Seite:Die Gartenlaube (1879) 737.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Vogelsteller am Niederrhein.
Von F. A. Bacciocco.

Man braucht sich unter einem Vogelsteller oder Finkler nicht gerade eine romantische Figur vorzustellen, wie jener Herzog Heinrich gewesen sein mag, welcher vom Vogelherde weg auf einen Herrscherthron gerufen wurde; im Gegentheil, gewöhnlich sind es vielmehr ziemlich unansehnliche, abgerissene alte Knaben, die auf einen romantischen Nimbus nicht viel geben. Die meisten haben auch schwerlich eine Ahnung, daß einmal Einer aus der Genossenschaft „vom Geschäft weg“ berufen wurde, um das widerspänstige Volk der Germanen zu regieren. In der neuesten Zeit hat bei uns sogar die Gesetzgebung mit der Pietät gegen diese alt-kaiserliche Passion gebrochen und dem Vogelfänger-Gewerbe einen Riegel vorgeschoben. Kein Wunder daher, wenn das Geschäft jetzt reißend bergab geht. Schon seit länger sind übrigens die alten Finklerfiguren immer rarer geworden. In den alterthümlichen stillen Städten am Niederrhein und auf dem vlämischen und wallonischen Boden Belgiens und Hollands floriren sie noch mitunter und gehen, unbekümmert um den Drang und die Wandlungen der Zeiten, in den verschiedenen Jahreszeiten ihrer Passion nach. Für den Vogelsteller existirt eine Hauptsaison: im Herbste, wenn der „große Strich“ kommt, ferner im Frühjahre eine kleine Saison, wenn die Vögel wiederkehren. Leider machen die passionirtesten Finkler sich noch eine dritte im Juni und Juli, um die Brut- und Nährzeit.

Niederrheinische Vogelsteller.
Nach der Natur aufgenommen von Simmler.

Wenn der Finkler zum großen Striche ausrückt, bietet er mit seiner vollständigen Ausrüstung einen ungewöhnlichen Anblick, dessen das große Publicum freilich nur selten sich freuen kann, weil die Ausrückzeit zwischen zwei und drei Uhr Morgens fällt. Mit Sack und Pack tritt er beim ersten Morgengrauen den Gang durch die Straßen in’s Feld an. Eine mäßige Anhöhe mit einer sanften Einsattelung, die sich möglichst gleichförmig und weit ausdehnt, ist sein Lieblingsterrain.

Nicht jeder Grundbesitzer gestattet den Vogelstellern die Auslegung der Netze. Die ärmeren Bauern erheben wohl zuweilen eine kleine Steuer. Die wohlhabenden Liebhaber, welche auf eigenem Grund und Boden oder auf dem Feld eines Bekannten ihr Netz ausspannen können, sind daher am besten daran. Der Reisende, welcher im Spätherbste auf der Eisenbahn in das Niederland hineinfährt, oder noch besser auf einer der platten Landstraßen aus dem Preußischen in das Holländische oder Belgische hineinkutschirt, bemerkt ab und zu auf den Stoppelfeldern kleine, unansehnliche Reisighütten bei ausgerodeten und dunkleren Stellen, und aus den Hütten taucht zuweilen ein Mensch auf und läuft eilfertig auf dem Platze hin und her, wie Jemand, der etwas verloren hat: dort sind die Finkler bei der Arbeit. Gut gelegene Anhöhen mit breitem Rücken und geräumigen Einsattlungen sind oft mit zahlreichen solchen Hütten bedeckt.

Das Gepäck des ausziehenden Vogeltödters ist complicirt und schwer, und beim Fange mit dem Doppelflügelgarne müssen wenigstens zwei Männer betheiligt sein. Auf dem Rücken hat der Eine den großen Sack mit dem Garne; allerhand Drahtzeug und Netzwerk

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 737. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_737.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)