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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

und Verschütteten, überschaut dann mit einem Blicke alle dem Menschen gewidmete Dienstleistungen dieser bevorzugtesten Thierfamilie – und ihr werdet den treuesten Genossen des Menschen, der diesem in alle Zonen der Welt gefolgt ist, in seiner ganzen Bedeutung schätzen lernen.

Einem so wichtigen Bundesgenossen ist somit der Mensch ebenso sehr Aufmerksamkeit, wie Rücksicht, Gerechtigkeit und Dankbarkeit schuldig, und so ist denn auch die Frage, welche neuerdings wiederholt von den Thierschutzvereinen des gebildeten Europas in den Vordergrund der Besprechung gerückt wird, die Frage, ob der Hund als Zugthier zu verwenden ist, eine wohlberechtigte.

Die kleineren Racen kommen hier nicht in Betracht, die mittelgroßen und stärksten Arten allein trifft die Frage. Da begegnen wir denn dem Schäfer-, dem Hühner- und selbst dem größeren Haushunde, dem klugen, gelehrigen Pudel, dem Fleischerhunde, den großen Doggenracen, wie der englischen Dogge, der Bulldogge, dem Bullenbeißer, der dänischen Dogge oder dem „Blendling“ des Waidmannes, dem Saurüden und selbst dem fein- und hochbeinigen Windhunde; da gewahren wir den Bernhardiner und neben ihm den Bergamasker und Ulmer Hund, sowie den merkwürdigen Neufundländer oder dessen Abkömmlinge von der Kreuzung mit dem ersteren, die Leonberger: sie alle in dem Zwang und Drang einer „Scheere“ als Einspänner oder aber als Zwiegespann an der Deichsel.

Betrachten wir aufmerksam die Leibesgestalt aller dieser als Zugthiere figurirenden Hundearten, so erkennen wir an ihren Bewegungen auf den ersten Blick in ihnen Zehengänger, das heißt: solche, die beim Gange auf den vorderen Theil ihrer Pfoten, die Zehen, treten. Die Pfote stellt sich als ein elastischer, gegliederter Fuß mit mehr oder weniger körnig-häutigen Ballen dar, eine Gliedergestaltung, die sich schon beim flüchtigsten Beschauen als gründlich verschieden von dem Fuße der Ein-, Zwei- und Vielhufer zeigt. Dieser, der Huf, ist eine hartgewordene Pfote, von einer widerstandsfähigen Hornmasse panzerartig umgeben, unter welcher sich die Zehen nur unentwickelt erkennen lassen. Und doch, während man diesen ungleich festeren Stützpunkt durch Hufeisenbeschlag noch fester gestalten zu müssen glaubt, sieht man ohne Gewissensbeschwerden zu, wie bei dem ziehenden Hunde die Zehen der Pfoten sich widernatürlich auseinanderspreizen, wie endlich ebenso widernatürlich die Sohle des Thieres mit in Anspruch genommen wird, bis abgenutzte Zehen und wunde Füße als Folge dieses Mißbrauchs heraustreten. Und nun die Beine des Hundes! Sie sind durchgängig schlank und mager und ruhen auf verhältnißmäßig kleinen Pfoten, ermangeln alles Stämmigen, Derben, sowie besonders eines breiten festen Stützpunktes, wie ihn so charakteristisch der Huf darstellt. Die Pfoten sind nichts Anderes als die Hülfsmittel zu raschem Lauf und gewandter Bewegung.

Zu gleicher Erkenntniß führt uns die Untersuchung des Rumpfes, des Halses sowie des Kopfes und der Brust. Der Leib des Hundes ist mager, schlank und gestreckt, in den Weichen eingezogen, der Hals eher schwach und kurz, als derb, kräftig und lang, das Genick und die Stirnbildung der gerade Gegensatz zu den entsprechenden Theilen des Rindviehes, dessen Zugvermögen bekanntlich in der mächtigen Stirn und der Stärke des Nackens liegt. Das Brustskelet des Hundes ist zwar normal und nicht unkräftig gebaut, aber entfernt nicht mit dem Vordertheile der Einhufer, insbesondere unseres Zugpferdes zu vergleichen; dem Brustgerüste fehlt der mächtige Vor- und Aufbau, der den immerwährenden Gegendruck aushält, welchen die Fortbewegung von Lasten erheischt. Neben dem Körperbau fällt nun noch ein anderes Moment, das der Bewegung unseres Hundes, in’s Gewicht. Es ist der quere Gang desselben, wonach die Hinterbeine neben die Vorderläufe gesetzt werden, während beim geraden Gange unserer Zugthiere der Hinterfuß in die Spur des entsprechenden Vorderfußes tritt. Der schiefgehende Hund kann also nicht wie das Pferd, das Maulthier, der Esel etc. geradeaus ziehen, seine Brustgerüste gleichmäßig dem Gegendrucke hingeben, sondern wird bei dem Zugprocesse einseitig wirken und deshalb eine übergroße Kraftanstrengung anwenden müssen, um eine Last geradeaus zu bewegen.

Wenn wir alle diese hervorgehobenen Merkmale und Momente in’s Auge fassen und mit den einschlagenden Vergleichspunkten der zu Spanndiensten von jeher gebrauchten und herangebildeten Arten unserer Hausthiere zusammenhalten, so ergiebt sich uns gleichsam von selbst der Schluß, daß der Gebrauch des Hundes zum Ziehen ein – leider nur allzutief eingewurzelter – Mißbrauch ist.

„Aber“ – so hören wir im Geiste Manche einwenden, die es mit unserem Schützlinge nicht so ernst und genau nehmen wollen – „wir sehen doch die meisten Hunde mit ungemeinem Eifer vor den mannigfachen Fuhrwerken an uns vorüber eilen, gewiß ein Zeichen, daß die Thiere Neigung, Kraft und Ausdauer für den Zugdienst haben. Fliegen ingleichen nicht die Eskimos, die Sibirier, die Kamtschadalen, die Hasenindianer und viele andere nordische Stämme mit Hundeschlitten über die Schnee- und Eisfelder dahin, und könnten diese Völker ohne den Hund sich ergiebig fortbewegen, ihre Jagd betreiben, mit einem Worte: leben?“

In diese und ähnliche Einwendungen mischt sich wohl auch der alte Sermon und die Logik der teleologischen und theologischen Stimmen. Der Hund – so mag es aus diesen Lagern schallen – sowie überhaupt das Thier ist blos geschaffen zum unbedingten Dienste des Menschen, warum nicht auch zum Zug- und Lastthiere? Das verstand- und seelenlose Thier ist allein um des Menschen willen da, der für dasselbe denkt.

Daß dem Thiere – so erwidern wir in der Sprache einer vernünftigen Humanität des neunzehnten Jahrhunderts – keine Seele eigne, das kann nur das eingewurzeltste Vorurtheil gegen eignes, richtigeres Gefühl und gegen zahlreiche Zeugnisse für das Gegentheil behaupten. Aber selbst gesetzt, daß der Hund nicht durch diesen Umstand unserer Rücksicht näher gerückt wäre, so muß sich, wenn der Mensch für das Thier denkt, dieses sein Denken auch auf seine bessere menschliche Erkenntniß gründen und sein Thun und Handeln nach seinem edleren Fühlen lenken.

Denjenigen, welche es leichter mit unserem Thiere nehmen, entgegnen wir: allerdings greift der Hund vielfach mit Eifer in die Stränge des Gespannes, aber aus dem alleinigen Grunde, weil er vor allen Thieren gerade dasjenige Wesen ist, das Alles, was es thut, mit großer Energie und Ausdauer verrichtet. Es ist sein glühendes Temperament, es ist die Hingabe an seinen Herrn, es ist das Aufgehen in dem Menschen, was ihn Alles, auch das ihm nicht Zusagende, mit der Hochherzigkeit und dem Feuer seiner Seele ergreifen läßt. Aber ob er „mit urkräftigem Behagen“ gegen seine natürlichen Anlagen und Neigungen die ungebührliche Last hinter sich herschleppt, das ist hier die wohl zu erwägende Frage.

Die Thatsache, daß die nordischen Völkerschaften den Hund als Zugthier gebrauchen, steht fest. Die Mittheilungen guter Forscher und Polarfahrer bezeugen es. Aber was und wie berichten uns diese Gewährsmänner über dieses Thema? Jene Volksstämme bedürfen des Hundes als Zug- und Lastthier, weil sie überhaupt in dem unwirthlichen Klima und in den primitiven Verhältnissen ohne ihn gar nicht existiren und denselben auch durch kein anderes Hausthier ersetzen können. Nur da, wo neben ihm das Renthier vorkommt, sehen wir vielfach dieses für ihn in das Joch treten.

Und wie steht es mit der Behandlung und dem Aussehen der nordischen, zum Zug- und Lasttragen benutzten Hunde? Der Hund auf Kamtschatka wird uns als ein verkommenes, erbärmliches Wesen geschildert, das vom Frühjahre bis zum Herbste der Freiheit genieße, sich vom Fischfang ernähre, das aber zur Winterzeit von den Einwohnern wieder aufgegriffen werde, um es an den Pfosten der Hütten anzulegen und hungern zu lassen, bis ihm das Fett vom Sommer vergangen. Das durch dieses Hungern zum Zuge vor dem Schlitten fertiggemachte Thier versehe nun den Winterdienst. Jetzt geht, nach des Polarfahrers Steller Mittheilung, „der Hunde Noth an, sodaß man sie Tag und Nacht mit gräßlichem Geheul und Wehklagen ihr Elend bejammern hört.“

„Von dem heftigen Ziehen und Anstrengen wird das Geblüt, sowohl in den inwendigen als äußerlichen Theilen, mit solcher Gewalt gepreßt, daß auch die Haut zwischen den Zehen der Füße rötlich wie Blut wird.“

Diese Thiere sind nach Steller durch solche Behandlung wie Armesünder furchtsam, schwermüthig und im höchsten Grade mißtrauisch geworden; keine Spur von Liebe und Anhänglichkeit an den Herrn oder Interesse an dessen Hab und Gut beherrscht sie; sie müssen mit List oder Gewalt an das ihnen verhaßte Fuhrwerk gebracht werden. Ihr Sinn ist sogar darauf gerichtet, des Herrn und des Schlittens an gefährlichen Abhängen und Ufern los und

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 720. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_720.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)