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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

gekommenen Bestien wieder zu beruhigen und zum Gehorsam zu zwingen gewesen. Sowie dies aber nur einigermaßen gelungen, hatte man schleunigst in’s nächste Dorf nach einem Ochsengespann geschickt, um die seltene Trophäe nach den Ufern des Zirknitzer Sees zu schaffen, von wo sie dann mittelst Fährkahns nach Ottok, dem Dörfchen im See, übergeführt worden war. Dort endlich angelangt, hatte der Held des Tages, der greise Bärenbesieger, unter dem Jubel der ganzen Bevölkerung einen wahren Triumphzug gehalten, denn seit Menschenalter konnte man sich in der Umgegend eines solchen Jagderfolges nicht entsinnen, wenn auch das nahe Alpengebiet dergleichen niemals gänzlich ausgeschlossen gehabt.




Das Schönste.


Ich hatte mich gelagert
     Auf einer Höh’ allein
Und sah zum Himmel über mir
     In’s klare Blau hinein.

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Da dacht’ ich mir: nichts Schön’res

     Ist in der weiten Welt,
Als dieses lichten Aetherbau’s
     Unendlich Prachtgezelt,

Daraus die gold’ne Sonne

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     Am Tag sich stolz erhebt,

Daraus zur Nacht der sanfte Mond
     Im Sternenreigen schwebt.

In selig Schau’n verloren,
     Vertiefte sich mein Sinn;

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Durch unbegrenzte Fernen trug

     Die Sehnsucht ihn dahin. –

Und als ich dann hinunter
     Vom Berg zu Thale ging,
Gewahrt ich einen See versteckt

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     Im dunklen Tannenring.


Der hatte sich von Stürmen
     Und Wettern ausgeruht,
Und träumerisch und abgrundtief
     Lag seine Spiegelfluth.

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O welch ein Bild! Umblühet

     Vom Alpenrosenkranz,
Verschwammen Wald und Berg und Luft
     Im feuchten Wellenglanz.

Da sah ich, daß noch Schön’res

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30     Zu schauen mir gewährt:

Die Erde, die den Himmel trägt
     Verklärend und verklärt. –

Und als ich mich mit Zögern
     Geschickt zum Weitergehn,

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Fand ich ein armes Hirtenkind

     Vor seiner Hütte stehn.

Den Kopf voll krauser Haare,
     Die Wangen rund und roth,
So stand’s und trank sein Schälchen Milch

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     Und aß sein Stückchen Brod.


Und plötzlich fühlt’ ich ruhen
     Auf mir ein Augenpaar,
Tief war’s und dunkel wie der See
     Und wie der Himmel klar.

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Wie drang zu meinem Herzen

     Der Blick so voll und warm!
Die große Welt mit einem Mal
     Erschien mir klein und arm.

O Blick der Kindesunschuld,

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     Das Schönste, das bist du;

Du schließest Erd’ und Himmel ein
     Und all ihr Glück dazu.

Max Kalbeck.




Die „Juister“ und ein Hans Sachs’scher Schwank.
Von Karl Blind.

Das in der „Gartenlaube“ (Nr. 13) mitgetheilte Gedicht „Die Juister[1] von Heinrich Kruse erinnert so lebhaft an einen Landsknechts-Schwank von Hans Sachs, daß die Frage wohl gestattet sein mag: aus welcher Quelle der neuere Dichter geschöpft – ob er namentlich sich etwa an eine besondere Volkssage des friesischen Eilandes angelehnt hat?

Die Landsknechts-Schwänke des von Luther und Melanchthon als Mitstreiter geehrten, von Wieland, Goethe und Friedrich von Schlegel hochgeschätzten Hauptes der Meistersinger – dessen Bedeutung übrigens bekanntlich nicht in seinen Schul-Dichtungen liegt – sind eine wahre Fundgrube köstlicher Laune. Wie Goethe über die Stellung des freigesinnten Volkssängers dachte, ergiebt sich aus dessen wohlbekanntem Liede: „Hans Sachsens poetische Sendung“. Ein anderes Denkmal hat er ihm in „Wahrheit und Dichtung“ gesetzt, wo er unter dem Bekenntniß, daß die Sprache der Minnesinger für ihn (Goethe) schwer verständlich war, den Nürnberger Meister als sein erstes Muster und Vorbild pries.

Hans Sachs selbst ist vielfach nur ein Umarbeiter vorhandener Stoffe gewesen. In wie weit seine in ihrer einfachen Schalkhaftigkeit so vortrefflich ausgeführten Schwänke auch ihm in der Erfindung gehören, oder nur eine Umdichtung enthalten, läßt sich nicht nimmer feststellen. Jene heitere Geschichte von den „Ungleichen Kindern Eva’s“ ist – um nur ein Beispiel zu wählen – zufolge der Mittheilung eines isländischen Freundes selbst in der Literatur jenes äußersten germanischen Thule vorhanden. Doch war es mir nicht möglich, Klarheit über die Zeitfolge zwischen der Hans Sachs’schen und der isländischen Darstellung zu erlangen. Wie die Siegfried-Sage vom Rhein – wo sie auch in der Edda spielt – nach Skandinavien und Island wanderte, so wird auch jener Eva-Schwank von Süden nach dem so lange heidnisch gebliebenen Norden erst spät hinaufgewandert sein. Hans Sachs selbst aber schöpfte den wesentlichen Stoff dieses prachtvollen Scherzgedichtes aus älterer Quelle.

In Heinrich Kruse’s Gedicht heißt es von dem heiligen Paulus:

          „… Er ging nach der Thüre,
Und dort frug er den Hüter: ‚Was sind das, Petrus, für Leute,
Die sich so unnütz machen? Was sind das für grobe Gesellen?‘
‚Das sind Leute von Juist. Ich weiß nicht, wie sie es machten,
Um in den Himmel zu kommen, wohin sie so wenig gehören,
Wie ein Schwein in ein jüdisches Haus,‘ antwortete Petrus.
‚Nun, so wirf sie doch wieder hinaus!‘ ‚Nein, Lieber, das geht nicht.
Unser himmlischer Vater ist so grundgütig; wenn einmal
Wer in den Himmel gelangt, hat Gott mir geboten, ich soll ihn
Nicht mit Gewalt austreiben, und, siehst Du, sie gehen von selbst nicht
Wieder zur Pforte hinaus.‘ ‚Ei nun, das will ich doch sehen!
Für ein Völkchen wie dies ist der wahre Himmel der Strandraub.‘
Also versetzte darauf der heilige Paulus und legte
Sich zum Fenster hinaus, als ob da draußen was los sei.
‚Schiff am Strande!‘ so rief er mit dröhnender Stimme. Die Juister
Hörten sobald nicht den Ruf, so liefen sie rasch aus der Thüre,
Wie auf Juist sie gewohnt, wenn: ‚Schiff am Strande!‘ geschrie’n wird.
Rasch schloß Petrus die Thür und rief: ‚Ihr kommt mir nicht wieder.‘“

„Gespräch Sanct Peter’s mit den Landsknechten“ heißt nun ein ganz ähnlicher Schwank von Hans Sachs. In Kürze geht die Sache so zu. Neun arme Landsknechte ziehen, da kein Krieg los ist, auf den Bettel – auf das sogenannte „Garten“ – aus. Eines Morgens trägt sie ihr Weg bis vor’s Himmelsthor. Sie klopfen an; Petrus aber, welcher der Pforte wartet, will erst die Erlaubniß des Herrn einholen.

Der spricht: „Laß sie länger warten!“

Als nun die Landsknecht’ mußten harren,
Fingen sie an zu fluchen und zu scharren:
„Marter, Leiden und Sacrament!“
Sanct Peter diese Flüche nit kennt;
Meint, sie reden von geistlichen Dingen;
Gedacht’ in Himmel sie zu bringen.
Und sprach: „O lieber Herre mein!
Ich bitte Dich, laß sie herein.
Nie frömmere Leut’ hab’ ich gesehen.“

Der Herr antwortet:

„O Peter, Du kennst sie nit recht!
Ich seh’ wohl, es sind Landsknecht’,
Würden wohl mit muthwilligen Sachen
Den Himmel uns zu enge machen.“

Sanct Peter bittet mehr und mehr. Der Herr spricht:

„… Nun! magst sie lassen ’rein;
Du sollst mit ihnen behangen sein.
Schau’ wie Du sie wieder bringst hinaus!“
Sanct Peter war froh überaus
Und ließ die frommen Landsknecht’ ein.
Sobald sie in Himmel kamen hinein,
Bettelten sie herum bei aller Welt,
Brachten zusammen ein gut’ Stück Geld,
Hockten nieder auf den Plan
Und fingen gleich zu würfeln an.
Und eh’ eine Viertelstund’ verging,
Ein Hader sich bei ihnen anfing …
Zückten vom Leder allesammen,
Und hieben da mit Kräften zusammen;

  1. Inzwischen in dem amerikanischen Blatte „The Syracuse Daily Journal“ vom 24. Mai in englischer Uebersetzung erschienen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_675.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)