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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

„Ich?!“ – Seine Hand ließ das Thürschloß los, und er trat in das Zimmer zurück. – „Wie möchte ich auch nur um eine Linie die Befugnisse überschreiten, mit denen Felix mich betraut hat! Darüber hinaus habe ich keine Macht – noch weit weniger aber habe ich den Willen, sie zu erlangen und auszuüben.“

„Nun, dann wären wir ja einig, mein Freund! Und Frau von Valmaseda wird ohne Zweifel entschuldigen –“

In diesem Augenblicke wurde die Thür des Nebenzimmers weiter geöffnet, und Donna Mercedes trat heraus. Sie hatte bis dahin wohl nicht die Absicht gehabt, sich sehen zu lassen, denn ihre gewaltige Haarfluth, die sonst das Netz bändigte, war nur lose mit einem Kamm aufgenommen; er lief als breite, goldene Spange durch die blauschwarzen Strähne und ließ da und dort lockige Enden und Ringel nach dem Nacken, gegen die Stirn und Schläfen entschlüpfen.

„Ich habe nichts zu entschuldigen; Sie sind vollkommen in Ihrem Recht, Frau Baronin,“ sagte Donna Mercedes, die Herrin des Schillingshofes mit stolzem Kopfneigen begrüßend. „Ich sehe auch ein, daß die Verunstaltung Ihres Salons so schnell wie möglich beseitigt werden muß, und doch bin ich gezwungen, Sie noch für einige Tage um Aufschub zu bitten, so schwer es mir auch wird. Mein kleiner Neffe ist noch nicht erstarkt genug, um den Lärm und die Unruhe des Hôtellebens ohne Schaden zu ertragen – der Arzt ist augenblicklich entschieden gegen einen derartigen Wohnungswechsel.“

Die Baronin ließ ihre halbgeschlossenen Augen verstohlen, aber rastlos musternd an der frappanten Erscheinung auf- und niedergleiten. Sie hatte sich eben noch der größten Höflichkeit, des sanftmüthigsten Tones beflissen, allein nichts war mehr geeignet, ihr die Stimmung zu vergiften, als der Anblick einer schönen Frau. Und diese Amerikanerin war, in der Nähe betrachtet, von einer wahrhaft erschreckenden Schönheit. Gab es wohl einen herrlicheren Anblick, als dieses fluthende, auf dem Scheitel lässig zusammengefaßte Haar, wie es den feinen, stolz getragenen Kopf umwogte, kaum das pikante, kleine, von den mächtigen Sonnenaugen gleichsam durchleuchtete Gesicht und einen schmalen Streifen des zarten Halses freilassend? Das entschied.

„Das Wolfram’sche Haus dürfte im Augenblick an Stille nichts zu wünschen übrig lassen, denn die Frau Majorin Lucian bewohnt es allein,“ sagte die Baronin mit niedergeschlagenen Augen und harmloser Miene, „aber es eignet sich selbstverständlich nicht zum Aufenthalt einer eleganten Dame.“

„Das ist’s nicht,“ fiel Donna Mercedes ein. „Ich würde viel leichter dort hinübergehen, als ich mich jetzt anschicke, meine Bitte zu wiederholen. Aber es geschieht um meines Bruders Kinder, nicht für mich. Ich erfülle nur meine Pflicht, wenn ich sie nicht in das düstere, dem frischen Luftzug schwer zugängliche Haus bringe, in welchem sie sich obendrein fürchten und ängstigen. Auch die Großmama wünscht es durchaus nicht.“

Baron Schilling war inzwischen an den Flügel getreten. Er blätterte in einem Notenheft.

„Wozu diese sehr überflüssigen Erörterungen! Und wie mögen Sie vom Hôtel sprechen, gnädige Frau?“ fiel er kühl ein, ohne von den Noten aufzusehen. „Stehen Ihnen nicht meine Zimmer, in welchen Frau Lucile gewohnt hat, unumschränkt zur Verfügung, so lange es Ihnen nur irgend wünschenswerth erscheint, im Schillingshofe zu bleiben?“

„Ich danke, Herr Baron,“ lehnte sie kurz und schroff ab. „Es handelt sich, wie bereits gesagt, nur um Tage. Ich stehe im Begriffe, eine Villa nahe der Stadt zu kaufen –“

„Sie?!“ – Er ließ das Notenheft sinken, und ein dunkles Roth schoß in seine Wangen; „Sie standen ja neulich schon mit einem Fuße gewissermaßen auf den Schiffsplanken, – und nun wollen Sie plötzlich auf deutschem Boden Anker werfen? Auf deutschem Boden?“

„Ja, auf deutschem Boden, mein Herr,“ bestätigte sie trotzig. „Beabsichtigen Sie, mich Landes zu verweisen?“

„Das ist kein Privileg der Schillings,“ entgegnete er. „Mein Einwurf galt dem schnellen Wechsel der Stimmungen.“

„O, kommt da die Stimmung noch in Betracht, wo sich die Verhältnisse so jäh verändert haben?“ fiel sie ein; „ich habe die Mutter meines Bruders liebgewonnen; seine Kinder gehören nunmehr zu ihr. Diese drei Menschen sind die Einzigen, die ich noch besitze, die Einzigen, sage ich, die meinem Herzen theuer sind – und das entscheidet. Ich fühle, daß ich mich von ihnen nicht trennen kann. Darum werfe ich Anker auf deutschem Boden, den ich mehr als je verabscheue. – Wenn Sie meinen, darin habe sich meine Stimmung verändert, so ist das eine Illusion des germanischen Nationaldünkels.“

Sie hielt inne und strich sich mit der Hand über die Stirn – sie schien über ihre eigene Leidenschaftlichkeit zu erschrecken; dazu ruhte der Blick der widerwärtigen grauen Frau so aufdringlich und kaltlauernd auf ihr. Ihre ganze Selbstbeherrschung aufbietend, brach sie mit einer Geberde des Unwillens ab und fügte ruhiger hinzu. „Die Villa erinnert mich nach Stil und Lage an mein niedergebranntes Geburtshaus daheim, und im Sommer kann ich mich leicht der Täuschung hingeben, als sei ich nicht auf deutschem Boden. Die großen Treibhäuser sorgen für die südliche Flora, welche das Schlößchen umgiebt und sich bis unter die Waldbäume des umschließenden Parkes verirrt –“

„Sie wollen die fürstlich Trebra’sche Besitzung kaufen?“ unterbrach sie Baron Schilling betroffen, während die „Gnädige“ ihre Augen weit öffnete in einem Gemisch von Erstaunen, Aerger und unwillkürlichem Respect.

„Ja, mein Herr – ist das so verwunderlich? Glauben Sie, eine Dame könne keinen Kauf abschließen ohne vormundschaftlichen Rath und Beistand?... Ich kann Ihnen versichern, daß ich ganz genau weiß, was ich thue. Der Fürst geht nächste Woche nach Italien, um für immer dort zu leben, und der zwischen uns vermittelnde Agent versichert, die Parterrewohnung sei erst kürzlich neu decorirt worden; ich würde sie sofort mit den Kindern beziehen können.“

„Aber das trifft sich ja prächtig,“ sagte die Baronin sehr höflich, wobei sie sich zum Gehen anschickte. „Ich bitte Sie, nach wie vor diese Wohnung als Ihr einstweiliges Heim anzusehen.... Gegen Deinen Vorschlag freilich, bezüglich der Uebersiedelung in Deine Räume, lieber Arnold, müßte auch ich energisch protestiren, da ich nicht länger zugeben werde, daß Du in dem engen, heißen Oberbau des Ateliers bleibst. Es ist erdrückend schwül unter den niedrigen Zimmerdecken.“

„Beunruhige Dich nicht!“ versetzte der Baron ruhig. „Morgen geht meine neueste Arbeit nach Wien zur Ausstellung, und ich werde ihr nach höchstens zwei Tagen folgen, um dann in Kopenhagen, behufs neuer Vorstudien, einen längern Aufenthalt zu nehmen.“

„Mein Gott – und das erfahre ich erst in diesem Moment? Wie soll denn die Jungfer mit den nöthigen Vorbereitungen fertig werden? Und meine Reisetoilette – verzeihe, Arnold, aber diese Ueberstürzung ist denn doch ein wenig rücksichtslos.“ Sie zog mit hastigen Händen die Zipfel der Barbe fester unter dem Kinn zusammen und nahm eiligst die Schleppe auf. „Dann habe ich aber auch nicht einen Augenblick zu verlieren, wenn ich zur rechten Zeit reisegerüstet sein will –“

„Du wirst doch nicht denken, daß ich Dir zumuthe, mich zu begleiten?“ unterbrach er sie. „Du fühlst Dich kränker als je, wie Du mir sagst; das nordische Klima sagt Dir nicht zu – auch bist Du kaum heimgekehrt –“

„Gleichviel, ich gehe unter allen Umständen mit.“

„Wir werden sehen.“ Er sagte das kurz und schroff und verabschiedete sich mit einer tiefen, ernsten Verbeugung von Donna Mercedes, die regungslos auf ihrem Platze verharrte, während auch die Baronin, kaum mit einem Augenwinken grüßend, das Zimmer verließ.

Donna Mercedes hörte, wie sie draußen die Flurhalle durchschritten und die nach dem Garten führende Thür unverweilt öffneten. Ohne kaum selbst zu wissen, daß sie es that, ging sie hinaus in den Corridor und trat in das gegenüberliegende Fenster. Dort unter den Platanen gingen sie hin. Die graue Frau hing vertraulich am Arme ihres Mannes. Ein Nebel legte sich vor Donna Mercedes’ Augen – sie drückte sich tief in die Ecke der Fensternische, und heiße Thränen rollten ihr unaufhaltsam über das stolze Antlitz.




38.

„Deine Hand fiebert,“ sagte die Baronin, während sie draußen auf der Freitreppe des Säulenhauses ihren Arm in den ihres Mannes schob und seine Rechte dabei streifte. „Du bist ernstlich böse, wie mir scheint, setzte sie hinzu, indem sie sich noch fester an seinen Arm hing. „Und ich habe doch im Grunde

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 610. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_610.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)