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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

freiwillig übernommenen Dienst so leicht wieder von uns werfen zu können.

Unter diesen Umständen versetzte es mich und meinen Freundeskreis in die freudigste Stimmung, als uns eines Tages der Befehl ward, nach der toscanischen Grenze abzumarschiren, um dort die arg gefährdete Sicherheit wieder herzustellen. Zwar befanden sich in jener Gegend mehrere Garnisonen eingeborener Truppen, aber der Brigantaggio nahm nicht ab, und die frechsten Beraubungen und Erpressungen waren an der Tagesordnung; denn die Truppen waren nie zur rechten Zeit zur Hand, sie kamen immer erst an, wenn die Herren der Straße längst das Weite gewonnen hatten. Es war freilich ein öffentliches Geheimniß in Rom, daß nicht nur die Commandanten dieser Truppen, sondern auch gewisse einflußreiche Leute am Tiber diese Art von Kriegführung gar nicht ungern sahen und sich sehr gut dabei standen. Endlich aber war der Scandal doch zu arg geworden, und so mußten denn wir Deutsche die Italiener ablösen.

So mühe- und gefahrvoll nun auch unsere neue Aufgabe war, so waren wir, wie gesagt, doch sehr erfreut über diese Veränderung. Brauchten wir doch die scandalösen Zustände in Rom nicht mehr mit anzusehen und dabei mitzuwirken, hatten wir nun doch einen Wirkungskreis, in dem wir der Menschheit wirklich nützen konnten, ungerechnet die Gelegenheit, das interessante Land und seine Bewohner näher kennen zu lernen.




2.

So zogen wir denn an einem herrlichen Frühlingstage leichten Herzens hinaus auf der lavagepflasterten Via Cassia in die bis an die Mauern der Stadt heranreichende melancholische Campagna, welche, einst mit blühenden Städten und Fruchtgärten übersät, jetzt eine ungeheure Trümmerstätte von antiken Tempel-, Gräber- und Aquaductenresten, mittelalterlichen Thurmruinen und halbzerfallenen neuzeitlichen Landsitzen ist, zwischen denen mächtige Heerden silbergrauer Rinder und schwarzer Büffel weiden. Sonst so ernst und einförmig, wenn auch von unbeschreiblich fesselnder Stimmung, war sie jetzt ein wahres Meer von Blumen und Knospen in den leuchtendsten Farben, die durch ihre unausgesetzte Einwirkung das Auge förmlich blendeten und ermatteten.

Weiter stiegen wir empor zu dem düsteren ciminischen Wald, dem einstigen Bollwerk Mitteletruriens, mit seinen Kastanien- und Eichenwäldern und seinem sagenumwobenen Kratersee, alsdann jenseit hinab in das tuskische Hügelgelände, und bald waren wir angelangt an unserm Bestimmungsort, derselben Stelle, wo einst in grauer Vorzeit in blühender Umgebung das Heiligthum des etrurischen Bundes, der Tempel der Voltumna stand, während sich heute dort das armselige Städtchen Montefiascone erhebt – den ganzen Abstand zwischen einer stolzen Vergangenheit und der elenden Gegenwart darthuend.

Welche Genüsse bot uns die herrliche, vom Zauber uralter Erinnerungen übergossene Gegend! Nur wenige Schritte brauchten wir vor das Thor zu thun, um die entzückendste Fernsicht zu genießen: hier im Norden der gewaltige Kratersee von Bolsena mit seinen malerischen Inseln und seinen schweigsamen, nur von der Malaria bewohnten Ufern, dahinter die zackige Kette des Monte Amiata; dann östlich in blauer Ferne der umbrische Apennin, im Süden der schwarze Mons Ciminus und endlich im fernen Westen das Meer – die ganze Ebene Etruriens lag ausgebreitet vor dem trunkenen Blick. Und wir hatten Zeit und Gelegenheit, diese Gaue zu durchstreifen, die Trümmerstätten von Orcle, Axia, Blera und Tuscania zu durchforschen, die Felseninsel Martana zu besuchen, von der aus des großen Gothenkönigs Tochter Amalasuntha ihr Reich regierte und auf der sie ihr gewaltsames Ende fand, und nahe den lombardischen Thürmen die alte Schwefelquelle Bulicame zu begrüßen, die den göttlichen Dante zu herrlichen Strophen begeisterte. Dazu gewährte das Volksleben mit seinen fremdartigen Erscheinungen hohes Interesse. Und zuletzt auch die süße Berühmtheit des Montefiasconer Traubenblutes nicht zu vergessen, an dem sich einst Domherr Fugger den seligen Tod getrunken! Welch prächtigen Tausch hatten wir gemacht gegen Rom, in dem es uns zu Muthe war wie einst Juvenal, da er sein kaustisches „Mentiri nescio – quid Romae faciam? („Ich verstehe mich nicht auf das Lügen – was soll ich da in Rom machen?“) sprach.

Unser Verhältniß zu den Einwohnern Montefiascones war freilich ein sehr kaltes. Den Aufgeklärten unter ihnen mußten wir als die Erhalter der Tyrannei verhaßt sein, während wir auch den Loyalsten fremde Söldlinge blieben, für deren Unterhalt sie steuern mußten. Dagegen standen wir mit den Bauern der Umgegend, besonders mit den etwas vermöglichen Pächtern, denen wir als Schutz gegen die gefürchteten Briganten willkommen waren, auf leidlich gutem Fuße, und wir kamen auf unseren Patrouillen selten an einem Gehöfte vorbei, ohne daß man uns zum Eintreten eingeladen hätte.

Besonders vertrauten Umgang gewannen wir mit den Bewohnern einer einsam auf dem hohen Ufer des Bolsener Sees gelegenen Besitzung.

Wir hatten einst eine Partie nach dem weltvergessen daliegenden Felseneiland Amalasuntha’s gemacht, wobei mein Freund Werner ** einen Sturz that, der ihn fast geh-unfähig machte. Da es, als wir am Ufer anlangten, bereits dämmerte und demnach höchste Zeit war, daß wir aus dem malariadunstigen Kessel herauskamen, so entschlossen wir uns, den Freund bis auf die sichere Höhe zu tragen, dabei einen zwar sehr beschwerlichen, aber viel kürzeren Weg einschlagend, den uns ein Hirte gewiesen. Die Arbeit des Tragens war auf dem steilen und scharfen vulcanischen Gestein beschwerlich genug, und so waren wir herzlich froh, auf der Höhe angekommen, ein kleines, aber sauber aussehendes Häuschen vor uns zu sehen, in dem wir rasten zu können hofften. Wir baten um Gastfreundschaft, die man uns zwar zurückhaltend, aber nicht unfreundlich gewährte.

Das einsame Häuschen wurde nur von zwei Personen bewohnt: von Luigi Boticelli und seiner Tochter Domenica. Beide galten als Sonderlinge, denn sie hatten soviel wie gar keinen Verkehr mit den Bewohnern der Gegend und verließen ihr kleines Besitzthum, das sie selbst bewirthschafteten, nur selten und wenn es absolut nothwendig war. Die Bauern hielten diese Zurückgezogenheit für Stolz, und unsere neuen Bekannten erfreuten sich daher nur geringer Beliebtheit, obgleich sie gar manchem Bedrängten mit Rath und That geholfen. Aber Boticelli, der zwar ernst und verschlossen, aber nichts weniger als stolz war, hatte ganz andere Gründe, die Einsamkeit dem nachbarlichen Verkehr vorzuziehen.

(Fortsetzung folgt.)




Deutschlands große Industrie-Werkstätten.
Zwei Erzläuterstätten.


Unweit der alten, ehrwürdigen Bergstadt Freiberg, da, wo die Mulde die haldenreiche, bergschachtübersäete Hochebene in einer tiefen Wasserrinne durchschneidet, dicht an der großen Verkehrslinie Baiern-Schlesien, drängt sich dem Reisenden eine Landschaft gar seltsamen Charakters in das Auge. Auf einem fast vegetationslosen Terrain an den Gehängen des jäh abfallenden Muldenthales breiten sich etwa hundert essenstrotzende, qualmende Gebäude aus, zu deren Füßen sich ungeheure Schlackenkegel nach den schwarzen Ufern des Flusses hinabdehnen. Die Gebäude selbst sind zum größeren Theil aus schwärzlich-bläulichem Schlackengestein aufgemauert; dazu flammt es und glüht es zu allen Oeffnungen heraus, sodaß die weite Gruppe als Modell zu einer infernalen Landschaft dienen könnte.

„Die Muldenhütten!“ tönt es in allen Coupé’s, und die Waggonfenster vermögen die Gesichter kaum zu fassen, die sich regelmäßig herandrängen, um den fremdartigen Anblick flüchtig zu genießen. Eine Stunde flußabwärts, einsamer gelegen, wiederholt sich dasselbe Schauspiel; dort gruppiren sich die Halsbrückner Hütten zu einem ganz ähnlichen Bilde auf derselben Grundlage; es sind Schwesteretablissements von gleichem Umfang und unter gleicher Oberhoheit; sie gehören dem sächsischen Staate und man bezeichnet sie zusammen kurz als die fiscalischen Hütten.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 666. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_666.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)