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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

schaut aus dem Sacke hervor; quer darüber liegen vier Stangen; auf der Schulter aber ragen ihm gewehrartig längere Stangen, ein Eisenstock, sowie Haue und Schaufel und, wenn der erste Schnee schon liegt, ein Kehrbesen. In der andern Hand hält er, aufgereiht auf einen Stock, ein Dutzend kleiner Vogelbauer, in welchen sich lauter auserlesene Lockvögel befinden. Der Begleiter trägt noch ein paar besondere Bauer mit Lockvögeln und die „Kutschen“ mit denjenigen Lockvögeln, welche zum Martyrtode bestimmt sind. Die „Kutsche“ ist der obere Theil eines alten Cylinderhutes, mit einem beutelartigen Garne versehen, in welches man leicht hineingreifen kann, welches aber einem gefangenen Vogel das Entfliehen unmöglich macht. Kleine, Strickbeutel und das Material für die „Wippe“ und „Flodder“ vervollständigen die Equipirung des Genossen. Bei der Ankunft der Männer auf dem Fangplatze muß die Fangstelle mit der Hütte – wenn nicht, wie auf dem beigegebenen Bilde, statt ihrer ein Gebüsch den nöthigen Schutz gewährt – bereits hergestellt sein, eine Arbeit, die mitunter zwei Tage in Anspruch nimmt, je nachdem das Feld gelegen ist und Schwierigkeiten bietet.

Das Aufspannen des Netzes nimmt eine gute Stunde in Anspruch. Die beiden Flügel werden auf der kahlen Stelle, in angemessener Entfernung von einander, mit zahlreichen Pflöcken am Boden befestigt, sodaß sie wie zwei zum Trocknen ausgelegte Leinwandstücke das Feld bedecken; nur daß das dünne, graue Netzgarn auf dem graulichen Boden erst in der Nähe zu erkennen ist. Jenseit geht ein straff gespanntes Verbindungsseil von der Außenseite der Flügel um einen weiter hinausliegenden Hauptpflock, diesseit führen entsprechend Zugleinen zu einem Pflock, bei welchem der Vogelfänger sitzt. Die Spannung ist so stark, daß jeder Flügel durch ein halbes Dutzend kleiner Pflöcke in seiner flachen Lage erhalten bleiben muß; gerade diese scharfe Spannung aber bewirkt bei geringem Ziehen das Umschlagen der Netze. Jener Flügel, welcher dem Strich, nämlich dem ankommenden Vogelschwarm, entgegensteht, muß zuerst umschlagen, und der zweite Flügel legt sich dann zur größeren Sicherung darüber, was dadurch bewirkt wird, daß man die Zugleine des ersten Flügels kürzer macht. Sobald das Netz ausgespannt ist, geht es an die Placirung der Lockvögel.

Als Lockvögel im Bauer werden nur Buchfinken, Distelfinken, Flachsfinken, Zeisige und etwa noch eine Lerche verwendet. Die Buchfinken und Flachsfinken sind in der Gegend, von welcher hier die Rede ist, häufig geblendet, weil sie geblendet auch im Herbste singen und überhaupt ununterbrochen Laute geben. Sie locken schon ungeduldig, ehe der Vogelfänger den Schwarm hört oder sieht. Die anderen Sänger sind beim Fange nicht zu verwenden, weil sie im Herbste nicht singen, ja theilweise nicht einmal einen Ton von sich geben. Die Lerche läßt nur ihren kurzen, trillernden Ruf erschallen, weshalb man sie als Lockvogel in ganz anderer Weise verwendet, wie wir gleich sehen werden.

Die Vogelkäfige werden ziemlich weit in das Feld hinausgetragen und einige davon in kleine Gruben unter die Netze gestellt. Im freien Mittelraume zwischen den Netzflügeln wird die „Wippe“ angebracht, die Lockvorrichtung für „freie“ Vögel. Nur Finken, Zeisige und Lerchen werden dafür gebraucht, oder vielmehr mißbraucht, denn die Wippe ist ein kleiner Haken, der durch eine Schnur mit der Hütte in Verbindung steht und an welchem ein Vogel, der nicht selten für die Sache dressirt ist, mit einem Fuße befestigt wird, und zwar ist dieser Haken so angebracht, daß er, sobald der Vogelsteller die Schnur anzieht, emporsteigt und der Vogel gezwungen ist, ebenfalls emporzuflattern. Distelfink und Zeisig gewöhnen sich sehr bald an die Wippe; sie flattern auf und setzen sich alsbald auf den Haken, wodurch ihre Situation ziemlich erträglich wird. Die anderen Vögel dagegen, die Lerche besonders, machen durch ihre fortwährenden und verzweifelten Anstrengungen, sich zu befreien die Wippe zu einem Marterinstrument und gehen gewöhnlich hülflos flatternd zu Grunde.

Noch weit qualvoller aber ist für sie die sogenannte „Flodder“ (plattdeutsch für flattern). Da nämlich die Lerche am leichtesten angelockt wird, wenn sie ihresgleichen im Feld spielen und flattern sieht, so befestigt der Vogelsteller, um dieses Lerchenspiel nachzumachen, hundert Schritte von seiner Hütte eine hohe Stange in den Boden, von deren Spitze ein dünnes Seil zur Hütte führt. An dieses Seil befestigt er ein halbes Dutzend Lerchen, indem er die Füße mit starken Zwirnfaden verbindet. Sobald ein Schwarm hörbar oder in der Ferne sichtbar wird, zieht der Mann in der Hütte die Schnur mit aller Gewalt an und die unglücklichen Vögel flattern verzweifelt in die Höhe. Beim Niederfallen reißt ihnen die Stoppel die Brust auf, nicht selten zerbrechen die Füße im Aufschwingen und die herankommenden Vögel, die ihre Schwestern beim Spiel vermuthen, haben es in der Wirklichkeit mit halbtodten, in die Luft geschleuderten Märtyrern zu thun. Die Lerche hält höchstens zwei Stunden, oft, wenn stark „gearbeitet“ wird, nur eine halbe Stunde an der Flodder aus, dann ist sie zu Tode gemartert und wird durch eine neue ersetzt. Die Todte wird in die Koppel zum Verkauf gereiht.

Endlich muß noch der Pfeifen erwähnt werden, die der Vogelsteller an einer Schnur wie einen Rosenkranz um den Hals trägt, meistens kleine, runde, durchbohrte Instrumente, doppelt so dick wie ein Thaler, nebst einigen länglichen Pfeifen. Mit den runden kann er alle Finken und eine Menge anderer Vögel locken, während die länglichen für Lerchen und Pieper bestimmt sind. Doch ist ein gewandter Vogelfänger jederzeit ist der Lage, die meisten Vögel auch mit seiner angebornen Pfeife anzulocken.

Man könnte sich vorstellen, daß es in der Vogelhütte, im Morgengrauen, sehr interessant und anregend zugeht. Indessen kann ich aus Erfahrung versichern, daß man mitunter entsetzlich langweilige Stunden in dem Reisighaufen verleben kann, wenn der erste frostkalte Nordost über die Stoppel bläst und weit und breit keine Feder sich sehen lassen will. Es kann vorkommen, daß an einem Morgen nach einer schönen, mondhellen Mitternacht keine Lerche mehr zu erblicken ist oder nur noch vereinzelt eine auftaucht. Die Hauptschaar hat alsdann die Nachtzeit zur Reise benutzt, und die Vogelsteller versichern, daß bald große Kälte eintrete, wenn die Vögel bei Nacht ziehen. Der alte Finkler pflegt auch nicht der liebenswürdigste Genosse zu sein; überdies raucht er aus einem schwarzbraunen kölnischen Pfeifenstück ein Kraut, das keinesfalls in Virginien gewachsen ist, und schöpft unermüdlich Geduld und Hoffnung aus einem Geduldbrunnen, den er in Gestalt einer riesigen Schnapsbulle am Busen trägt und den er immer bereit halten muß, für den Fall, daß ein griesgrämiger Bauer quer über Feld käme, oder der nachdenkliche Flurschütz seine Nase in das Geschäft stecken möchte. Wenn es ein gottloser Vogelsteller ist, dann flucht er, daß alle Heiligen im Himmel zusammenlaufen, und wenn es ein frommer, gar ein ultramontaner Finkler ist, dann betet er einen Rosenkranz nach dem andern ab, wobei ihm die Pfeifenschnur die besten Dienste leisten kann.

Bei großer Windstille und warmer Witterung geht der Strich hoch; bei scharfem Wind und zunehmender Kälte streichen die Vögel tief unten am Boden hin. Die meisten kleineren und schwächeren Arten suchen mit großer Vorsicht und Aengstlichkeit die tieferen Mulden auf, welche vor dem heftigen Windzug Schutz gewähren, und hierin liegt eben der Grund, weshalb der Finkler bei der Anlage seiner Hütte mit Verständnis vorgehen muß. Er muß auf jeder Anhöhe genau wissen, welchen Punkt ein Schwarm zunächst aufsuchen wird bei gutem oder conträrem Wind. Ein Umstand erleichtert ihm seine Studien: der Vogel kehrt immer auf dasselbe Terrain, auf dasselbe Absteigequartier zurück, und wenn ihm in demselben auch im Laufe der Zeit noch so viel Verfolgungen bereitet worden sind. Man darf mit Sicherheit annehmen, daß in den Schwärmen sich alte, erfahrene Bursche befinden, die auf dem Punkte schon einmal mit genauer Noth dem Garn entschlüpft sind, aber das hindert sie nicht an der Wiederkehr. Genau dasselbe wird in Italien beobachtet, wo in einzelnen Alpenschluchten und insbesondere auf der römischen Campagna immer dieselben Gefahren drohen. Doch kann man auch erkennen, wie von jenen im Lerchen- und Finkenschwarm befindlichen alten Herren stets einige Warner bei der Annäherung an das Garn sich absondern oder einen Umweg machen ehe sie sich der verlockenden Stätte nähern.

Die Lerche macht sich meistens zuerst durch ihr Geschrei bemerklich. Oft geht sie so hoch, daß man sie im dämmerigen Morgen nicht sehen kann, und dann muß mit der Pfeife hartnäckig ihr Ruf beantwortet werden; sobald sie in Sicht kömmt, wird die „Flodder“ in Bewegung gesetzt. Die Anwendung dieses grausamen Lockmittels hat gewöhnlich die gewünschte Wirkung: die Lerchen welche weitab von der Vogelstätte hinziehen, halten sofort und schwenken ein, wenn sie die Schwestern in der Luft flattern sehen. Jetzt ist es Zeit, daß die Finkler in der Hütte sich ducken; nur noch die Lerche an der Wippe wird in die Höhe geschnellt, und plötzlich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_738.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)