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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Beethoven durch Decret des Kurfürsten „auf unterthänigstes Bitten zu Dero Hofmusicum gnädigst erklärt und angenommen“ und zwar mit vierhundert Gulden rheinisch, ungefähr siebenhundert Mark, ein ansehnliches Gehalt für einen erst Zwanzigjährigen! Ein Jahr lang etwa war er in Bonn herkömmlicher Weise zur Probe in der Capelle beschäftigt gewesen und hatte „mit einer schönen und biegsamen Stimme“ die in den Messen vorkommenden Baßsolos gesungen, da schritt er zur Heirath. Josepha Poll hieß seine neunzehnjährige Frau. Ein Jahr darauf sah er sich mit einem kleinen Mädchen beschenkt – Herd und Haus, Amt und Stellung – welcher Erfolg persönlicher Energie! Audacem fortuna juvat! „Dem Muthigen gehört die Welt!“ Das Kind starb freilich ein Jahr darauf, und ein zweites scheint ebenfalls nicht lange gelebt zu haben. Sein drittes Kind war Johann, der Vater Ludwig’s, um 1740 geboren.

Seine Stellung hob sich mit Einnahme und Rangsteigerung, und bald gehörte er fraglos zu den angesehensten Künstlern in Bonn. Zuerst heißt er einfach „Musicus“, dann „Herr“, darauf „Hofmusicus“ und im Jahre 1761 „Herr Capellenmeister“. Charakteristisch für ihn ist sein Eintritt in den letzteren Rang. Er war amtlich der Capellmeisterstelle „versichert“ worden. Der Kurfürst, jetzt Max Friedrich, hatte aber einen Geiger Touchemoulin vorgezogen. Dieser verzichtete jedoch auf die Stelle, als der neue Minister Belderbusch sein Gehalt herabsetzte. Darauf schreibt nun der „Passist“ Beethoven männlich, offenherzig, zornig: „Weil aber aus besonderer Empfehlung mir der Touchemoulin vorgezogen worden ist und zwar widerrechtlich (!), so mußte ich mich bis hierher dem Geschicke unterwerfen.“ Jetzt bittet er, ihm „das Recht widerfahren zu lassen, welches bei dem Vorgänger ihm benommen worden sei“, und wegen seiner doppelten Dienste auch sein Gehalt zu erhöhen. Der neue Kurfürst achtet auch wirklich die Dienste wie den resoluten Charakter seines „Passisten“ und ernennt ihn mit Gehaltserhöhung zum kurfürstlichen „Hofcapellenmeister“. Daß er dabei Sänger blieb, lag in der Sitte der Zeit, die manche berühmte Componisten als solche sah. Nur kam jetzt noch der Theaterdienst dazu, und Dr. Wegeler erwähnt einer Tradition, wonach er in gewissen Singspielen den „größten Beifall“ erhalten habe.

Nähere Nachrichten über die Persönlichkeit und das häusliche Leben des alten Herrn entstammen einer Handschrift, welche kürzlich an’s Licht gekommen und zuerst auszugsweise neben andern werthvollen Documenten aus dieser Bonner Zeit des Meisters und seiner Vorfahren dem Buche „Ludwig van Beethoven’s Leben“ von A. W. Thayer einverleibt ist. Es sind Erinnerungen zweier alten Leute, Kinder eines Bäcker Fischer, in deren elterlichem Hause in der Rheingasse beide Familien Beethoven gewohnt haben; an diesem Hause prangt noch heute fälschlich eine Geburtstafel Beethoven’s.

Zunächst heißt es daselbst von unserem „Hofcapellenmeister“: „Statur des Herrn van Beethoven: mittlere Größe, längliches Gesicht, breite Stirn, runde Nase, große, dicke Augen, dicke, rothe Wangen, sehr ernsthaftes Gesicht,“ und die ganze Erscheinung wird als die eines stattlich schönen Mannes bezeichnet. So war er im Alter von siebenundzwanzig Jahren gemalt worden. Das Portrait in natürlicher Größe hing nach jenen Aufzeichnungen in einem vergoldeten Rahmen in der Mitte des Zimmers, links nach der Straße, wo gegenüber rechts sein Clavier stand; er war dargestellt sitzend auf einem Sessel, in Pelz, Kleidüberzug mit Schlägeln (Troddelschnüren), sammetener Pelzkappe mit goldener Troddel und ein paar Blätter Noten vor sich – unsere Abbildung. Und da das Portrait gar von dem kurfürstlichen Hofmaler gemalt war, so müssen die Verhältnisse des Hofcapellmeisters recht gute gewesen sein.

Auch darüber erfahren wir hier zuerst Näheres: „Hofcapellmeister van Beethoven hatte liegende Gelder. Er hatte zwei Keller mit Wein, wo er faßweise verkaufte. Er verkaufte seinen Wein in’s Niederland, wo er seine Kenner hatte, Kaufleute, die ihm den Wein abkauften, und so schlug er bei einem guten Jahrgang wieder Wein ein.“ Daher konnte wohl, wie uns weiter berichtet wird, „alles so schön und propper und wohleingerichtet sein, mit Pretiosen, die sechs Zimmer alle mit schönen Möbeln versehen, viel Malereien und Schränke, ein Schrank mit silbernen Servicen, ein Schrank mit feinvergoldetem Porzellan und gläsernem Geschirr, ein Vorrath der schönsten Leinwand, die man durch einen Ring hätte ziehen können: die geringsten Artikel hätten alle wie Silber geblinkt.“

Läßt nun das Letztere auf eine sehr ordentliche Hausfrau schließen, so lag doch gerade auf dieser Seite der Ehe ihr Schatten. „Statur der Madame van Beethoven: ziemliche Größe, längliches Gesicht, etwas gebogene Nase, mager, ernsthafte Augen; Cäcilia Fischer wußte sich nie zu erinnern, daß sie Madame van Beethoven hätte lachen sehen; immer war sie ernsthaft,“ sagt jenes Manuscript. Es war der Ernst des Kummers, und zwar des schlimmsten, des verzehrenden Grams über die eigene an das Laster grenzende moralische Schwachheit. Denn wir hören weiter: „Er war ein sehr respectabler Mann, in seinem Umgang ein herzensguter Mann, seine Ehegemahlin eine stille gute Frau, die aber dem Trunk stark ergeben war, womit er soviel heimliche Leiden ertragen hat, daß er zuletzt auf den Gedanken gekommen war, sie nach Köln in Pension zu thun, wo sie auch starb.“

Nun begreifen wir, warum er bei einer Hochzeit des Vaters der beiden Fischer im Jahre 1761, also noch während der Ehe, Thränen vergoß und, darüber befragt, antwortete, daß er dabei an seine Trauung und Hochzeitslage gedacht. Die Gegenwart war ihm tief-trübe gegen den Sonnenglanz jener Jugendjahre, und vielleicht hatte sein eigenes Unternehmen, der Handel mit Wein und der darum stets offene Keller, das Leiden herbeiführen helfen oder doch tiefer einreißen lassen, als sonst wahrscheinlich gewesen wäre.

Ja, dieses Leiden warf schon früh seinen Schatten auch auf die kommende Generation der Familie. Die auffallend geringe Schulbildung des einzigen Sohnes, der Beethoven’s Vater werden sollte, weist auf eine sehr vernachlässigte Erziehung hin, und mehr noch bekundet sich dieselbe durch die folgende Nachricht: „Der Hofcapellmeister Beethoven hat einst im Unterhause gesagt: ‚Da stehen passend drei Johannse wie ein Kleeblatt zusammen, der Lehrbusch ist Johannes der Fresser, den sieht man immer essen, und der Gesell im Haus ist Johannes der Schwätzer, und (indem er mit der Hand auf seinen Sohn wies) das ist Johannes der Läufer – lauf nur, lauf nur! Du wirst noch einmal an dein End’ laufen.’ Johann van Beethoven hatte einen flüchtigen Geist, machte gelegentlich kleine Reisen nach Köln, Deutz, Andernach, Koblenz, Thal Ehrenbreitstein und wer weiß wohin. Dies that er, wenn er wußte, daß sein Vater zwei, drei oder vier Tage verreiste.“ Der bloßen Wanderlust fügte sich aber bald ein anderer Trieb. „Er suchte zu freien, auch anzulanden; welche? wo? wußte man damals noch nicht,“ sagt die Handschrift. Es war in Thal Ehrenbreitstein, wo er im Jahre 1767 „anlandete“, und dies in einer Weise, die dem würdigen Hofcapellmeister wenig behagte. „Als Johann van Beethoven seinem Vater seine Geliebte persönlich vorstellte, da erschien sie seinem Vater nicht angemessen, nicht gewichtig genug,“ heißt es dort. „Herr Hofcapellmeister ließ es bei der Vorstellung bewendet sein und wollte weiter nichts wissen, obschon sie eine schöne, schlanke Person war und keiner etwas auf sie bringen konnte und von bravem rechtschaffenem bürgerlichem Herkommen war und durch alte Urkunden aufweisen konnte, daß sie vornehmen Herrschaften gedient, wobei sie eine schöne Erziehung und Bildung erhalten.“ Sie war die Tochter eines kurtrierschen Hauptkochs und Wittwe eines kurfürstlichen Kammerdieners. „‚Das hätte ich nie von dir geglaubt und erwartet, daß du dich so heruntergesetzt hättest,’ sagte der Hofcapellmeister. ‚Thu du nur was du willst, so thue ich auch was ich will; ich überlasse dir hier das ganze Quartier und ziehe aus.’“ Ja, die junge Frau selbst erzählte später, daß sie von ihrer Seite eine gute Hochzeit hätten halten können, aber ihr Schwiegervater würde ihr „aus Eigensinn“ nicht beigewohnt haben, deswegen sei die Sache kurz abgemacht worden. Es war also der Keim zum Unfrieden tief gelegt.

In der That finden wir das junge Ehepaar auch nicht bei dem Vater wohnen, der doch so gut wie Wittwer war, seitdem er seine Frau in ein Kloster hatte geben müssen. Der Sohn war ebenfalls kurfürstlicher Sänger und hatte 300 Mark Gehalt nebst einigen Nebeneinkünften bescheidener und unregelmäßiger Natur. Nach anderthalb Jahren kam ein Knabe, der jedoch bald starb, zwei Jahre darauf unser Beethoven. Der Großvater war sein Pathe. Daß aber der Taufschmaus im Hause einer reichen Nachbarin, Frau Baum, die ebenfalls Pathin war, stattfand, beweist, wie bescheiden die Verhältnisse des jungen Ehepaares schon

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 614. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_614.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)