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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 41. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Felix.
Novelle von Karl Theodor Schultz.
(Fortsetzung.)


4.

Es war Mittwoch Nachmittag gegen drei Uhr und ein blauer, luftfrischer Julitag; hier und da schwammen wohl schimmernde Wölkchen am Himmel hin, doch alle so schleierleicht , daß sie die Strahlen der Sonne nur mildern, nicht verhüllen konnten.

Auf dem runden Tische des Altans in der Frauengasse sah es festlich aus; die blaßgelbe Tischdecke mit den eingewebten weißen Rosensträußen fiel in schweren Falten nieder; in einer Krystallvase dufteten die am Morgen geschnittenem Blumen; das alte silberne Kaffeebrett prangte mit Sèvresgeschirre, und daneben standen die dazu gehörigen Teller mit verschiedenen Sorten von Kuchen, die zu wahrhaften kleinen Bergen aufgeschichtet waren.

Die Frau Kanzleiräthin mußte nichts von größerem Belang gegen den Ruf des Barons in Erfahrung gebracht haben. Oder hatte sie überhaupt die ganze Angelegenheit aufgegeben? Das pflegte ihre Art zu sein, wenn sie von vornherein auf einen Widerstand stieß, der augenscheinlich nicht leicht zu überwinden war – kurz, sie war zu Cousine Ballingen’s Verdruß nicht mehr erschienen und die Vorlesestunde also in Aussicht. Denn Josephine hatte nach längerem Ueberlegen fest darauf bestanden, um bloßer Klätschereien willen nicht auf einen Genuß zu verzichten, den sie in ihrer augenblicklichen Lage nicht hoch genug anschlagen konnte. Geistige Anregung war ihr tiefes Bedürfniß geworden, und was konnte ihr in dieser Richtung ihre Umgebung bieten? Seit dem Tode des Vaters, also seit Jahr und Tag, entbehrte sie schon eine angeregte Unterhaltung. Ihrem Herzen war es, als habe das Schicksal es gütig mit ihr vor; warum hätte es sonst Pranten so unabweisbar, wie dieser selbst gestanden, zu ihr getrieben! Was brauchte sie überhaupt das Gerede einer Welt zu kümmern, in welche sie nicht gehörte, die ihr stets mehr als fern gestanden!

So wartete sie denn mit einer gewissen frohen Unruhe des Kommenden und lauschte immer, sobald unten die Glocke ging. Endlich ein festerer Zug . – Tritte auf der Treppe – das mußte der Baron sein. Und er war es.

Mit einem Lachen, das schon vor ihm hergeschallt, ehe er eingetreten, begrüßte er die Dame und fragte, ein Buch auf den Tisch legend: „Hören Sie hier nichts von der tollen Musik, welche drüben bei Schönhof ein Dudelsack mit zwei Flöten aufführt?“

„Nein!“ antwortete Josephine, „sobald der Wind nicht aus Süden kommt, hören wir selbst von den Concerten wenig.“

„Es war ohrenzerreißend,“ fuhr Pranten fort, indem er auf eine Handbewegung der Assessorin Platz nahm. „Wenn Italien nichts Besseres versendet, müßten alle Beziehungen mit ihm abgebrochen werden. Doch wie ist es Ihnen in der langen Zeit ergangen? Ein und ein halber Tag können Vielerlei bringen!“

„Uns haben sie wohl nichts gebracht,“ erwiderte Josephine.

„Du vergißt,“ fiel Frau Ballingen mit einem scharfen Zuge um den Mund ein, „den Besuch unsrer lieben Kanzleiräthin Schussenried.“

Der Name wurde ein klein wenig hervorgehoben.

„Hat diese Räthin etwa einen Sohn, der Willy heißt?“ fragte Pranten rasch.

„Gewiß!“ versetzte die Assessorin befriedigt. „Ein charmanter, bescheidener junger Mann.“

„Bescheiden?“ rief Pranten. „Das müßte eine Errungenschaft aus diesem Jahre sein! Als Student war er eigentlich ein böser Geselle; o, verzeihen Sie – steht er Ihnen wirklich nahe?“

„Bewahre!“ versetzte Josephine.

„Nun ich meine doch,“ fuhr Frau Ballingen auf, „von dem Sohne einer Jugendfreundin dürfte man wohl behaupten, daß er uns nahe steht, wenigstens näher –“

„Als der,“ unterbrach Pranten, „der es gewagt hat, ihm einen kleinen Denkzettel zu geben? Nun, wenn Sie das auch nicht ganz so deutlich sagen wollten, gedacht haben Sie doch wohl Aehnliches? Aber Sie werden mir die Gerechtigkeit widerfahren lassen, es mir nicht zu verübeln, wenn ich ihm nicht aus dem Wege ging. Ich war der Geforderte.“

„Sie gaben also doch den Anlaß?“

„Wie man es auffassen will!“ versetzte Pranten sinnend. „Das sind übrigens Jahre her,“ brach er dann plötzlich ab, „und der Grund dürfte kein Interesse für Sie haben. Ihre schlimme Meinung muß ich wohl versuchen auf eine andere Weise vergessen zu machen; außerdem können die Damen wirklich ruhig sein, Damen pflege ich nicht zu fordern.“

Pranten sah die Frau Assessorin dabei so ernsthaft treuherzig an, daß diese wider Willen lachen mußte.

Josephine hörte das mit Befriedigung. Ihr war schon jede Art von Gespräch zuwider, das sich in leichten gegenseitigen Spitzen erging, um wie viel mehr also dieser ziemlich offene Angriff ihrer Cousine. Sie hatte wie in Verlegenheit dagesessen, und brachte nun rasch mit der Frage: „Da Sie es bei uns voraussetzen, so haben die Tage wohl Ihnen etwas von Bedeutung gebracht?“ – das Gespräch auf ein anderes Thema.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 677. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_677.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)