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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

widerstrebt,“ versicherte Frau Ballingen. „Hätte Josephine nicht darauf bestanden, wenigstens den Versuch zu machen, ich für meine Person hätte mich nie dazu entschließen können.“

„Aber beste Adelheid,“ sagte Josephine mit leichter Ironie, „Dich ermüdete das Lesen immer.“

„Doch nur,“ unterbrach diese, „weil Du Dich in letzter Zeit auf wissenschaftliche Werke capricirst! Denke Dir, Malchen, sie wollte neulich sogar die Philosophie eines gewissen Unbewußten kaufen.“

Die Räthin schauderte, benutzte aber gleichzeitig das Verstummen der Freundin und bat, indem sie sich hastig an Josephine wendete:

„Kindchen Du mußt mir versprechen, diesen Pranten nicht mehr über die Schwelle zu lassen! Sein Ruf ist durchaus nicht danach, daß er sich zum Vorleser für ein anständiges junges Mädchen eignet; ich glaube, ich hörte von der Wallhausen sogar etwas von einem Verhältniß mit einer Schenkmamsell! Gott, man behält dergleichen nicht, ich will mich aber sofort genauer erkundigen; jedenfalls dürft Ihr Euch noch nicht binden.“

„Leider ist das so gut wie geschehen,“ erwiderte Frau Ballingen mißmuthig. „Ich habe öfter gehustet, um Josephine zur Vorsicht zu mahnen, sie schien das jedoch absichtlich zu überhören.“

„Er hat solche durch und durch offene Art, sich zu geben, und ein so schönes, edles Organ!“ warf Josephine hin.

„Er hätte wirklich etwas Schönes an sich?“ rief die Räthin mit hellem Auflachen; „denn im Uebrigen ist er mein Ideal von einer Vogelscheuche. Dieser Riesenkopf mit dem fürchterlichen Munde und den Schlitzaugen – nicht wahr, Adelheid, wenn Phine sehen könnte, wäre bei ihrer Empfindsamkeit von vornherein gedankt worden?“

„Wenn ich sehen könnte,“ sagte Josephine mit einem herben Lächeln, „hätte er uns allerdings nicht aufgesucht.“

„Wie kam er denn überhaupt darauf, sich bei Euch einzuführen?“ fragte die Räthin. „Habt Ihr ihn in der Klinik kennen gelernt?“

„Nein!“ erwiderte Josephine. „Zwar muß er bei der Untersuchung gegenwärtig gewesen sein, er bezog sich darauf, aber ich erinnere mich nicht, ihn sprechen gehört zu haben. Unsere Annonce hat ihn hergeführt.“

„Kind!“ rief die Räthin, „dahinter steckt etwas; das lasse ich mir nicht nehmen. Wie in aller Welt käme sonst gerade er dazu, sich für diesen Dienst zu melden! Wir dachten doch an einen armen Studenten oder irgend eine Hülfslehrerin. Er hat ja sein Brod, wenn es auch noch so klein wäre. Jedenfalls sind die paar Thaler nicht die Hauptsache.“

„O,“ fiel Frau Ballingen ein, „er beansprucht, wie es mir vorkommt, gar kein Honorar; eine Tasse Kaffee hat er sich ausbedungen.“

„Du vergißt den Kuchen!“ setzte Josephine ernsthaft hinzu.

„Es wird immer verdächtiger!“ brach Frau Kanzleiräthin Schussenried los, „kein Honorar, nur Kaffee, wie für ein Familienmitglied! Meine arme Taube“ – sie drückte und streichelte dabei Josephinens Hände – „ich sehe Dich schon in seinen Krallen. Glaubt mir, er hat es bereits herausgebracht, daß Du wohlhabend bist und – und –“

„Ich bin blind!“ unterbrach sie Josephine sanft.

„Was gilt solchem Menschen Blindheit!“ fuhr die Räthin auf, „und die Deinige, welche doch über kurz oder lang gehoben wird! Dein Geld ist ihm –“

„Liebe Pathe,“ versetzte Josephine erregt, „Alles hat seine Grenzen. Baron Pranten ließ uns offen in seine Gedanken und Absichten blicken, und so lange mich nicht bestimmte Thatsachen von der Unwahrheit seiner Angaben überzeugen, dürfte –“

„Auf die Gedanken und Absichten des Herrn Barons wäre ich unendlich neugierig,“ fiel die Räthin scharf ein, indem sie ihr Spitzentuch mit einem Ruck an sich zog.

„Das sind recht einfache Absichten!“ erwiderte Josephine ruhiger. „Ihm füllen sich dadurch ein paar müßige Stunden, und den Arzt interessirt außerdem die Weiterbildung meiner Art von Staar.“

„Das kann er bei den Patienten in der Klinik ebenso gut haben,“ erklärte die Kanzleiräthin, ihr Tuch wieder loslassend. „Was ist da auch zu verfolgen? Ich sage noch einmal und Ihr werdet es erleben: dahinter steckt mehr. Nun, Adelheid, Du wenigstens halte die Augen offen! Wir wollen gleich zur Wallhausen gehen. Kinder, ich gebe ja gern zu, daß ich gegen diesen Monsieur Pranten eingenommen bin; mein armer Willy hat noch dann und wann sein Zucken in den Lippen, aber was unklar, ist unklar, und Noth kennt kein Gebot. Seine Eltern sind im Elend verkommen; der Vater war ein stadtkundiger Trunkenbold und der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Wenn ich es denke, mein Pathchen, meine Josephine!“ Fast wie eine Thräne glänzte es da im rechten Auge, und die Küsse, die sie auf Josephinens Wangen preßte, bewiesen geräuschvolle Innigkeit, dennoch streifte sie mit einem Schütteln die ungewohnte Anwandlung wieder ab und sagte, indem sie sich rasch erhob: „Aber so weit sind wir noch nicht. Hören wir von der Wallhausen bestimmt Gravirendes, so wirst Du selbst einsehen, daß ihm abgeschrieben werden muß. Deine, unser Aller Ehre käme in’s Spiel.“

„Gewiß, beste Pathe,“ erwiderte Josephine, „ich verspreche Dir, sobald der Ruf des Herrn von Pranten zu Bedenken Anlaß giebt, von meinem Wunsche abzustehen, so schwer mir das auch fiele.“

„O, deshalb brauchst Du von Deinem Wunsche nicht abzustehen,“ rief die Räthin erleichtert, „ich kann Dir jedenfalls eine Vorleserin besorgen. Eine von den Kindergärtnerinnen aus der Schule meiner Schwester –“

„Allerdings ein Unterschied!“ sagte Josephine müde.

„Doch unbedingt viel passender für uns,“ betonte Frau Ballingen und nickte der Freundin beistimmend zu.

Diese fuhr mit den Blicken gen Himmel und hob die Schultern viel höher, als man für möglich gehalten hätte, dann sagte sie mit Salbung:

„Liebes Kind, wie oft müssen wir ein viel tieferes Verlangen bekämpfen, sterben sehen – begraben!“ Dazu schwangen sich ihre Seitenlocken wie graue Trauerglöckchen hin und wider; als sie ausgeschwungen, fuhr sie fort: „Sind wir nicht auch da? Im Nothfall löse ich Adelheid gern ab. O, man rühmte meinen Vortrag; im Theekränzchen habe ich einmal die Thekla gelesen, und Herr Assessor Huber, der eben aus der Residenz kam, behauptete, so Etwas nie gehört zu haben.“

Josephine beugte den Kopf herab: ein kleines, mildes Lächeln glitt wie ein rosiger Anhauch über ihre Züge. Frau Schussenried achtete nicht darauf und nahm in weicher Stimmung Abschied. Frau Adelheid begleitete sie.

Als die Thür sich hinter den Damen geschlossen und die kreischende Stimme der Räthin verhallt war, schien es Josephine auf einmal, als erklänge in weiter Ferne Pranten’s herrliches Organ. Und dieser Klang sollte einem Verlorenen angehören können? Nimmermehr! Viel eher einem Unglücklichen. – Sie versank in Sinnen.




3.

Hätte Pranten geahnt, welchen Sturm im Wasserglase er heraufbeschworen, wie herzlich hätte er lachen müssen! Auf die Möglichkeit eines so gefährlichen Naturereignisses kam er aber nicht. So schlenderte er denn harmlos seiner Wohnung zu, allerdings in jener Art gehobener Stimmung, die jedem Gelingen nachklingt.

Sein Häuschen, das ebenso dicht mit wildem Wein bedeckt war, wie das Haus in der Frauengasse, kam ihm heute ganz besonders freundlich vor. Er blieb, was er nie gethan, davor stehen und fand bald, dieser anheimelnde Zug rühre von der Beleuchtung her: die Abendsonne, die eben in Wolken versank, warf so verklärende Strahlen über Alles. Vielleicht hatte es auch einen anderen Grund, doch wer kann Alles und Jedes ergründen?

Sogar den Gartentheil, welcher die Klinik von seiner Wohnung schied, dieses grüne Laubgewirr, nur dicht am Hause von ein paar Blumenbeeten und am Gange von hochstämmigen Rosen, die in voller Blüthe standen, unterbrochen – selbst dieses Fleckchen Erde würdigte Pranten zum ersten Mal einer gewissen Aufmerksamkeit. Es war ihm, als hätten dort noch nie so viele Blumen auf einmal geblüht, gerade wie zu Sträußen gemacht. Zu Sträußen? Doch warum nicht? Junge Damen pflegen Blumen zu lieben. Welche Blume wohl in Nr. 18 bevorzugt würden? Unbedingt Rosen, und er hatte, wie neulich Frau

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 659. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_659.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2018)