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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ledig zu werden, den letzteren, der Führung des ersteren entwunden, an Fels und Baum zu zertrümmern und dann sich zu flüchten. „Woraus man sieht“ – schließt Steller richtig – „wie sehr die Lebensart unvernünftige Thiere verändert und welchen großen Einfluß sie auf die Hundeseele hat.“

Kane, der Nordpolarreisende, und Andere sprechen sich über die Eskimohunde ähnlich aus. Steller’s Mittheilung ist die sprechende Zeichnung eines herabgekommenen Hundes, dessen Urzüge sich trotz seiner unverwüstlichen Natur nur mit Noth und allenfalls blos wiedererkennen lassen in den von Kane beschriebenen muthigen Kämpfen der Hunde mit dem grimmen Eisbär. Sind solche Thatsachen nicht ernste Fingerzeige für die Behandlung unserer Hunde? Welcher vernünftige und humane Thierkundige wird nun noch aus der Verwendung der nordischen Hunde-Arten zum Zugdienste den Schluß ziehen wollen, daß auch der gesittete Culturmensch seine Hunde zu gleichen oder ähnlichen Zwecken gebrauchen könne oder solle?

Aber was bedarf es überhaupt des Hundes zum Zugdienste in unseren civilisirten Ländern! Ist etwa Mangel an anderen, viel besser dazu verwendbaren Hausthieren? Pferd und Maulthier, Esel und Ochse sind zur Genüge vorhanden. Alle diese Haustiere sind von Alters her in’s Gespann gebracht worden, ohne daß irgend eine Abnahme der typische Formen der Arten oder gar eine Ausartung sich bemerkbar gemacht hätte.

Wie anders zeigen sich die Folgen beim Hunde, wenn er zum Elende des Fuhrwerks verurtheilt ist! Wer begegnete nicht schon keuchenden, lechzenden Hundegerippen vor Schiebkarren und Fuhren der Marktkrämer? Da arbeiten die geplagten Thiere mit den Flanken vor übergebührlicher, aufregender Anstrengung. Die Zunge streckt sich vor als das Organ, an welchem sich fast ausschließlich der Schweiß des Hundes absondert, und wenn endlich Halt gemacht wird, so fällt das arme, verhetzte Thier – ja oft unterwegs schon – vor Ermattung hörbar auf den Bauch, daß es zum Erbarmen ist. Wie oft auch empört bei solchen Martern des armen Thieres die rauhe Behandlung der Führer, die dem erschöpften Gespanne die Arbeit mit Schlägen statt mit Dank und guter Pflege lohnen!

Den so benutzten Hund sehen wir denn auch bald zu einem erbarmenswerthen Bilde herabsinken. Die Haare auf dem äußerst abgemagerten Körper werden struppig und glanzlos; der Rücken krümmt sich; die Gruppe wird abschüssig, und die Hinterbeine nehmen in den Knieen eine dem spitzen Winkel sich nähernde Beugung an, zufolge deren das Thier nicht mehr, wie sonst, auf die Zehen, sondern auf die ganzen Sohlen tritt: vor der Zeit ein Greis geworden geht es den Schritt des alten Hundes.

Wir ziehen aus solchen Thatsachen den Schluß: der handwerksmäßige Gebrauch des Hundes zum Zugdienste ist eine Thierquälerei. Die Duldung derselben in Culturstaaten erweist sich als Ungerechtigkeit und Undank gegenüber unserem intelligentesten Zöglinge und treuesten Genossen in der Thierwelt. Hülfe und Befreiung von dem Drang und Zwang des widernatürlichen Fuhrwerks und Zurückführung unseres Hundes in seine eigentliche Sphäre, ist die freie, aus Liebe zum Herrn und Lust zur Sache dictirte Wirksamkeit, in Haus und Hof, in Wald und Feld, in die Tiefe der Schluchten und auf die Höhe der Berge – das ist die gerechte Forderung der vernünftigen Humanität an unsere Gesetzgeber und Regierungs- und Polizeibehörden.

Adolf Müller.




Ein Morphiumsüchtiger.


Das letzte Zeichen zur Abfahrt des Frankfurt-Berliner Nachtschnellzuges war von der Dachhöhe des Main-Neckar-Bahnhofes zu Frankfurt am Main erklungen. Ich hatte mir einen Schein zur Benutzung des Schlafwagens gelöst und in dem bequem eingerichteten Raume meinen Platz eingenommen. Mir gegenüber saß dichtverhüllt ein Herr, dessen Alter ich im ersten Augenblicke auf fünfzig bis sechszig Jahre schätzen zu müssen glaubte. Bei genauerer Betrachtung verriethen seine von Blässe angekränkelten Gesichtszüge ein jugendlicheres Alter. In der kleinen Vorhalle des uns Beiden zugewiesenen Schlafraumes hatte ich bei dem Einsteigen einen strammen Burschen in militärischer Haltung bemerkt, welcher unverwandt seine Augen durch die halbgeöffnete kleine Cabinetsthür auf den erwähnten Fahrgast richtete. Wenn auch diese eigenthümliche Situation gerade keinen sehr anheimelnden Eindruck auf mich machte, so glaubte ich dennoch eine Aenderung in meiner Platzverfügung nicht vornehmen zu sollen; war ich auf meinen vielen Reisen doch schon mit manchem unheimlicheren Fahrgaste zusammengerathen, und so dachte ich denn: auch dieser wird keiner der gefährlichsten sein.

Der gemüthliche Zugführer, mit welchem ich im Jahre 1870 bei Mars-la-Tour als Camerad im Feuer gestanden, rief sein schmetterndes „Ferrrtig!“ in die stürmische Märznacht; der Zug setzte sich in Bewegung und fuhr dröhnend über die breitbogige Mainbrücke, der Station Sachsenhausen zu, dem Heimathlande des Apfelweins. Kaum hatten wir das Weichbild der Stadt Frankfurt verlassen, als mein bärenbepelzter Nachbar sich regte und zu der mittlerweile etwas geöffneten Thür unseres Cabinets den Namen „Conrad“ hinausschnarrte. Mit Blitzesschnelle stand der vorher erwähnte Diener vor seinem Herrn, in der Hand ein Ledertäschchen, welches er jenem darreichte.

„Nein!“ herrschte dieser seinen dienstbaren Geist an, „wenn ich diese Gifttasche zehnmal verlangen sollte, hast Du mir solche heute Nacht entschieden zu verweigern.“

Der Bursche machte, ohne eine Miene zu verziehen, Rechtsum kehrt, mit dem militärischen „zu Befehl, Herr Major!“ – um sofort seinen Posten vor der Thüre wieder einzunehmen.

Mein Nachbar lehnte sich wieder ruhig in seinen Sitz zurück, ich aber konnte mich über die eigenthümliche Scene nicht beruhigen. Der Gedanke, daß ich muthmaßlich, wenn auch nicht mit einem Wahnsinnigen, so doch mit einem Menschen beisammen saß, dem ein gehöriger Käfer im Gehirn rumorte, ließ mich ihn keinen Moment aus dem Auge verlieren. Der persönliche Eindruck des Menschen war ein krankhafter. Das Unterhautzellgewebe seines Gesichts und seiner Hände schien verschwunden; die Farbe seines Antlitzes war aschgrau, und eine eigenthümliche Schweißabsonderung perlte auf seinen Wangen. Sein Mund war bläulich-blaß, sein Auge glanzlos, mit ungewöhnlich verengten Pupillen von ungleicher Weite, sein Blick matt, abgespannt und scheu. Die Schleimhaut des Mundes schien sehr trocken zu sein, denn mit zitternder Zunge bemühte er sich zeitweilig, die runzligen Lippen zu befeuchten.

Als wir ungefähr eine Stunde, ohne ein Wort mit einander zu wechseln, gefahren waren, athmete mein Nachbar auf einmal tief auf; seine Respirationsthätigkeit beschleunigte sich und er fuhr von Zeit zu Zeit mit der rechten Hand nach der Gegend des Herzens, einen tiefen Seufzer ausstoßend, welcher eine eigenthümliche Beklemmung der Brustorgane verriet. Die sonderbare Veränderung in dem Zustande meines Nachbars war mir peinlich; ich glaubte das Recht zu haben, denselben anzureden und ihm mit der Frage, ob ihm nicht wohl geworden sei, meine Hülfe durch Ueberreichung eines Schluckes Cognac anzubieten.

Der Leidende nahm die dargebotene Flasche mit dankbarem Blicke entgegen und entleerte in kräftigen Zügen fast die Hälfte des Inhaltes. Sofort erglänzte sein mattes Auge; er drückte mir beim Zurückreichen der Flasche kräftig die Hand und sagte: „Sie haben mich seit einer halben Stunde scharf beobachtet, mein Herr, und ich las in Ihren Zügen eine eigenthümliche Scheu, die Sie mir entgegenbrachten; eigenthümlich muß Ihnen freilich die Rede erschienen sein, die ich bei Beginn unserer Fahrt mit kurzen Worten an meinen Diener richtete, aber ich hatte mir einmal vorgenommen, heute enthaltsam zu sein, denn es muß ja endlich einmal ein neues Leben angefangen werden, und dazu habe ich mich nun entschlossen.“

Auch diese mir nicht so recht zusammenhängend erscheinenden Worte konnten meine Zweifel über den sonderbaren Fahrgast nicht zerstreuen; ich bat daher um Aufschluß über die mir unverständliche Mittheilung und erfuhr, daß er activer Officier sei, längeren Urlaub zur Wiederherstellung seiner Gesundheit genommen habe und sich auf dem Wege nach der Heilanstalt des Dr. Levinstein in Neu-Schöneberg bei Berlin befinde. Da mir diese Anstalt als ein Asyl für Nervenleidende bekannt war, so bemerkte ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 721. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_721.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)