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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

behaupteten, sie hätte Beide vergiftet, aber es liegt auch nicht der Schatten eines Beweises für diese gehässige Anschuldigung vor.

Nach dem Tode ihres Sohnes ward Margarethe der Regierung müde, verschrieb die Grafschaft Tirol ihren Vettern, den Herzögen von Oesterreich und zog sich nach Wien in das Privatleben zurück, wo sie am 10. Februar 1379 starb.

So kam Tirol an Oesterreich, mit dem es, geringe Unterbrechungen ausgenommen, bis heute vereint blieb.




Aus vergessenen Acten.

Eine Criminalgeschichte von Hans Blum.

(Fortsetzung.)


Die Untersuchung gegen Josua King konnte nun rasch zu Ende geführt werden. Die Ermittelungen über die Vergangenheit des Angeklagten bestätigten Alles, was im Briefe seines Vaters gestanden. Er räumte seine Vorbestrafung ein, leugnete aber das Motiv der That, welches Natalie enthüllt hatte, wie die That selbst.

Kern ließ den ganzen Weg, den King auf seiner Wanderschaft, nach seiner Entlassung aus dem Zuchthause, genommen, durch die Behörden feststellen und die Meister, bei denen er gearbeitet, die Leute, bei denen er gewohnt, abhören. Ihnen Allen wurde die Mordwaffe vorgelegt; keiner kannte sie. Endlich, in Bamberg, gelang es, einen wichtigen Schritt vorwärts zu thun. Hier hatte King bei einem Schuhmacher Strubel gewohnt, welcher den Dolch und die Scheide bestimmt als King’s Eigenthum wieder erkannte. Er hatte die Dolchscheide auf den Wunsch des Gesellen selbst einmal lackirt und die Waffe kurz vor dessen Weiterreise putzen und schärfen helfen. Er hatte King damals gebeten, ihm die Waffe als Geschenk zurückzulassen, aber die Antwort erhalten: „Die brauche ich selbst nothwendig.“ Auch ein Bamberger Mitgeselle King’s, ein gewisser Siegfried, besann sich genau, diesen Dolch in dessen Besitz gesehen zu haben.

„Das ist unwahr, das sind Lügen!“ erklärte King, als ihm die Aussagen dieser Zeugen von Kern verlesen wurden. „Die Menschen sollten mir einmal Aug’ in Auge gegenübertreten!“

Dem Richter lag die Zusicherung dieses Verlangens schon auf der Zunge. Aber er wußte, wie sparsam der kleine Staat in allen seinen Ausgaben war. Und er wollte King den Triumph nicht gönnen, daß die Zeugen vielleicht, trotz der Versicherung des Richters, nicht zur Verhandlung geladen würden.

Mit Abschluß dieser Erörterungen war die Sache spruchreif. Sie wurde vor die Wintersitzung des Schwurgerichts der Residenz verwiesen.

Kern, der Bezirksarzt, Margret, Natalie und die Lehrlinge wurden als Zeugen geladen, und King wurde nach der Residenz übergeführt.

Die Verhandlung dauerte mehrere Tage, unter gewaltigem Zulauf der Menschen, die theilweise von weither kamen. Die Honoratioren der kleinen Stadt, der Bürgermeister an der Spitze, waren fast vollzählig auf der reservirten Tribüne. Für die Meisten unter den Anwesenden hatte das öffentliche Schauspiel nun das Interesse, wie wenn man ein Drama, das man zum ersten Mal mit verhaltenem Athem Scene um Scene abspielen sah, noch einmal mit kritischem Auge nachliest.

Der Angeklagte machte in seinem modernen, kleidsamen Anzuge mit blüthenweißer Wäsche einen durchaus anständigen Eindruck; er hatte etwas Feines, Elegantes und war durch nichts von der ruhigen Betheuerung seiner Unschuld abzubringen nicht durch den Vorhalt der zahlreichen blutigen Beweismittel der Unthat, nicht durch das thränenreiche Zeugniß der Mutter des Ermordeten, nicht einmal durch Margret’s ergreifende Erzählung ihrer Wahrnehmungen vor, bei und nach der That, welche von der Zuhörerschaft mit solcher Begeisterung vernommen wurde, daß es dem Schwurgerichtspräsidenten schwer wurde, ein lautes Hoch auf das muthige Mädchen zu unterdrücken.

Nur ein einziges Mal gerieth King in leidenschaftlichere Erregung: als plötzlich die beiden Bamberger Zeugen aufgerufen wurden. Sie standen zwar mit auf der Beweismittelliste des Staatsanwalts, aber Eisenbahnen gab es damals über das Gebirge noch nicht, und Thurn und Taxis brauchte mindestens eine Woche, um den großen Schneefall zu bewältigen und der Postschnecke wieder Bahn zu brechen. Der Vertheidiger meinte, die Bamberger Zeugen würden acht Tage nach dem Wahrspruch der Geschworenen eintreffen, und nun waren sie mit einem Male doch da. Sie standen jetzt „Aug’ in Auge“ vor dem Angeklagten, wie dieser gewünscht hatte. Finster schossen King’s Blicke auf die Zeugen, als diese Wort für Wort wiederholten, was sie in der Voruntersuchung ausgesagt und zu beschwören sich bereit erklärt hatten. Er verlangte ungestüm, zum Worte gelassen zu werden.

„Ich gebe den Herren zu bedenken, bevor sie ihre Worte beschwören,“ sagte er nachdrücklich, „daß ich ihnen beweisen kann, wie sie sich irren, wenn sie diesen Dolch und diese Scheide für mein Eigenthum halten.“

„King,“ sagte da der Staatsanwalt. „Bedenken Sie, was Sie eben sagten? Sie haben bisher entschieden in Abrede gestellt, diese Waffe hier zu kennen?“

„Ja gewiß,“ entgegnete King trotzig.

„Und nun wollen Sie den Zeugen beweisen, daß sie sich irren. Da müssen Sie doch nachweisen, daß Sie eine andere ähnliche Waffe in Bamberg besessen haben, und daß diese hier einem Andern gehört, nicht wahr?“

„Ich habe die Zeugen nur auf die Probe stellen wollen,“ erwiderte King mit gewohnter Gewandtheit, ohne Bedenken.

Aber auch die Vertheidigung hatte ihre Zeugen geladen.

Da gab es Zeugen, welche den trefflichen Charakter, den Fleiß, die Treue und Hingebung King’s an seinen Meister bestätigten, was übrigens auch die Belastungszeugen thaten. Dann gab es Zeugen, unter ihnen vor Allem Fritz Becker, welche die Warnung King’s an Wolf vor dem wilden Bahring, als Wolf die Ressource verließ, bekundeten; Zeugen welche beschworen, wie außerordentlich müde King in jener Mordnacht gewesen, Zeugen, welche das im Keller gefundene Taschentuch als Bahring’s echtes Eigenthum anerkannten und beschworen, daß er häufig einen großen, scharfen Dolch getragen, Zeugen, welche die letzten Zeilen Bahring’s als zweifellos von dessen Hand geschrieben anerkannten.

Nach Schluß der Beweisaufnahme erhielt, unter lautlosem Schweigen der Hunderte von Zuhörern, der Staatsanwalt das Wort zur Begründung der Anklage. Er ging aus von dem Nachweise, daß der Mörder innerhalb des Hauses bei Wittwe Wolf gewesen und geblieben sei. Daher seine Blutspur nur innerhalb des Hauses, nirgends im Hofe oder vor der Hausthür. Dieser Mörder sei King. Er habe seinen Herrn durch die Vorspiegelung, daß Diebe im Pelzkeller seien, nachdem er vorher dort das Licht Hark’s aufgestellt, in den Keller gelockt. Am Kellereingang habe er den zögernden Meister von hinten angefallen, ihm Stiche in Hals und Rücken beigebracht und ihn die Treppe hinabzustürzen versucht. Da habe sich Wolf gewendet und in ungünstiger Lage, tiefer stehend, mit Händen und Armen nach Kräften sich gewehrt, auch hier wie schon oben am Eingang des Kellers nach Hülfe geschrieen. Der Mörder habe dem armen Opfer sein Taschentuch in den Mund gestoßen, um Wolf’s Rufe zu ersticken. Da sei Margret draußen vor der Kellerthür erschienen. Der Mörder habe ihr die Thür versperrt; Wolf sei dann an den bisher empfangenen zahlreichen Wunden zusammengebrochen, und King habe den Sterbenden in den Vorkeller geschleppt und hier an dem Tuche Bahring’s, das er vermuthlich in der Ressource entwendet, die Finger abgewischt. Der Wirth der Ressource habe ja beschworen, daß Bahring bei seinem Weggehen sein Taschentuch vermißt habe. Um den Verdacht auf Bahring zu lenken, habe er dieses Tuch in der Nähe der Leiche liegen lassen und die Briefe der Braut des Ermordeten zerrissen, sein eigenes Tuch dagegen wieder an sich genommen. Leider sei es durch den in derselben Nacht verübten Selbstmord Bahring’s unmöglich geworden, Bahring selbst gegen diese raffinirte Bosheit des Angeklagten als Zeugen aufzurufen.

King habe nun die Hülferufe Margret’s im Hofe gehört. Rasch habe er das Licht verlöscht, um unerkannt zu bleiben. Die Dolchscheide, die ihm entfallen, im Dunkel zu suchen, habe er keine Zeit gehabt. Er sei hinaufgeeilt, um die Thür der Damen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 654. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_654.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)