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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

nichts verbrochen. Hast Du wirklich das Recht, von mir zu verlangen, daß ich eine treue, aufopfernde Freundin ohne Weiteres vor die Thür stoße, weil sie Dir antipathisch ist?“

„Das Recht habe ich in diesem Falle unbedingt.“

„Arnold, Niemand leidet mehr unter dem Verhältniß Adelheid’s zu unserm Hause, als ich selbst. Aber das ist ja nun zu Ende. Eine bessere Gelegenheit, sie loszuwerden“ – ihre Stimme sank zum Flüstern herab, und sie sah sich scheu um, ob kein Horcher in der Nähe – „läßt sich nicht denken. Wir verreisen eben, und es bedarf nur Deines ausdrücklichen Befehls, daß ich Dich begleite – –“

„Und Du glaubst wirklich, ich spreche den Befehl aus?“ Er zog seinen Arm, den sie umschlungen hielt, straff nieder und blieb stehen – bis dahin hatte er dem Atelier so eilig zugestrebt, daß sie sich kaum an seiner Seite zu halten vermochte.

„Allerdings wirst Du das thun,“ bestätigte sie kategorisch.

Er lachte bitter auf.

„Ich reise allein, jetzt und immer! Und auch Du hast die vollkommene Freiheit, zu gehen, wohin Du willst. Ich habe mich ja schon jedes Einspruchs begeben, als Du nach Rom gingst, ohne meine Einwilligung auch nur mit einem Wort nachzusuchen. Ich ließ Dich widerspruchslos gewähren mit dem festen Vorsatz, daß es fortan zwischen uns auch so bleiben solle.“

„Ich will diese Freiheit nicht, und Dir gestatte ich sie nicht.“

Er lächelte statt jeder Antwort und schritt nach dem Atelier. Sie hielt sich eng an seiner Seite. Die Thür des Wintergartens stand offen, und sie traten ein. Es war schwül drinnen; keine der Fontainen sprang; Baron Schilling hatte sie vor einigen Stunden selbst geschlossen, weil ihm ihr Rauschen störend gewesen war. Er trat an das große Bassin und gleich darauf zischte die silberfunkelnde Wassergarbe empor und durchstäubte erfrischend die schwere, balsamische Luft.

Die Baronin eilte mit der flinken Geschäftigkeit einer sorglichen Hausfrau helfend zu den zwischen den Pflanzen halb versteckten kleinen Steinmulden und ließ die Fontainenstrahlen eine nach der andern aufsteigen.

„Das ist sehr hübsch,“ sagte sie, mit den Augen die glänzenden Wasserbogen verfolgend, die sich über ihrem Haupte wölbten, um in das große Bassin niederzusinken – sie ließ sich gefällig zu einem Lob herab. „Ich habe keine Ahnung von dieser netten Spielerei hinter den Glaswänden gehabt, sonst hätte ich doch vielleicht meine Aversion vor dem Atelier unterdrückt und wäre manchmal hierher geschlüpft, um in Deiner Nähe zu sein. Nun, wenn wir zurückkommen!“

Er schwieg; kein Zug seines Gesichts bewegte sich, während er umherging und sorgfältig die Röhren wieder schloß, die sie aufgedreht hatte.

„Das macht zu feucht,“ bemerkte er kurz. „Es war ein Fehler, so viel Wasser neben dem Atelier zu sammeln –“

„Ist denn der Zufluß so erheblich?“

„Er ist so bedeutend, daß mein Arbeitslocal bei irgend einem Versehen sehr schnell unter Wasser gesetzt werden könnte.“ Damit wandte er sich ab und schob den Velourvorhang hinter der offenen Glasthür zurück, um in’s Atelier zu gehen.

„Ei, das könnte uns in diesem Augenblicke noch fehlen!“ rief sie, ihm auf dem Fuße folgend. „Drüben im Hause die Zerstörung und hier – Apropos, mein Freund, nun gieb der Wahrheit die Ehre!“ – unterbrach sie sich und fiel leise in den nächsten Lehnstuhl. „Habe ich nicht Recht gehabt mit meiner Antipathie gegen diese amerikanische Einquartierung? Was Alles hat unser ehrbarer, stiller Schillingshof in dieser Zeit mit ansehen müssen! Die Flucht einer Ballettänzerin mit Hinterlassung von Schulden, eine tödtliche Krankheit, die auch mein Leben bedroht hat, als ich ahnungslos zurückkehrte, die Verwüstung in unserem schönen Holzsalon und unser eigenes Zerwürfniß um dieser fremden Leute willen. Und was ist der Dank für alle diese Misère, welche Du Dir und mir aufgebürdet hast? – Das impertinente, unverschämte Auftreten dieser arroganten Baumwollenbaronin.“ Sie schüttelte, leise und boshaft in sich hineinlachend, den Kopf. „An dieser bronzefarbenen Schönheit hast Du keine Eroberungen gemacht, mein Freund. Sie hat Dir böse Dinge gesagt, häßliche Dinge – der ‚germanische Nationaldünkel’ war auch keine Schmeichelei.“

Er war längst hinter die Staffelei getreten. Das große Bild verdeckte ihn vollkommen, und so konnte sie nicht sehen, wie dieses kräftig gefärbte, ausdrucksvolle Männergesicht blaß wie der Tod wurde.

Die schlaff und bequem hingesunkene Frau sprach weiter, lächelnd vor innerer Befriedigung und unerschöpflich in der Schilderung der „ergötzlichen“ Scene, die sie kaum noch im Holzsalon erlebt, und dann richtete sie sich plötzlich aus ihrer lässigen Stellung auf und rief erschrocken. „Aber ich verplaudere hier die Zeit, und meine Jungfer sitzt drüben und liest, um die Nachmittagsstunden todtzuschlagen; sie hat keine Ahnung davon, daß die Arbeit bergehoch über sie hereinbricht. ... Im Ernst, Arnold, kannst Du nicht noch einen einzigen Tag zugeben?“

„Ich sagte Dir bereits, daß meine Abreise Deine gegenwärtigen Lebensgewohnheiten in keiner Weise stören wird,“ rief er ungeduldig herüber. „Wie oft soll ich wiederholen, daß ich allein reisen werde –“

„Thorheit! Ich gehe jetzt, um Adelheid zu benachrichtigen.“

Er trat rasch hinter der Staffelei hervor – jetzt fühlte sie, jäh zusammenschreckend, daß sie es mit einem unerbittlichen Gegner zu thun habe.

„Und ich“ – unterbrach er sie harten Tones – „ich werde Fräulein von Riedt schriftlich anzeigen, daß ich Dir unter keinen Umständen gestatte, mich zu begleiten, daß ich ‚Deine Seele’ – um mit ihrem klösterlichen Pathos zu sprechen – für heute und immerdar ihrer Obhut und Leitung widerspruchslos überlasse.“

Sie schnellte empor, als habe sie nie in ihrem Leben an Muskel- und Nervenschwäche gelitten, und trat ihm hochaufgerichtet gegenüber.

„Das wirst Du wohl bleiben lassen, mein lieber Arnold!“ sagte sie hohnvoll. „Ich habe Freunde, die schon seit lange sehnsüchtig die Arme nach mir herüberstrecken. Bin ich einmal in ihrem Bereiche, dann würdest Du mich – aber von mir will ich gar nicht reden! – ich meine Alles, was mit dem Namen Steinbrück verknüpft ist, vergebens reclamiren. Du stehst, der Schritt würde Dir ein wenig theuer zu stehen kommen.“

„Diese guten Freunde kenne ich,“ entgegnete er. „Es sind Dieselben, denen man glaubhaft zu machen gewußt hat, mein guter alter Vater habe Dich durch allerhand teuflische Künste und Blendwerk Deinem ursprünglichen, heiligen Berufe entrissen, um seinem Sohne eben jenes ‚Alles’, was mit dem Namen Steinbrück verknüpft ist, zuzuwenden. Sie sind bis zur Stunde in der Meinung erhalten worden, Dein der Askese zugeneigtes Herz sei dabei gar nicht betheiligt gewesen, Du würdest, der Ehe innerlich abhold, längst wieder in die Reihen dieser entsagungsvollen Braven zurückgekehrt sein, wenn Dein in jener teuflischen Verblendung gesprochenes ‚Ja’ Dich nicht an meine Seite zwänge.... Ich bin vollkommen unterrichtet, Clementine, und längst im Stande, die Intriguen einer Frauenseele zu übersehen, die um keinen Preis den Heiligenschein einbüßen und doch dem Weltleben nicht entsagen möchte.“

Sie war sprachlos in den Stuhl zurückgesunken und biß sich leidenschaftlich auf die Lippen.

„Es ist ja wahr, mein Vater hat lebhaft unsere Verbindung gewünscht,“ fuhr er fort, indem er tieferregt den Raum des Ateliers durchmaß. „Dein stilles, gelassenes Wesen, die widerspruchslose Hingebung in Deinen sehr hübsch geschriebenen Briefen haben Dich in seinen Augen madonnenhaft verklärt. Er war damals dem Tode nahe und hat geglaubt, er bette seinen Sohn sanft und weich. Und dieser Sohn hat in jenen schweren Stunden gar nicht an die Zukunft gedacht; er hat nur angstvoll in das verschleierte Auge des Kranken gesehen und über den geweckten Freudenstrahl gejubelt – Du weißt das; ich habe damals aufrichtig, ohne Rückhalt mit Dir gesprochen –“

„Das soll wohl jetzt – wer weiß aus welchen Gründen – heißen, Du habest mich nie geliebt?“

„Habe ich Dir je Liebesleidenschaft geheuchelt?“ fuhr er empört auf. „Wohl habe ich mich vom Anfang an redlich bemüht, unser Zusammenleben zu einem harmonischen zu machen –“

„Ich auch!“ Sie erhob sich so überlegen, als halte sie den letzten wichtigsten Trumpf in Händen. „Es ist mir unvergeßlich, wie ich vor unserer Verheirathung auf mehrstündigen Besuch im Schillingshofe war, um mich – ein wenig umzusehen. Ich war – warum soll ich’s leugnen? – sehr erschrocken, um Deinetwillen, der Du gezwungen sein solltest, Deine junge Frau

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