Seite:Die Gartenlaube (1879) 667.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Diese beiden Erzläuterstätten gehören zu den ersten Triumphstätten menschlichen Geistes; ihr Ruhm ist heimisch auf beiden Erdhälften, wo nur je ein Bergmann das Fäustel ergriff, um metallischen Schätzen nachzuspüren und es ist eigentlich befremdlich, daß außerhalb der Fachliteratur bis zur Stunde so gut wie nichts über dieselbe verlautete.

Mit dem sächsischen Bergbau hängen sie eng zusammen unter sich; alle Leiden und Freuden, die seit siebenhundert Jahren über den erzgebirgischen Bergmann dahingegangen, hat sein Bruder, der Hüttenmann, redlich mit ihm getheilt; hatte der Erstere einen besonders reichen Erzgang aufgeschlossen, so lohten auch auf den Hütten die Flammen mächtiger zum Himmel empor, und als der Dreißigjährige Krieg über das Land dahinwüthete und der Bergmann sein Gezäh (Werkzeug) weggeworfen, da ward es auch auf den Hütten still und einsam.

Man sollte meinen, so innig verwachsene Industrien müßten Schritt für Schritt mit einander vorwärts gegangen sein, allein die Geschichte lehrt das Gegentheil; der Hüttenmann hinkte seinem Stammverwandten Jahrhunderte lang nach, denn dieser war mit der Erfindung des Schießpulvers schon auf einer Höhe angelangt, die er im Wesentlichen nicht mehr überschreiten konnte, obgleich er jetzt den Dampf zu Hülfe genommen. Noch vor wenigen Jahrzehnten mußte der Bergmann Erze auf die Halde werfen, die auf den Centner weniger als 25 Gramm Silber ausgaben, weil der Hüttenmann behauptete, es lohne sich nicht mit solch armem Schmelzgut, heute aber hat sich der letztere auf eine Höhe geschwungen, daß er den einst verachteten Schutt mit schwerem Geld bezahlen kann, ja, er läßt ihn selbst wieder unter den Halden hervorgraben und nimmt es noch mit Erzen auf, die pro Centner nur 15 Gramm des edlen Metalls bei sich führen.

Aber das ist nicht sein vornehmstes Verdienst. Für den Kupfer-, Nickel-, Kobalt-, Zink- und Schwefelgehalt der Erze wollte der Hüttenmann gar nichts bezahlen, und er vermochte das auch nicht, denn er wußte diese Erztheile, die gerade in den Freiberger Erzen reich vorhanden sind, entweder überhaupt nicht, oder doch nicht lohnend auszuscheiden; in früheren Zeiten gewann er nicht einmal das Blei, das jetzt 28 Procent des Gesammtwerthes der Hüttenproducte beträgt. Unseren Vorvordern war es eben nur um den „Silberblick“ zu thun, der in unseren Zeiten so schwer an Ansehen einbüßen sollte. Die Einführung der Goldwährung in Deutschland führte bekanntlich die bis zur Stunde unerhörte Erscheinung herbei, daß ein Edelmetall auf 75 Procent seines ehemaligen Werthes zurückgeben konnte. Dieser Ausfall würde dem Bergmann das Fäustel wahrscheinlich ganz aus der Hand winden, hätte sein Bruder, der Hüttenmann, nicht in den letzten Jahrzehnten ganz riesengroße Fortschritte gemacht; man darf sagen, er allein hat dem Bergmann das karge Brod erhalten, das durch jenen Reichstagsbeschluß so schwer bedroht war.

Das ist neben dem wirthschaftlichen ein schöner menschlicher Triumph, doch auch noch einer weiteren Errungenschaft in dieser Hinsicht ist Erwähnung zu thun, die nicht minder hell über den Hütten schimmert, welche einst von giftigen Dämpfen aller Art schwer umlagert waren.

Der reiche Schwefelgehalt der Erze ging bei den früheren Schmelzprocessen als schweflige Säure hinaus in die Lüfte. Nach einem Gutachten des Professor Freitag in Bonn, der als unparteiischer Fachmann berufen worden war, sind ehedem im Jahr über 100,000 Centner dieses Stoffes durch die Schornsteine gefahren, um sich als ein heimtückisches Gift auf die Felder der benachbarten Dörfer niederzusenken; auch arsenige Dämpfe, gasförmige Oxyde und arseniger Flugstaub waren ehedem in großen Mengen entwichen, sodaß die Bewohner der Umgebung ihres Lebens nicht froh werden konnten. Der Bauer betrachtete den Hüttenmann als einen Giftmischer en gros; er räsonnirte, und schließlich kam es zu Processen.

Das Getreide kränkelte; die Rinder nahmen das Futter nicht an oder fraßen es nur mit Widerwillen; erkrankte Thiere zeigten bei der Section zerfressene Labmägen; außerdem sollte der Hüttenrauch Markflüssigkeit und Knochenbrüchigkeit verursachen, und endlich gar den Mutterboden selbst seiner Zeugungskräfte berauben. Die Gewinnsucht gesellte sich eben, wie ja immer in solchen Fällen, zu den berechtigten Ansprüchen. Kurz, der Hüttenmann hatte mit der Malice der Natur, die ihren edelsten Erzeugnissen so unheimliche Bestandtheile beimengt, seine liebe Noth. Ein eigener Regierungscommissar (ein Landwirth) mußte bestellt werden zur Abschätzung der wirklichen und zur Feststellung der fingirten Schäden, auch war man gezwungen, mehrfach auswärtige Fachleute als Schiedsrichter zu berufen.

Im Jahre 1865 erreichte die Summe der vergüteten Rauchschäden eine ganz bedenkliche Höhe – um mit einem Male rapid zu fallen und schließlich ganz aus den Bilanzen zu verschwinden, und mancher ungläubige Thomas kann sich jetzt an den neu angelegten Gemüsegärtchen inmitten der verdächtigen Essen selbst zur Evidenz überzeugen, daß der Sieg der Hüttenleute über die Misère ein vollständiger ist.

Im Jahre 1857 begann man schüchtern die angefeindete schwefelige Säure zur Herstellung von Schwefelsäure zu verwenden; man ward kühner, und zehn Jahre später war man dahin gelangt, daß der Schwefelgehalt in den Erzen dem Bergmann als Werthobject bezahlt werden konnte. Der Bauer aber streute jetzt den schwergehaßten Stoff als Bestandtheil des Superphosphats selbst auf seine Felder.

So hat die Hüttenkunde den Feind zum Freund, den Mörder zum Erzeuger, den heimtückischen giftigen Rauch zu einem reichen Nährquell verwandelt. Jetzt ist die Schwefelsäure nach dem Silber und Blei das vornehmste Hüttenproduct Freibergs geworden; im Jahre 1875 fabricirte man davon 232,729 Centner; als Nebenproduct bei der Herstellung gewann man noch 12,449 Centner Eisenvitriol und schwefelsaures Natron. Das wirthschaftliche Gesammtresultat dieses Fortschritts betrug in demselben Jahre 804,801 Mark, und dabei ist die vermehrte Arsen- und Silbergewinnung aus dem Flugstaub gar nicht in Frage genommen worden; das sanitäre Resultat aber spottet jeder Bezeichnung in Münzwerthen und ist überhaupt nicht abzuschätzen.

Der historische Sinn und die Pietät für das Althergebrachte sind dem Hüttenmann trotz seiner großen Neuerungen ebenso treu geblieben wie dem Bergmann. Die urväterlichen Rangbezeichnungen haben in einer Zeit, in der man nur von Directoren, Ingenieuren, Assistenten und ähnlichen prätentiösen Titeln hört, etwas Freundliches, Anmuthendes. Da giebt es Oberhüttenverwalter, Oberkunstmeister, Oberhüttenraiter, Hüttenwardeine, Schiedswardeine, Hülfswardeine, Hüttenmeister; die Arbeiter nennen sich: Erzröster, Schmelzer, Schlackenläufer, Abtreiber, Silberbrenner, Aschknechte, Vorläufer, Vorlaufsteiger, Kohlenläufer, Fördermänner, Erzmüller etc.. Unter etwa 40 Beamten stehen 900 ständige und circa 300 nichtständige Arbeiter; ihre Knappschaftscasse ist auf 90,000 Thaler angewachsen und wird von dem sächsischen Staat außerdem stark subventionirt; daneben besteht auch eine Krankencasse, auch zahlen die Hüttenwerke sogenannte Sterbelöhne an die Hinterlassenen aus, die dem Betrag eines vierwöchentlichen Lohnes des „bergmüden“ Knappen gleichkommen.

Die Güterbewegung auf den Hütten weist Riesenziffern auf, mit denen ich den Leser jedoch nicht quälen will. Die Anfuhrlasten bestehen in Schmelzgütern (Erze, Metallabfälle, alte Legirungen), in Kohlen, Coaks, Thon, Mergel etc.. Die Abfuhrlasten sind Gold, Silber, Kupfer- und Eisenvitriol, Wismuth, Zink, Rohblei, Schrot und Bleiwaaren, Schwefelsäure und Arsenikalien. Die Gesammtlasten mögen im Jahr auf anderthalb Millionen Centner kommen (das sind 500 große Güterzüge); darunter sind etwa 4 Centner Gold, 700 Centner Silber, 70,000 Centner Blei und 20,000 Centner pures Gift, mit denen man Europa entvölkern könnte.

Oefen brennen auf beiden Werken gegen 200; darunter sind solche von den seltsamsten Gestaltungen und mit den merkwürdigsten Namen. Einige heulen vor Gluth; aus anderen schlagen grünliche, gelbliche und bläuliche Flammen heraus, die unheimlich aufflackern wie Irrlichter oder die wie Feuerwerk das Auge entzücken. Recht garstige Ungeheuer sind darunter die sogenannten Arsensublimir-Oefen, und geradezu ein kleines Scheusal ist ein Vetter von ihnen, ein Ofen, in dem man das Arsen mit brennendem Schwefel vermischt, um das rothe Arsenglas herzustellen; sein Rachen gleicht einem riesigen Krebsgeschwür, das man mit Schwefel und Phosphor ausbrennt.

Mit Herzählung der Hunderte von Betriebsmitteln könnte der Einbildungskraft des Lesers schwerlich gedient sein; es würde doch zu keiner Vorstellung führen, wenn ich von den 6 Bleikammern der Schwefelsäurefabrik spräche, die mit den Fallthürmen 25,000 Kubikmeter Rauminhalt haben, oder von den Flugstaubkammern, die 19,000 Kubikmeter zu fassen vermögen; nur zweien kleiner

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 667. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_667.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)