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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

venetianischen Prachthauses – man meinte, dort unter dem wogenden Faltenwurf einer halb zurückgeschlagenen Gardine müsse der Kopf einer schönen Dogen- oder Patriciertochter auftauchen.

Es wehte heute eine so lautlose Stille um das Säulenhaus. Weder Mamsell Birkner, noch Hannchen ließen sich sehen, und sonst kamen sie doch stets voll Freude daher, um den lieben Gast zu begrüßen. Sie waren wohl in Küche und Keller emsig beschäftigt, um auch da die letzte Hand zum Empfang des heimkehrenden Gebieters anzulegen.

Donna Mercedes kehrte wieder über die Wiesen zurück und pflückte im langsamen Weiterwandeln da und dort eine langstielige, morgenfrische Feldblume. Wie zierlich sie die Blumen zu gruppiren verstand! Camillen, Butterblumen, weiße Glöckchen auf schwankem Stengel, hier ein wildes Röschen von der Hecke, dort einige der Vergißmeinnicht, die am Bachufer üppig wucherten, und darüber ein feiner, wallender Schleier bräunlich grüner Zittergräser – so entstand in den schmalen Frauenhänden ein köstlicher, malerisch geordneter Strauß einfacher Wiesenblumen.

Wer es der „Plantagenfürstin“ einst gesagt hätte, daß sie den stolzen Leib unzählige Mal nach einer armseligen deutschen Feldblume bücken würde! Nicht einmal den Blick hatte sie damals gesenkt nach den demüthigen Kindern der Natur, an denen ihre Sohle knickend hingestreift. Und war es nicht die verhaßte deutsche Luft, welche sie, manchmal stehenbleibend, mit so durstig tiefen Zügen einsog, als sei dieser würzige, kräftige Odem voll Fichtenduft vom Anfang an das Element gewesen, in welchem sie einzig und allein zu leben vermöge?

Der Strauß war so umfangreich geworden, daß ihn die Hand kaum zu umfassen vermochte – er war fertig, um in die Vase gestellt zu werden. Donna Mercedes schritt nach dem Glashause, aber es war verschlossen. So stieg sie denn, wie sie so oft that, die Treppe nach dem Oberbau hinauf.

In dem kleinen Salon, den Baron Schilling einst um ihretwillen bewohnt, hielt sie sich oft stundenlang auf; fast alle an ihn gerichteten Briefe hatte sie auf dem einfachen Eichenholz-Schreibtisch am Fenster geschrieben.

Mamsell Birkner und Hannchen wußten das und sorgten stets dafür, daß dort irgend eine Erfrischung für den Besuch bereit stand. Auch jetzt blickte eine schöne Krystallschale voll frischer Erdbeeren auf einem weißgedeckten Seitentischchen.

Donna Mercedes warf ihren Hut auf einen Stuhl und zog das Reitkleid schürzend durch eine Gürkelkette. Das Hütchen hatte ihr die Haarwellen lose und lockig in die Stirn geschoben, und beim Herausziehen der Nadeln, die es festgehalten, war eine Flechte locker geworden und seitwärts bis tief über die Hüfte hinabgeglitten. Sie bemerkte es nicht. In der einen Hand den kleinen Silberteller mit der beerengefüllten Krystallschale, in der andern den Feldblumenstrauß, stieg sie die Wendeltreppe in der Atelierecke hinab.

Sie war jetzt ganz sorgende Hausfrau. Ihre Augen flogen forschend und strengprüfend durch den Raum, ob auch Alles unverrückt an seinem Platze stehe, ob kein Stäubchen auf all dem blinkenden und blitzenden Glas- und Metallgeräthe liege und Licht und Schatten durch das Arrangement der Vorhänge so vertheilt sei, wie Hannchen gesagt, daß er es liebe.

Er hatte seiner Correspondentin die Stätte seines Schaffens wiederholt an das Herz gelegt, und sie behütete den Raum wie ein Heiligthum. Jede Spur des Attentates, das einst die rachsüchtige weibliche Hand hier verübt, war längst verwischt. Im Glashause rauschte leise die eine große Fontaine und hauchte erfrischende Kühle in das Atelier; die Palmen hatten sich herrlich entwickelt und drohten mit ihren Kronen das Glasdach zu sprengen, und zwischen den sammetschimmernden Blättern der Gloxinien leuchtete schon manch früherblühter Kelch.

Donna Mercedes rückte ein Rococo-Tischchen mit ausgelegter Platte neben die Staffelei und stellte die Krystallschale darauf. Dann nahm sie ein hohes venetianisches Kelchglas von einem Schranksims, füllte es am Bassin mit frischem Wasser und placirte es mit dem Wiesenblumenstrauß neben der Schale. Fast zaghaft griff sie in die Tasche und zog ein kleines, unscheinbares Etui heraus – sie trug es in der letzten Zeit immer bei sich und hatte sich doch stets gescheut, es da niederzulegen, wohin es von Rechtswegen gehörte.

Noch einmal drückte sie die Feder auf, und das Mädchengesicht auf der Elfenbeinplatte sah sie mit seinen halb stolzen, halb melancholischen Augen an. Lächelnd schob sie die schmale Kapsel tief in das Herz des Straußes, und die Zittergräser schlugen harmlos darüber zusammen – sie wußten ja nicht, daß das Reuebekenntniß eines in all seinen Tiefen gewandelten weiblichen Herzens zwischen ihnen ruhe. – –

Das war nach Wunsch ausgefallen – ihr strahlender Blick glitt befriedigt über das Tischchen, und nun ging sie umher und bückte sich, um da ein Pantherfell näher und bequemer an den Lehnstuhl zu rücken, dort einen vermuthlich am Kleidersaum hereingetragenen feinen Holzsplitter von der blanken Fußboden-Mosaik zu nehmen, und bei diesem Bücken fiel ihr die gelöste Flechte vornüber. Sie hob die Arme, um sie festzustecken.

„Mein süßes Weib, wie entzückst Du mich!“ scholl es plötzlich in hervorbrechender Leidenschaft durch das Atelier.

Sie stieß einen Schrei aus und wankte, aber schon fühlte sie sich innig umschlungen; sonnenverbrannt, aber tiefgeistigen Ausdruck in jeder seiner unregelmäßigen Linien beugte sich das Gesicht mit der eckige Stirn über sie, und die blauglänzenden Augen tauchten beseligt in die ihren.... Ihrer nicht mehr mächtig, schlang sie die Arme um seinen Hals und ließ es geschehen, daß er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte.

Dann aber strebte sie zu entfliehen. „Böser Mann!“ schalt sie. „Das ist eine unerlaubte Ueberrumpelung! – Im ersten Schrecken –“

„Im ersten Schrecken, Mercedes?“ fragte er, ohne sie freizugeben. „Im ersten Schrecken bist Du mein geworden?“ Er lachte. Wie klang das voll und frisch und herzbezwingend von den Wänden! „Verlangst Du ernstlich, daß ich in aller Form das ausspreche, was wir längst zwischen den Zeilen unserer Briefe gelesen haben?“

„Nein, das sollst Du nicht. Ich weiß, daß Du mich liebst mit deutscher Innigkeit und Treue,“ sagte sie tiefernst, und das Feuer ihres Blickes milderte sich zu jenem sanften Licht, welches die Hingebung des Weibes so unwiderstehlich bekundet.

„Mercedes!“ Er zog sie tiefer in das leuchtende Viereck, welches das Oberfenster hereinwarf. „Laß sehen – Du bist es nicht, die mir einst Liebesleidenschaft und Haß und Abscheu zugleich eingeflößt hat, die Frau, die Engel und Teufel in ihrem unbegreiflichen Wesen vereinigte, die schlimme Worte mit todbringenden Blicken aussprechen konnte –“

„Still! Ich sagte und that gar Vieles einzig und allein aus Trotz, aus Nothwehr gegen den siegreichen ‚fischblütigen’ Germanen.“ – Sie verbarg ihr Gesicht an seiner Brust.

„O, meine arme, geblendete Madonna!“ rief er lächelnd mit einer Wendung nach dem Schranke, in welchem er einst das zusammengerollte Oelbild verschlossen hatte. „Nun sind die Augen doch wahr gewesen!“

Sie sah ihn erstaunt an.

„Ja, Deine Augen, Mercedes. Das kleine Bild auf der Elfenbeinplatte“ – jetzt richtete sich ihr Blick verstohlen nach dem Feldblumenstrauß – „o, ich weiß schon, wo ich mir mein Eigenthum wiederzuholen habe,“ unterbrach er sich lachend. „Zuerst sah ich Dich, vom Glashause aus, über die Wiesen schreiten und Blumen pflücken. Dann kamst Du dort die Treppe herab, während ich mich hinter den großen, chinesischen Schirm geflüchtet hatte und fürchtete, mein laut pochendes Herz würde mich verrathen. Ich sah, wie Du mitleidig lächelnd in das Gesicht der Dreizehnjährigen blicktest – und doch sind es diese tiefen Kinderaugen, die Du auf manchem meiner besten Bilder finden wirst – sie erstanden immer wieder unter meiner Hand, ob ich wollte, oder nicht. Aber da kamst Du eines Tages selbst, in der ersten Stunde meine Seele bezwingend, wie Satanella, wie eine ‚Teufelinne’ – ich haßte die eisigblickenden Flammenaugen und vergötterte sie zugleich; in aufloderndem Zorn verlöschte ich die spöttische Sphinx an meinem Herzen – beseligende Wandlung! Sie will mein sein in sanfter Hingebung – ob aber auch in Allem, Mercedes?“

Er ließ plötzlich die Arme sinken und trat unter einem tiefen Athemzug von ihr weg.

„Das muß erst noch gesagt werden – ich kann mir nicht helfen. Du wohnst in einem Zauberschloß, schwimmst in feenhaftem Luxus und bist gewohnt, mit vollen Händen Dein Gold in die Welt zu streuen. So tief und wahr, so heiß ich Dich

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