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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Die Fichten hinter dem Atelier mochten wohl ihre alten Häupter und Bärte geschüttelt haben. Denn so lange sie auf Schilling’schem Grund und Boden standen, hatten sie noch kein solch stürmisches Auseinandergehen zwischen Mann und Weib gesehen. Unter den Schilling’schen Quer- und Trotzköpfen war manch grimmer Haudegen gewesen, und es hatten auch Frauen da gewaltet, kraftvoll und stark an Leib und Seele, die, ihrer Hausfrauenrechte wohl bewußt, mit strenger Würde ihr Scepter getragen. Aber der Herr war Herr und Gebieter geblieben, mochte die Frau auch Truhen und Schreine voll gediegenen und klingenden Werthes und einen Namen des edelsten Klanges mitgebracht haben, und wenn einer der Eheherren auch noch so wild gepoltert, die alten Bäume des Schillingshofes wußten bis dahin nichts zu erzählen von so bösen, schneidend giftigen Worten aus Frauenmund, wie sie zu dieser schlimmen Stunde durch die Atelierfenster gedrungen waren. –

Am anderen Tag verkehrte Baron Schilling lange mit dem Sachwalter, der die Gnädige nur bis an den Wagen begleitet hatte und im Schillingshof zurückgeblieben war. Auch Mamsell Birkner, die Kundige, wurde zu der Conferenz gezogen und ihr die Reclamation alles dessen, „was dagewesen war“, übertragen.... Dann, am späten Nachmittage, trat Baron Schilling in die Parterrewohnung.

Es war gut, daß Besorgniß und Sehnsucht die Majorin gerade um diese Stunde herübergetrieben hatten; denn Donna Mercedes schrak fassungslos zusammen und blieb unbeweglich im Fensterbogen stehen, als er, dem anmeldenden Schwarzen auf dem Fuße folgend, in die Thür trat.

Er war im Reise-Anzug, und draußen hielt der Wagen, der ihn und sein Gepäck zur Bahn bringen sollte.

„Ich komme, um Frau von Valmaseda und Lucian’s Kindern mein Heim nochmals zur unumschränkten Verfügung zu stellen,“ sagte er zu der Majorin, den Stuhl, den sie ihm bot, dankend zurückweisend. „Meine gute Birkner und Hannchen werden Alles thun, um die Räume so wohnlich wie möglich herzurichten, wenn der fremde Besitz ausgeräumt sein wird.“

Wie das seltsam von seinen Lippen klang, schneidend betont, und dabei von einem sonnenhellen Aufblick begleitet!

„Ich selbst muß fort. Ich habe das niederbeugende Gefühl, als sei meine Seele verwildert im langjährigen Kampfe mit bösen Eindrücken, und bis nicht alle diese entstellenden Flecke weggespült sind, betrete ich das Haus meiner Väter nicht wieder.“

Dann trat er in die Fensternische. Er nahm Donna Mercedes’ Rechte, die auf dem Schreibtisch lag, sanft zwischen seine schönen, kräftigen Hände. Versunken war aller Groll in der Tiefe der blauglänzenden Augen, die auch heute das Feuer ausstrahlten, das gestern ein einziger Augenblick entzündet.

„Verzeihung!“ flüsterte er, über die junge Dame gebeugt. „Der ungelenke Germane ist ein plumper Stümper in der Seelenkunde gewesen – er wird das mit einer jahrelangen, einsamen Wallfahrt durch die Welt büßen.“

Und mit den Lippen leise und vorsichtig die verletzten Finger berührend, wandte er sich ab und verließ das Zimmer.




40.

Die ehemalige fürstlich Trebra’sche Villa lag der Stadt ziemlich nahe. Eine sehr belebte Chaussee mit nebenherlaufendem schönem Promenadenweg durchschnitt diesen weit hingestreckten Zipfel des Parkes – es herrschte da steter Verkehr. Tiefer hinein wurde es stiller und stiller; man hörte die scheuen Goldfasane durch das Dickicht huschen; Rehe äßten arglos auf den Lichtungen, und die Schatten der dichtgeschaarten, laubschwellenden Waldwipfel wurden so intensiv, daß eine feuchte Kühle über die Wege wehte – ein wahrer Lebensodem für die riesigen Farren, das wuchernde Immergrün- und Epheugewirr, das ohne die emsig wehrende Menschenhand binnen Kurzem auch die schmalen Waldpfade übersponnen haben würde.

Man mußte ziemlich lange den Schlangenwindungen dieser Pfade nachgehen, ehe man die Menschennähe wieder spürte. Da und dort schob sich wohl ein kleiner Pavillon aus Baumrinde zwischen die Eichen- und Buchenäste, und Steinsitze blinkten durch das grüne Dämmern, aber in dem falben Sonnenschein, der neben dem die Laubwucht auseinanderdrängenden Pavillondach hereinfiel, regten sich nur schillernde Lacerten, und auf den Steinbänken rastete kaum ein täppisch hüpfender junger Vogel, der seinen ersten Flugversuch auf dem heimischen Brutnest gewagt hatte.

Dann aber sah man plötzlich durch auseinanderfließendes Grün helle Steinprofile und plastisch gehobene Arme, eine Marmorgruppe nach der andern; sie stiegen bergauf; winkten halbverloren aus dunklem Gebüsch von der Höhe herab, wo allmählich einzelne Säulen hervortraten, weiße blendende Marmorsäulen, immer mehr und mehr, bis sie, ebenmäßig aneinandergereiht, wie eine Riesenharfe hoch über dem Waldgründunkel zu schweben schienen – das war der Peristyl des kleinen Schlosses, welches Donna Mercedes an das niedergebrannte Vaterhaus in der südlichen Heimath erinnerte.

Drüben, jenseits des Meeres, lag die Marmorpracht in rauchgeschwärzten Trümmern unter hochaufschießendem Gestrüpp und einem Netz von Lianen, die sich von den nahen Waldbäumen herübergeschaukelt und mit gierigen Armen nach dem gestürzten Menschenwerk gegriffen hatten. Hier war es auch, als kröchen Millionen grüngefiederter Netzfäden empor, um das weißschimmernde Haus zu umstricken, zu bewältigen; allein nicht ein biegsamer Ausläufer dieser Rank- und Kletterrosenmassen durfte weiter vorrücken, als der Menschenwille gestattete. Sie schlangen sich um das Terrassengemäuer, um die Bronzegeländer, das goldschimmernde Drahtgeflecht hier und da freilassend – es war, als stürze da eine schneeweiße, dort eine rosenfarbene Cascade von Stufe zu Stufe. Seitdem die „Amerikanerin“ Herrin des Schlößchens geworden, blieb es das Ziel gar manches Waldspaziergängers. Man wollte die schöne Frau sehen, wie sie, langsam wandelnd, zwischen den Lorbeer- und Rosenbäumen hinschritt oder die Terrassen herabkam, um sich auf ihr Pferd zu schwingen.

Es waren nahezu drei Jahre verflossen, seit Donna Mercedes die Besitzung gekauft hatte, und noch war der Reiz ihrer fremdartigen Erscheinung, der Ruf ihres fabelhaften Reichthums wie ein Wunder in Aller Munde, doppelt nachhaltig, weil sie wie eine geheimnißvolle Einsiedlerin streng zurückgezogen, aber sichtlich beglückt nur mit den zwei schönen Bruderskindern und der Majorin Lucian zusammenlebte.

Die Majorin hatte ihr Wort wahr gemacht, nach welchem ihres Bleibens in dem alten Klosterhause nicht länger sein werde, als die Pflicht erheische. Sie war die alleinige Erbin des gesammten Wolfram’schen Besitzthums geblieben, da sich kein Testament ihres Bruders vorgefunden. Einige Monate nach den traurigen Ereignissen hatte sie das Klostergut verkauft und war in die „Villa Valmaseda“ übergesiedelt.

Thränen hatten in ihren Augen gezittert, als sie, das Klostergut verlassend, sich gesagt hatte, daß nun auch seine Zeit gekommen war, denn sie wußte, daß der neue Besitzer beabsichtige, das zusammensinkende Mönchswerk bis auf den Grundstein niederzureißen. Mit Wehmuth hörte sie, als sie schied, das Rollen und Rasseln der kleinen Pforte, das jeden wichtige Schritt, fast jedes Ereigniß ihres Lebens begleitet, ihren Gang zur Confirmation, zur Trauung, ihre Rückkehr aus der Welt – die Flucht des verstoßenen Sohnes, den letzten Weg des „verunglückten“ Bruders.

Es war ein schweres Scheiden gewesen, aber schon nach wenigen Monaten hatte Donna Mercedes mit stiller Freude beobachtet, wie der Blick der Majorin heller, der gramvolle, tiefgehende Ton ihrer Stimme weicher geworden war, wie die Augen aufstrahlten, wenn die schönen Enkel in fröhlichem Spiel mit Pirat um sie herumtollten.

Auch nach der Arbeit, die ihr früher so oft über verborgene Seelenschmerzen hinweggeholfen, hatte sie gegriffen und trotz aller Bitten ihrer Gefährtin, nun nach einem so harten, arbeitsvollen Leben zu ruhen, das Regiment über die Wirthschaft, über das Dienstpersonal im Hause in die Hand genommen. Alles beugte sich willig und ehrerbietig unter das Scepter der rüstigen Matrone, das streng, aber zu Gedeihen und Wohlfahrt Aller gehandhabt wurde. Und was sie einst in Selbstüberhebung und Eigendünkel finster zurückgewiesen, die Liebe Anderer, das genoß sie jetzt in vollem Maße, und ihr so lange unterdrücktes Herz erquickte sich daran. Donna Mercedes brachte ihr die Zärtlichkeit einer Tochter entgegen, und Einer draußen in der Welt, der einst als Kind unter ihren Augen drüben auf dem Parterre des Schillingshofes mit ihrem Knaben gespielt, der ihm ein treuer Freund bis in den Tod hinein gewesen, er war ihrem Herzen nahe getreten, als sei er ein Bruder dessen, der jenseits des Meeres unter der Erde schlief.

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