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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


5.

Der nächste Frühling traf mich in Rom.

Der Ungehorsam meiner Abtheilung bei jener Execution hatte die Regierung arg aufgebracht, aber des öffentlichen Skandales wegen wagte man nicht, öffentlich gegen uns vorzugehen. Dagegen suchte man die unsichere Compagnie dadurch zu discipliniren, daß man ihr andere und zwar französische Officiere gab und auch die Unterofficiere zum größten Theil wechselte – Officiere und Unterofficiere traten nun in der rücksichtslosesten, provocirendsten Weise gegen die Abtheilung auf. Das Resultat war natürlich nur eine hochgradige Erbitterung der im Uebrigen verlässigen Leute, die sich bei der Executionsaffaire hatten fühlen gelernt und deren Abneigung gegen das Regime, dem sie dienten, immer offenbarer wurde. Später, als die Schläge, welche im Sommer 1870 die stolze napoleonische Armee trafen, auch in Rom ihre Wirkung äußerten, haben diese Dinge nicht wenig dazu mitgewirkt, daß die päpstliche Regierung gerade ihre militärisch besten Truppen, die Deutschen, gegen die anmarschirenden Italiener gar nicht zu verwenden wagen durfte.

Was mich, den Hauptschuldigen bei der Affaire, betrifft, so hatte mich ein in den Salzsümpfen von Fiumicino geholtes Fieber der mir ohne Zweifel besonders zugedachten Chicanen der neuen Strafofficiere überhoben. Man hatte mich nach Rom in’s Lazareth senden müssen, das ich nach langer, erfolgloser Cur dienstunfähig verließ, um als Reconvalescent nach Belieben über meine Zeit zu verfügen.

Schleichenden Schrittes durchwanderte ich der Tiberstadt reiche Kunstsäle und ihre mächtigen, erinnerungsreichen Trümmerstätten, vor allem aber ihre herrlichen Parks und Anlagen, in denen ich Erquickung und Genesung für den fiebergefolterten Leib suchte. Für die Seele konnte ich freilich keine finden. Jene Hinrichtungsscene hatte meinen bisherigen Erfahrungen in Rom die Krone aufgesetzt, und das gräßliche Bild wollte mir im Wachen und Träumen nicht mehr aus dem Sinn. Nur fort, fort aus dieser Hölle der Menschheit, aus diesem Lande, das die Priester mehr als irgend ein anderes zu einem Jammerthal gemacht, fort, um so viel geistiges und körperliches Elend des Volkes und so viel Verdorbenheit und Infamie der Herrschenden nicht länger ansehen zu müssen! In diesem Wunsche concentrirte sich all mein Sehnen, und ich fühlte, daß ich auch körperlich nicht gesunden könne, ehe ich nicht die Pestatmosphäre der päpstlichen Tiberstadt mit der rauheren, aber reineren Luft jenseits der Alpen vertauscht haben würde. Darum hatte ich auch bereits nachdrückliche Schritte zu meiner Dienstentlassung gethan, sodaß meine lange ersehnte Abreise in die Heimath in naher Aussicht stand.

Aber noch waren nicht alle Fäden zwischen mir und Rom zerschnitten, denn eine heilige Pflicht blieb mir noch zu erfüllen: die Förderung des Processes Boticelli’s, des armen verfolgten Freundes Befreiung und Rehabilitirung. Von dem Augenblick an, wo ich meines Körpers wieder einigermaßen mächtig war, bemühte ich mich an allen mir in der Sache von Einfluß scheinenden Stellen, aber ein Achselzucken über den sonderbaren Schwärmer, die Versicherung, daß man auf die Gerechtigkeit der Generalinquisitoren unbedingt bauen dürfe und daß man mich schon werde zu finden wissen, wenn man meines Zeugnisses bedürfe – das war Alles, was ich zu erreichen vermochte. Ich schrieb an den Hauptmann und an Werner – ihr Zeugniß war ebenso wenig gefordert worden, wie das meinige. Ich erkundigte mich nach dem Schicksale Boticelli’s – man gab mir keine Auskunft; die Wirksamkeit des heiligen Tribunals war in ein undurchdringliches Geheimniß gehüllt.

Eines Nachmittags hatte ich wieder solch einen vergeblichen Versuch gemacht und war dabei rundweg angewiesen worden, nicht wieder zu kommen und überhaupt meine „Nörgeleien“ aufzugeben. Von Wortgefecht und Gemüthsaufregung ermüdet, flüchtete ich mich ist die schattigen Haine und südlichen Zaubergärten des Monte Pincio, um in der balsamischen Luft dieser üppigen Vegetation zu ruhen und – zu träumen. Ja, zu träumen! Denn wer vermöchte es, kalt und berechnend nur an die Interessen des Tages zu denken an solcher Stelle, den Blick auf das einzige, sinnberauschende Bild jener Stadt der Städte gerichtet, deren Name allein die Erinnerung an Jahrtausende wachruft! Von den tropischen Yuccabäumen, Agaven, Cacteen und Palmen des Monte Pincio aus übersieht der staunende Blick die Denkmale dreier Jahrtausende, die Erinnerungszeichen zahlreicher Völker von Nah und Fern, von Abend und Morgen, die in Entstehen, Glanz und Untergang die Stadt geschaut, welche zweimal den Erdkreis beherrscht!

Die Weltherrschaft des alten und des neuen Rom ist gesunken, aber beide haben tiefe Spuren zurückgelassen. Welche von ihnen war für die Menschheit sind ihr Fortschreiten ersprießlicher? Die erste unterwarf sich die Welt mit Feuer und Schwert und Gewaltthat jeder Art, aber sie vermittelte ihr die Cultur. Die andere brachte zehnmal mehr Schrecken über die Menschheit, und was sie der Welt geschenkt, ist noch in seinen Resten der freien Entwickelung geistigen Lebens hinderlich. Um wie viel mehr mußte es ihm hinderlich sein an der Tiber selbst, wo das ganze Land unter diesem modernden Getrümmer begraben lag. Und noch war keine Aussicht, daß der Erlöser bald kommen würde, der die für ihre Beherrscher büßende Stadt befreien sollte von dem Fluch der Tiara.

So dachte und träumte ich, alles Lebende rings umher vergessend, bis mich die Dämmerung überraschte und Fieberfrösteln mich zum Aufbruch zwang. Durch die Ripetta und das vaticanische Viertel schritt ich eilig meinem Quartier in Trastevere zu. Da, als ich die Engelsbrücke überschritt, hörte ich von der Courtine der Engelsburg herab meinen Namen rufen und entdeckte hinaufblickend bald einen Bekannten, der, zur Besatzung des Hadrianscastelles gehörig, mich einlud, zu ihm in die Veste hinaufzukommen und den Abend bei ihm zu verbringen. Ich folgte seiner Einladung.

Die Engelsburg, das alte Mausoleum Hadrian’s, ein riesiger Cylinder auf quadratischem Unterbau, von starken Befestigungen umgeben, ist die Bastille der Tiberstadt. Seit neunhundert Jahren diente sie als Festung, welche die Stadt am linken Tiberufer beherrschte und in der die friedlichen, von ihrem Volk geliebten Päpste oft Schutz vor Gefahren suchten und fanden. Zugleich befanden sich in ihr auch die berüchtigten Staatsgefängnisse, die unter dem „milden“ Regime des Vaticans stets überfüllt waren.

In der That sah es sehr kerkermäßig dort droben aus. Auf dem Casemattenhofe, in dem das Wachlocal meines Bekannten lag, waren ein paar mit Eisen an Händen und Füßen belastete Gefangene mit Arbeiten beschäftigt, und Kerkermeister mit ihren Schlüsselbunden und Stöcken gingen ab und zu, die Gefangenen mit herrischen, rohen Worten anfahrend. Die einförmigen, düsteren Festungsgebäude, der kahle Hof, der riesige Thurm mit seinen zahlreichen vergitterten Fenstern – all das machte einen düsteren Eindruck auf mich, und ich sagte meinen Bekannten, daß ich höchst unglücklich sein würde, hier länger Dienst thun zu müssen. Mein Gastfreund aber meinte, es sei doch wohl nicht ganz so schlimm; käme doch selbst manches hübsche Mädchen herauf, sich um ihre gefangenen Verwandten bekümmernd. „Sieh nur,“ fuhr er mit einem Blick nach dem Thor fort, „dort ist gleich eine. Ich muß doch hingehen und sie näher ansehen.“

Es war eine Landbewohnerin, und ihre hohe Gestalt und würdevoll gemessene Haltung zogen mich eigenthümlich an – ich glaubte sie zu kennen, aber es war wohl nur Einbildung, denn diese imponirende Haltung ist das Erbtheil aller Latierinnen, und gingen sie in Lumpen und wären sonst häßlich wie die Nacht.

Mein zurückkehrender Freund brachte mir, nachdem das Mädchen wieder gegangen, einigen Aufschluß über dasselbe. Seit Wochen, sagte er, komme das Mädchen, dessen Schönheit und Anmuth er nicht genug rühmen konnte, alltäglich und übergebe dem Gefangenenwärter ein Körbchen mit Früchten, Käse u. dergl. für ihren in der Burg gefangen sitzenden Vater. Oefters schon hätte er die Schöne gern angesprochen, aber ihr würdiges Wesen und vor Allem die tiefe Trauer, die auf ihren schönen Zügen liege, halte ihn von jedem platten Scherze ab und nöthige ihm inniges Mitgefühl und Achtung ab. Es that mir nun doch leid, daß ich nicht an das Mädchen herangetreten war; ich vergegenwärtigte mir immer auf’s Neue ihre Gestalt und ihr Wesen, die mir so bekannt gedünkt. Aber ich konnte zu keiner Klarheit kommen, und da ich an der Sache wärmeren Antheil nahm, als ich mir zu erklären vermochte, rief ich den eben vorübergehenden Kerkermeister, der vorhin mit dem Mädchen gesprochen, an und fragte ihn, ob er nichts Genaueres über die Besucherin wisse.

„Ah,“ erwiderte der Mann mit widerlichem Lachen, „das schöne Kind hat Euch in die Augen gestochen – wie? Nun, da kann ich Euch dienen; ’s ist eine gute Freundin von mir. Aber

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 726. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_726.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)