wurden die Tafeln (Diptychen) beim Unterricht benutzt.

Die im Postmuseum befindliche Abbildung der altgriechischen Schreibscene von der berühmten Durisschale aus der Zeit des peloponnesischen Krieges zeigt einen hellenischen Lehrer, der, ein Diptychon haltend, mit einem Griffel Schriftzüge in die Wachstafel einritzt, während vor ihm sein Schüler steht und dem Lehrer lächelnd zuschaut. Sehr gebräuchlich waren die Diptychen in Rom zum Briefschreiben. Vornehme Römerinnen sandten sich täglich Täfelchen zu, die bisweilen aus Elfenbein bestanden, wie des römischen Dichters Martial anmuthiges Epigramm darthut:

„Daß Dir traurige Wachsschrift nicht düst’re die dämmernden Stunden,
Hüllet des Elfenbeins Schnee dunkele Lettern Dir ein.“

Vielfach sandten die Consuln und Prätoren Roms beim Antritte ihres Amtes Begrüßungstäfelchen an ihre Freude ab, woraus sich vielleicht der Gebrauch unserer Visitenkarten herleiten läßt. Später verdrängte der Papyros die Täfelchen; es gab zahlreiche Arten dieses Papiers, das in der Kaiserzeit charta Augusti, Liviae etc. genannt wurde. Das Claudische Papier, charta Claudia, ebenfalls aus Papyros gefertigt, übertraf an Größe alles Frühere, indem es die Länge von fünfundzwanzig römischen Zollen erreichte. Bis in’s dreizehnte Jahrhundert dauerte die Benutzung des Papyros fort; daneben war seit dem zweiten Jahrhundert das Pergament (Damascener Papier) im Gebrauche; im vierzehnten Jahrhundert nach Christi Geburt kam das schon lange im Orient heimisch gewesene Leinen- und Baumwollenpapier im Abendlande auf, bis endlich das moderne Papier von Lumpen und Holzstoff alle übrigen Arten verdrängte.

Eine überaus wichtige Person war im Alterthum der Schreiber. Zahlreiche Namen von „Schreibern“ bewahren uns die ägyptischen Denkmäler auf; die Hellenen betrachteten den Dienst des Schreibers als dem Hermes (Mercur) geweiht. Suidas und Julius Pollux berichten umständlich über das Geräth zum Schreiben, worunter selbst Blei, Zirkel, Lineal und Federmesser und das sogenannte Punctorium nicht fehlen. Das wichtigste Schreibgeräth war der Griffel und, für Papyros, das Rohr, wovon das beste in Asien wuchs; es wurde wie eine Gänsefeder geschnitten und wird noch heute im Orient ebenso benutzt wie im Alterthum. Federn brauchte man, wie Valesianus berichtet, erst zur Zeit des Ostgothenkönigs Theodorich.

Antike Tintenfässer, von denen das Postmuseum Proben enthält, bestanden aus Hölzern mit Vertiefungen, in denen sich theils eine schwarze, theils eine rothe verhärtete Masse befand, die jedenfalls beim Gebrauche angefeuchtet wurde. Zum Einritzen der Schrift in die Wachstafeln bediente man sich eiserner (Hiob) oder bronzener Griffel; von letzteren bewahrt das Postmuseum ein charakteristisches Exemplar auf, dessen Original von Professor Curtius in den altetruskischen Gräbern zu Orvieto aufgefunden worden ist und das unser Zeichner genau wiedergegeben hat. Der runde Aufsatz auf dem Kopfe des Knaben, der den Griffel (stilus) krönt, war

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 754. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_754.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)