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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

göttliche Kunst Mozart’s die Gemüther entzückte, erst da kamen hier und dort jene auf italienischem und französischem Boden großgezogenen künstlerischen Giftblumen in Mißcredit; erst da wurden stellenweis die Privatbühnen der deutsche Fürstenhöfe ihrer zweifelhaften Würde als Treibhäuser für diese Blumen entkleidet.

Auch der kunstsinnige Kurfürst Karl Theodor von der Pfalz, der eigentliche Begründer der Mannheimer Bühne, welcher im Anfang seiner Regierung den französischen und italienischen Einflüssen sehr zugänglich gewesen war, gelangte von der Musik aus zu seinen Verdiensten um die deutsche Bühnenkunst, welche ihm nicht hoch genug angerechnet werden können. Er wandte der Tonkunst die aufmerksamste Pflege zu, bethätigte sich in den Hofconcerten als ausübender Dilettant und faßte endlich den löblichen Vorsatz, an seiner Hofbühne „ausländischen musikalischen Spectakel“ abschaffen und nur noch „große deutsche Singspiele mit vaterländischen Sujets“ aufführen lassen zu wollen. Die Capelle des Kurfürsten war sowohl in Deutschland wie in Frankreich und Italien durch ihre hohe technische Vollkommenheit und ihren fein schattirten Vortrag der Instrumentalcompositionen berühmt; sie besaß die größten Künstler als Mitglieder und genoß auch als bürgerliche Corporation des besten Rufes.

Von diesem Orchester wurde am 5. Januar 1775, im Verein mit italienischen Castraten und deutschen Sängern, auf der Bühne des kurfürstlichen Residenzschlosses die Oper „Günther von Schwarzburg“ von Professor Klein, Musik von Holzbauer, gegeben. Die eingelegten Ballets hatte ein gewisser Cauchery ersonnen, die Musik zu denselben Cannabich componirt. „Eine deutsche Oper, aus der deutschen Geschichte, von einem deutschen Dichter! Deutsche Composition und auf dem besten deutschen Theater aufgeführt! Wer sollte sich nicht über diese heilsame Revolution des Geschmacks freuen!“ ruft das Berliner literarische Wochenblatt von 1776 emphatisch aus. Und es hatte Recht mit seiner Freude. Denn diese Aufführung bedeutete in der damaligen, von französischem Ungeschmack überkleisterten Zeit eine künstlerische That, größer und weittragender vielleicht als manche von nimmerlahmen Recensentenlungen als Kunstrevolution ausposaunte artistische Begebenheit der Jetztzeit. Dieser Kurfürst Karl Theodor muß überhaupt ein guter, empfänglicher Mensch gewesen sein und unter dem französischen Jabot ein echt deutsches Herz getragen haben. Das rühmliche Bestreben des durch Schiller verewigten Buchhändlers Chr. Fr. Schwan, welcher für die Förderung des Geschmacks an der nationalen schönwissenschaftlichen Literatur alles Mögliche aufbot, fand bei ihm ein solch freundliches Entgegenkommen, daß er sogar die Aufhebung seiner französischen Theatertruppe beschloß, und die durch ihn in’s Leben gerufene deutsche Singschule, deren Vorstand und Lehrer der bekannte Abt Vogler war, hat trotz ihrer flüchtigen Dauer eine mehr als blos historische Bedeutung errungen.

Im Jahre 1775 genehmigte der Fürst einen Kostenanschlag von 58,405 Gulden zur „Errichtung eines Komödien- und Redoutenhauses im Mannheimer Schütthause“ (Arsenal). Die Bühne erhielt eine Breite von ganzen zwölf Schrittes das „erkannte man damals“ – wie Eduard Devrient trocken bemerkt – „als den angemessenen Raum für das Schauspiel“. Und er war auch angemessen, wenigstens für die meisten der damaligen Schauspiele. Das Auditorium faßte nahezu 1200 Personen. Marchand, ein tüchtiger Schauspieler und Director einer herumreisenden, ziemlich guten Theatergesellschaft, wurde zum Director ernannt. Eckhof und Lessing, denen man vorher das Amt antrug, hatten abgelehnt.

„Gegen Erhebung eines Entrées“ gab man von Neujahr 1777 an in dem neuerbauten Schauspielhause dreimal wöchentlich Vorstellungen, ein weiterer bedeutsamer Schritt, der ebensowohl für den praktische Sinn des Gründers, wie für die Theilnahme des Mannheimer Publicums spricht. An den prachtvollen Hoftheatern der vielen deutschen Residenzen war nämlich damals noch durchweg die unentgeltliche Vertheilung der Eintrittskarten im Gebrauch, und selbst dadurch wurden die Häuser nicht immer gefüllt. Beamte, Militärs und sonst vom Hofe Abhängige mußten oft förmlich zum Besuche commandirt werden; sogar den Fremden in den Wirthshäusern wurden Freibillets zugetheilt, ja, in Stuttgart ließ der Herzog, um die Sitzreihen zu garniren, manchmal Soldaten in’s Theater führen.

Marchand war verpflichtet, fähige junge Leute in der Kunst zu unterrichten und zu diesem Zwecke wöchentlich zweimal die Grundsätze der Schauspielkunst durch Vorlesungen zu erklären. Bei den dreimaligen wöchentlichen Aufführungen mußte mit Lust-, Sing- und Trauerspielen abgewechselt werden; auch war die Aufführung von Concerten und Oratorien projectirt. Die Mannheimer sollten aber nicht lange Freude von der Marchand’schen Truppe haben: Karl Theodor nahm Anfangs 1778 als nächster Erbe des Kurfürsten von Baiern Besitz von dem baierischen Lande, verlegte seine Residenz nach München und ließ am 15. September jenes Jahres seine „teutsche Schaubühne“ nachkommen. Mannheim drohte trotz der von einem hohen Adel und der Bürgerschaft fast gleichzeitig gegründeten Liebhabertheater und der „Concerts des amateurs“ künstlerisch zu veröden, wie es materiell herunter zu kommen begann, und nur den Bemühungen einiger patriotischer Männer, darunter in erster Linie des Reichsfreiherrn Heribert von Dalberg, ist es zu danken, daß die Gefahr abgewendet wurde. Dalberg war es, der dem Fürsten zuerst den Vorschlag machte, zum Ersatz für die durch Verlegung der Residenz entstandenen Einbußen Mannheim ein Schauspiel zu schenken, und seine unausgesetzten Bemühungen trugen schöne Frucht.

Am 1. October 1778 schickte der Kurfürst dem Freiherrn eine Zuschrift, „die Fortführung einer teutschen Schaubühne in Mannheim betreffend,“ worin in dem antediluvianischen Kanzleistyl der damaligen Zeit versichert wird, daß „Ihre kurfürstliche Durchlaucht es gern sähen, wenn zu einiger Nahrungsbeihülfe der dortigen Stadt und Bürgerschaft eine dergleichen Schau-Bühne durch anderweithe Anordnung einer schicklichen Trouppe beibehalten und fortgeführt werden könnte.“ Gleichzeitig sicherte der Kurfürst einen Jahresbeitrag von 5000 Gulden sowie verschiedene andere Vergünstigungen zu und ernannte Dalberg zum Intendanten des Unternehmens. Man sieht, die Motive, welchen die Idee einer deutsche Nationalbühne ihre Entstehung zu verdanken hatte, waren durchaus nicht idealer Natur. Die Mannheimer selbst fanden lange keinen höheren Maßstab der Würdigung für das, was sie in ihrer Bühne besaßen, als die Freude an der „melkenden Kuh“. Noch im Jahre 1804, als der berühmte Iffland ein Gastspiel in der Stadt gab, bezeichnete die Bürgerschaft in ihrem bei der Theaterintendanz um dauernde Wiedergewinnung des großen Schauspielers bettelnden Schreiben die Schaubühne als „eine reichhaltige Quelle des bürgerlichen Wohlstandes“ und Iffland’s Wiedereintritt als das einzige glückliche Ereigniß, welches dem gesunkenen Wohlstande des Bürgers vor der Hand aufhelfen könne.

Mit freudigem Enthusiasmus und jugendlicher Selbstverleugnung, mit reformatorischem Ernste und praktischer Klugheit setzte Dalberg zum Besten der neuen Bühne anfangs seine ganze Kraft ein. Nach einem vorläufigen, etwas über ein Jahr dauernden Engagement und Wirken der Seyler’schen Gesellschaft, nach anstrengendsten Mühen und Vorarbeiten zur Bildung eines guten, neuen Repertoires und zur Erlangung würdiger Costüme und Decorationsstücke gelang es dem Intendanten, die bedeutendsten Mitglieder des zufällig gerade um diese Zeit sich auflösenden gothaischen Theaters, die Iffland, Beil, Beck und Boeck, für sein Unternehmen zu gewinnen, und so wurde denn am 7. October 1779 die fertig eingerichtete Bühne mit dem Lustspiele: „Geschwind, eh’ es Jemand erfährt“, einem reizenden, von dem damals allbekannten Uebersetzer Bock bearbeiteten Stücke, als „Neues Deutsches Nationaltheater“ eröffnet. Es war ein bedeutsamer Tag. Mitten in der Auflösung der politischen Kraft und Größe Deutschlands, mitten in der Fäulniß einer stagnirenden, auf unsittlichen Voraussetzungen beruhenden Culturepoche wurde an diesem Tage deutscher Kunst und deutscher Poesie eine Freistätte gegründet, welche ihre befruchtenden Keime hinaustragen sollte durch alle deutschen Gauen und weit über sie hinweg in die fernsten Lande. Der glückliche Zufall, welcher Dalberg mit Iffland und dessen Freunden Beil und Beck beschenkte, war für die Entwickelung der deutsche Schauspielkunst von ebenso großer, ja vielleicht von noch größerer Bedeutung, als es derjenige für das deutsche Drama war, welcher Schiller für die erste Aufführung seiner „Räuber“ einen Iffland finden ließ.

Der Einfluß seines kunstbegeisterten Leiters machte sich bei dem neuen Theater nach allen Richtungen hin geltend. Die Stelle eines Intendanten war bisher mit einer ansehnlichen Besoldung verbunden gewesen. Dalberg schlug dieselbe aus, bezahlte seine eigene Loge im Schauspielhause, schoß aus eigenen Mitteln für Garderobe, Musikalien und Bibliothek die ansehnliche Summe

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 742. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_742.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)