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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Pranten ergriff die Hand und rief mit schmerzlicher Heftigkeit: „Wie lang sind mir die paar Tage geworden! Dir gewiß auch?“

Sie nickte.

„O, nicht wahr,“ fuhr er fort, „nun auch kein Trennen mehr! Wo ich ging und stand, fehltest Du mir; ich war der reine Hans Träumer geworden. Mehrere Male hatte mich Pflummern an Vergessenes zu mahnen, doch ich konnte nur dem einen Gedanken nachhängen: was Du thätest, wie es ging – ob Du an mich dächtest. Hat Dir Adelheid auch stets gesagt, wann ich dagewesen bin? Ich glaube, immer drei Mal am Tage, und es ist eine Reise von der Klinik bis zu meinem Lieb.“

„Du bist so gut!“

„Hättest Du ausdrücklich nach mir verlangt, ich wäre auch längst hereingekommen, aber Du fühltest wohl selbst, daß es so besser wäre?“

„Was Du anordnetest, war ja immer das Rechte; ich habe gemeint, es müßte so sein.“

„Gewiß! Neulich sprach auch Pflummern darüber, wie Nichts der Heilung förderlicher sei, als tüchtige Langweile.“

„Die habe ich aber nie gehabt.“

„Trotz meines Fernseins? Wer wird denn seine Getreuesten so schlecht behandeln!“

„O, das –“

„Nein, nein, es ist so,“ unterbrach sie Pranten, indem er sie nach dem Fenster führte und die Umhüllung desselben ein wenig seitwärts schob. „Doch jetzt wollen wir vor Allem nach unserem Patienten sehen.“

Schon während der Untersuchung lief es wie Sonnenschein über sein Gesicht, und er rief in stürmischer Freude: „Der hat sich jedenfalls ordentlich gelangweilt! Es steht über jedes Hoffen gut.“

In seiner Lebhaftigkeit bemerkte er wohl nicht, daß Josephine kaum gehört zu haben schien, was er gesprochen hatte. Sie stand mit seltsam gespanntem Ausdrucke in den Zügen da und starrte wie geistesabwesend in’s Leere.

Sobald er sich ihr wieder zuwandte, lächelte es allerdings um ihre geschlossenen Lippen. Die Hand auf seinen Arm legend, ließ sie sich nach einem Sessel führen. Er rückte einen andern dicht neben diesen, und bald schienen sie auch in das uralte Scherzen und Kosen aller Liebenden vertieft. Dem besonders Aufmerksamen wäre Pranten freilich lebhafter vorgekommen, als Josephine – weit lebhafter. Das mochte aber in Pranten’s Stimmung liegen.




9.

Was man Launen nennt, diese leibhaftigen Pucks, denen oft beim besten Willen nicht beizukommen ist und welche doch jeder Umgebung zu so fühlbarem Leid werden können, hatte man an Josephine nie gekannt. Trotz ihrer schweren Heimsuchung war der Grundzug ihres Wesens eine gleichmäßige Heiterkeit geblieben. Sie hatte, als ihre Erblindung – der Ausgang längerer Skrophelleiden – vor einigen Jahren begann, in ihrer aufrichtigen Frömmigkeit die beste Stütze gefunden. Hierzu war noch das Zurücktreten, schließlich Aufhören aller bis dahin wie unabänderlich hingenommenen Beschwerden gekommen, kurz, Josephine hatte dieses eine Unglück, besonders da es so allmählich vorgeschritten war, fast wie ein Besserwerden ihres bisherigen Looses empfunden.

Nun aber, da sie sah, schien es mit der Heiterkeit, zumal einer gleichmäßigen, nicht mehr gehen zu wollen, ob auch der Frühling in diesem Jahre wahre Wunder von herrlichen Tagen schuf und sie dieselben nicht blos fühlend wie sonst, sondern auch wieder sehend mit genießen durfte. Ihrem Wesen nach war es fast, als ob sie noch an den Folgen der Operation litte, obgleich auch die des rechten Auges, nachdem eine langwierige Entzündung überstanden war, als völlig geglückt betrachtet werden konnte und nach ihrem sonstigen körperlichen Befinden eigentlich kein Anlaß zu dergleichen Besorgnissen vorlag. Bei ihrer großen Reizbarkeit schienen freilich immerhin länger andauernde Nachwehen nicht ausgeschlossen.

In Folge dessen war von irgend welchen Vorbereitungen für den Mai niemals die Rede. Sogar Frau Adelheid, zu deren Tugenden ja die Zartfühligkeit gerade nicht gehörte, empfand eine unbesiegbare Scheu selbst vor jeder Art von Anspielung.

Ueber Josephine lag mitunter ein dumpfer Hauch von Schwermuth – bis in ihre Stimme hinein krankte etwas; dann war ihr Lachen gezwungen; sie suchte die Einsamkeit, doch was sie dort trieb, erfuhr Niemand. Wenn Pranten nach alter Weise vorlas, schloß sie wohl die Augen, und man sah ihren Mienen an, daß sie kaum auf das Gelesene achtete, nur dem Wohllaut seiner Stimme lauschte oder an Fernes, Vergangenes dachte. Im Gegensatz zu solchen Tagen konnte sie an andern wieder ganz Leben und Frische sein. Freilich verlor diese Frische nie etwas Gespanntes; all ihr Necken oder Schmollen mit Felix, wenn er nicht rasch genug in ihre Stimmung einging oder gar in seinem Zurückhalten beharrte, durchzitterte ein Ton von Erregtheit, der ihr früher niemals eigen gewesen. Ob sie sich davon schon völlig Rechenschaft gegeben hatte, was in ihr vorging? Jetzt doch wohl!

Pranten wußte längst, was in ihr vorging. Gleich an jenem Morgen nach der Operation, als sie bei seiner Untersuchung zusammengeschaudert war, hatte er instinctiv gefühlt, daß dieses Schaudern nicht, wie sie meinte, die ersten Lichtstrahlen, die ihr Auge trafen, hervorgerufen, dazu war das Licht zu matt in’s Zimmer gefallen; ihm – ihm hatte ihr Erschrecken gegolten. Er wußte noch heute nicht, wie jene ersten Tage nach dieser Erkenntniß hingegangen waren. Dachte er zurück, so schob sich immer Etwas wie mitleidig dazwischen; irgend ein Gedanke, der ihn abzog, oder bloße Müdigkeit, auch wohl ein leises Hoffen. Denn Josephine blieb eben Josephine; trotz ihrer Jugend war sie kein Mädchen mehr, das leichtfertig einem Eindruck erliegen konnte. Sie kämpfte ja auch sichtbar. Und diesen Kampf glaubte er am besten zu unterstützen, wenn er ganz daraus fern blieb, sie ihn allein mit sich durchringen ließ; nur sollte und mußte sie jeden Augenblick, wenn auch nur gleichsam aus der Ferne, fühlen, daß seine Liebe heute dieselbe wie ehemals war, daß er sich einzig um ihretwillen in engeren Grenzen hielt.

Und sein Glaube schien ihn nicht getäuscht zu haben; gerade seit er diese zarte Art Josephinen gegenüber angenommen, war sie auch äußerlich ruhiger geworden; sie suchte ihn auf jede Weise von ihrer aufrichtigen Dankbarkeit zu überzeugen. Rechte Dankbarkeit aber soll ja bereits halbe Liebe sein.

Er hatte das Wort einmal gehört, es damals sogar angegriffen; jetzt wußte er bestimmt, daß er damals im Unrecht gewesen. Was bringt solch geliebtes – verzogenes Hoffen nicht fertig!




10.

So war die Mitte des Juni herangekommen. Noch jetzt machte sich in dem Verhältniß der Brautleute zu einander keine besondere Veränderung bemerkbar. Vielleicht war Felix verschlossener geworden, und an Josephine trat ein Zug von Dulden, von stillem, gefaßtem Entsagen deutlicher hervor; sonst fand zwischen ihnen stets derselbe rege freundliche Verkehr statt. Pranten las viel vor, in letzter Zeit besonders wissenschaftliche Aufsätze; daran knüpften sich ernste Gespräche; oder es wurden gemeinsame Ausflüge gemacht. So folgte ein Tag dem andern, alle einander ähnlich.

Nur sich allein gehörte das Brautpaar oft wochenlang nicht; wie nach stillschweigender Uebereinkunft trennte man sich oder kam gar nicht zusammen, sobald die Cousine einmal leidend war oder irgend einer Einladung folgen mußte. Hier und da verging wohl auch ein Tag, ohne daß sich Pranten überhaupt sehen ließ, doch geschah das selten, und nach solchen Tagen war er immer reizbarer als gewöhnlich. Blieb er dann durch einen Zufall einige Augenblicke allein, so ging er wohl ohne Abschied fort. Der nächste Morgen führte ihn freilich wieder, sogar in einer gewissen reumüthigen Stimmung zurück, sein Fortgehen entschuldigte irgend ein Scherz, und weder er noch Josephine schienen diese leisen Zeichen von Unnatur in ihrem Verhältniß einer besondern Beachtung werth zu halten.

Es war ein schwüler, drückender Tag gewesen. Eben verschwand die Sonne in einer zusammengeballten Wolkenmasse, die sich langsam näher schob. Dann und wann züngelte Blitzgezack. Ueberall erschlaffende Müdigkeit; Mensch wie Thier und Pflanze lechzten gemeinsam dem heraufkommenden Gewitter entgegen.

Auch auf dem Altan, um dessen Säulen sich wieder wie im vorigen Jahre das Weinlaub zu Kränzen schlang, stand die Luft gleichsam still, kein Blättchen regte sich.

Die Cousine war nach ihrem Fächer gegangen. Als sie nach

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 714. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_714.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)