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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

tiefen Sinnen so leicht gestörte und selbst so sehr wählerische Meister durch dreißig Jahre in und um Wien inne hatte, und zeigt noch heute nicht die geringste Spur der Gefahren, die so häufige Umzüge besonders für Kunstdinge mit sich bringen; es hängt völlig unverletzt in Wien im Zimmer der Frau Karl van Beethoven, der Wittwe jenes Neffen des Meisters, der sein Erbe ward.

„An diesem Großvater hing der kleine Louis mit der größten Innigkeit,“ sagt Beethoven’s Bonner Jugendfreund Dr. Wegeler, „und so zeitig er denselben auch verlor, blieb bei ihm der frühe Eindruck doch sehr lebendig. Mit seinen Jugendfreunden sprach er gern vom Großvater, und seine fromme und sanfte Mutter, die er weit mehr als den nur strengen Vater liebte, mußte ihm viel vom Großvater erzählen. … Dieser Großvater war ein kleiner, kräftiger Mann mit äußerst lebhaften Augen und als Künstler vorzüglich geachtet.“ Und doch war der Knabe erst drei Jahre alt, als der alte „Hofcapellenmeister“ starb! –


Beethoven’s Großvater.
Nach einem Gemälde vom Hofmaler Radoux in Bonn (Besitzerin: Frau Wittwe Karl van Beethoven in Wien).


Nicht blos des alten Herrn eigene hohe Begabung, mehr noch dessen persönliche bedeutende Erscheinung macht diesen so frühen und doch so sicheren Eindruck erklärlich, und spätere Erlebnisse fuhren dann gewissermaßen diesen Umrissen stets auffrischend und vertiefend nach.

Der Großvater Beethoven’s war als drittes Kind von zwölfen im December 1712 zu Antwerpen geboren und erschien nach einer Bonner Tradition „von einer schönen Erziehung und schönem Herkommen“. Nach alter Familientradition war er noch als Knabe in Folge eines Conflicts mit der Mutter auf- und davongegangen. Da er so lange ausgeblieben, habe die Mutter ihn suchen lassen, und als man ihn nicht gefunden, ihn für todt gehalten. Auch kam er in der That nie in’s Elternhaus zurück, es muß sich aber später ein Briefwechsel zwischen ihm und den Seinen entsponnen haben.

Hier sehen wir die „altniederländische Starrköpfigkeit“, über welche des großen Meisters Freunde so oft klagten, als Keim im Beethoven’schen Blute. Es war aber nicht etwa jenes „Nichtgutthunwollen“, das den Leichtsinn ausmacht und dann auch in der Regel zu nichts Gutem führt. Der Eigenwille ging auf Bethätigung der angeborenen Kraft, wenn auch dabei etwas von der alten Abenteuerlust der Nordländer wie speciell das „Sichaustobenmüssen“ der Niederländer nicht fehlt. Und so sehen wir den so eigenwillig Davongelaufenen denn auch mit noch nicht ganz achtzehn Jahren in einer praktischen Stellung, nämlich als Singlehrer an einem geistlichen Capitel zu Löwen, woher die Familie Beethoven ursprünglich stammte und wo er also vielleicht auch noch Verwandte hatte; die ganze Familie wird als „von altersher musikalisch“ bezeichnet. Hier in Belgien, und zwar speciell in dem nahen Lüttich soll ihn dann, ebenfalls nach der Familientradition, der Kurfürst Clemens August von Köln „als guten Musicus und Sänger erfahren und wahrgenommen haben“. Und in der That „dependirte“ das Bisthum Lüttich von der „Köllnischen Kirche“, und Clemens August war seit 1725 Probst der dortigen Kathedrale, hatte also Anlaß und Pflicht, zuweilen in diese Gegend zu reisen.

Die Stellung in Löwen war nur eine vorübergehende Vertretung gewesen, und so stand einer Uebersiedelung nach Bonn nichts im Wege. Im März 1733 wird denn der Singlehrer

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 613. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_613.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)