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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

gewonnene Kenntniß dieser Beziehung verrathen. Denn in der That kann es eine ernstere und innigere, getreuere und ehrfurchtsvollere Zuneigung nicht geben, als Lessing sie bis an sein Ende für seinen „Herrn Moses“ gehegt. Aus zahlreichen Briefen erhält man die Ueberzeugung, wie hoch er die Ansicht und den Rath dieses Freundes geschätzt, wie viel er in den schwierigsten geistigen Fragen auf sein Urtheil gegeben und wie langjähriges Getrenntsein, wie alle Stürme des Lebens, aller Wandel der Jahre und der Verhältnisse die Frische und Herzlichkeit dieses Bündnisses nicht zu trüben vermochten. Wie beide Männer in einem und demselben Jahre geboren waren, wie sie Beide, jeder auf anderen Wegen, im Kampfe mit der Armuth, aus dem Dunkel gedrückter Verhältnisse zu hohen Bahnen sich aufgeschwungen hatten, so blieben ihre Hände auch fest vereinigt, nachdem sie im Jahre 1754 sich zufällig gefunden hatten. Allerdings ist Lessing in manchen seiner Kämpfe und in Betreff wesentlicher Hauptzielpunkte seines Wirkens von seinem Umgangskreise und auch von Mendelssohn nicht immer verstanden worden. Wenn man jedoch bedenkt, welche lange Zeit die Nachwelt brauchte, ehe ihr in dieser Hinsicht ein umfassendes Verständniß heraufgedämmert ist, so wird man die Einsicht bewundern müssen, mit welcher Mendelssohn jene Kluft bereits erkannte und die Ausfüllung derselben nicht von dem damals lebenden Geschlechte erwartet hat. Hier wie in einigen anderen Punkten ist dieser Philosoph wahrhaft ein Prophet gewesen, dessen Weissagungen sich erfüllt haben.

Lessing’s kühn vordringende Feuerseele mochte freilich bei dieser Lage der Dinge, der zahmen Bedächtigkeit eines noch verschüchterten Zeitgeistes gegenüber, oft von dem unbehaglichen Gefühl des Alleinstehens beschlichen werden. Keine seiner Aeußerungen aber deutet darauf hin, daß er deshalb ungerecht gegen seine Freunde geworden, verdrossen und hochmüthig auf dieselben herabgesehen und besonders jemals den Werth der Bundesgenossenschaft eines Mendelssohn verkannt hätte. Noch acht Wochen vor seinem Hinscheiden schrieb er ihm: „Daß Ihnen nicht Alles gefallen, was ich seit einiger Zeit geschrieben, wundert mich gar nicht. Ihnen hätte gar nichts gefallen müssen, denn für Sie war nichts geschrieben. Höchstens hat Sie die Zurückerinnerung an unsere besseren Tage noch bei dieser oder jener Stelle täuschen können. Auch war ich damals ein gesundes schlankes Bäumchen und bin jetzt ein so fauler knorrichter Stamm. Ach, lieber Freund, diese Scene ist aus. Gern möchte ich Sie freilich noch einmal sprechen.“

Die Entfernung zwischen Berlin und Wolfenbüttel war bei dem damaligen Zustande der Wege und Verkehrsmittel noch eine sehr beträchtliche und der Wunsch des kranken Freundes kaum zu erfüllen. Ein paar Jahre vorher aber (1777) hatte dennoch der schwächliche Mendelssohn die beschwerliche Reise im rauhen Novembermonat zurückgelegt, um Lessing nach seiner Verheirathung in seiner neubegründeten Häuslichkeit zu besuchen. „Sie scheinen mir jetzt,“ so schrieb er ihm vorher, „in einer ruhigeren, zufriedeneren Lage zu sein, und ich muß Sie in dieser besseren Lage Ihres Gemüths nothwendig sprechen.“

Es war das letzte Mal, daß die Freunde nach langer Trennung ein paar Tage in herzlicher Gemeinschaft verlebten, und die in sichtlicher Todesahnung geschriebene Schlußstelle des oben angeführten Briefes zeigt, wie sehr Lessing nach einer Wiederholung dieser Freude sich sehnte. Er starb aber schneller, als es erwartet wurde, und man weiß, wie die Liebe Mendelssohn’s diesen Tod überdauert hat. Tief ergreifend wirkt unter Anderem auf uns heute noch der denkwürdige Brief, den er auf die erhaltene Trauernachricht an den Bruder des Verstorbenen schrieb.

„Fontenelle,“ so heißt es da, „sagt von Copernikus: er machte sein neues System bekannt und starb. Der Biograph Ihres Bruders wird mit eben dem Anstande sagen können: er schrieb ‚Nathan den Weisen’ und starb. Von einem Werke des Geistes, das eben so sehr über ‚Nathan’ hervorragte, als dieses Stück in meinen Augen über Alles, was er bis dahin geschrieben, kann ich mir keinen Begriff machen. Er konnte nicht höher steigen, ohne in eine Region zu kommen, die sich unseren sinnlichen Augen völlig entzieht; und dies that er. Nun stehen wir da wie die Jünger des Propheten und staunen den Ort an, wo er in die Höhe fuhr und verschwand. Noch einige Wochen vor seinem Hintritte hatte ich Gelegenheit, ihm zu schreiben: er solle sich nicht wundern, daß der große Haufe seiner Zeitgenossen das Verdienst dieses Werkes verkenne; eine bessere Nachwelt werde noch fünfzig Jahre nach seinem Tode daran lange Zeit zu kauen und zu verdauen finden. Er ist in der That mehr als ein Menschenalter seinem Jahrhundert zuvorgeeilt.“

Wüßten wir also von Mendelssohn nichts weiter, als daß er Lessing mit einer im Ganzen so verständnißvollen Theilnahme durch die wichtigsten Stadien seines Lebens gefolgt und daß er unter zahlreichen Freunden dem Herzen Lessing’s stets der Nächste geblieben ist, so würde er für uns in Folge des aus dieser Thatsache sprechenden Zeugnisses schon ein Gegenstand lebhaften Interesses sein. Die respectvolle Liebe eines Lessing konnte sicher nur durch ausgezeichnete Eigenschaften gewonnen werden, und in der That waren in Mendelssohn ungewöhnliche Vorzüge vereinigt, die in uns heute noch dasselbe Gefühl erregen und durch die er sich aus seinen eigenen Wegen und aus seiner eigensten Natur und Bildung heraus unleugbare Verdienste um den Wiederaufschwung unserer Nation erworben hat. Nicht blos politisch, sondern auch in seinem Geistesleben war das deutsche Volksthum auf eine sehr niedrige Stufe der Verkümmerung herabgesunken, als die Sterne Lessing’s und Mendelssohn’s heraufzuleuchten begannen. Von Lessing zu sprechen, ist hier nicht die Aufgabe. Um aber den Einfluß Mendelssohn’s zu ermessen, braucht man nur eine seiner Schriften mit ähnlichen Erzeugnissen der vorhergegangenen oder gleichzeitigen deutschen Literatur zu vergleichen. Mit überraschender Deutlichkeit wird sich bei dieser Betrachtung der breite Strich zeigen, der ein Zeitalter der Abgestorbenheit von einer neuaufsprießenden Welt jungen Keimens und Werdens geschieden hat. An gelehrten und begabten Köpfen war ja kein Mangel in Deutschland, aber sie steckten zum allergrößten Theil noch tief in den überlieferten Anschauungen und Vorurtheilen einer engen und sklavischen Vergangenheit, und ohne Reiz und Schwung, trocken und schwerfällig, pedantisch und geschmacklos wie das Denken war auch die Weise des geltenden schriftlichen Ausdrucks. Für eine solche Literatur gab es in den Ständen der Ungelehrten noch kein Publicum, weil dem schriftstellerischen Bestreben die Erzielung und Verbreitung einer allgemeinen Bildung meistens gänzlich fern lag. Einzelne, namentlich Gellert, hatten mit verhältnißmäßig schönen Erfolgen eine Besserung angebahnt, aber ihre veredelte Form war noch nicht von einem neuen Gedankeninhalte, dem erweckenden Hauche einer auf Reform und Befreiung der Geister abzielenden Ideenrichtung beseelt.

Durchgreifend erfolgte der gewichtige Umschwung, welcher der Literatur auch außerhalb der sogenannten „Gelehrtenrepublik“ eine zahlreiche und andächtige Gemeinde schuf, erst mit dem Auftreten Lessing’s und der mit ihm wirkenden Schriftsteller, unter denen unbedingt Mendelssohn der bedeutendste war. Sein Stil hatte nicht den sprühenden und blitzenden Witz, nicht die machtvolle Lebhaftigkeit und glanzvolle Schärfe, das unmittelbar Packende und Ueberwältigende der Lessing’schen Schreibweise. Aber niemals war vor ihm im Interesse der Humanisirung und Aufklärung über wissenschaftliche und philosophische Gegenstände bei aller sorgfältigen Gründlichkeit so durchsichtig klar, so anmuthig fesselnd und gemüthsinnig, in einem so reinen, so elegant und doch so würdig dahinfließenden Deutsch geschrieben worden, wie er dies vermochte. Das griff in die Seelen und zog unwiderstehlich alle ernsteren Gemüther an, verscheuchte Gedankenlosigkeit, Rohheit und Stumpfsinn, hob die Blicke von der philisterhaften Alltäglichkeit in idealere Regionen und war vor Allem ein anregendes Beispiel und Muster für Mit- und Nachstrebende.

Ist die deutsche Sprache seitdem ein brauchbares Instrument für die wissenschaftliche Darstellung geworden und haben wir seitdem eine in edlerem Sinne popularisirte, das heißt jedem Gebildeteren verständlich und zugänglich gewordene Literatur, so ist das zum großen Theil den Schriften Mendelssohn’s und der arbeitsvollen Mühe zu danken, mit der er den Sinn für tiefere Bildung und geschmackvolle Schönheit des Ausdrucks in einer umnachteten und herabgedrückten Generation entzünden half. Daher sein Ansehen und Ruf, die außerordentliche Verehrung, deren er in weiten Kreisen der Nation sich erfreute und die wiederum Bedingung seines weiteren Einflusses wurde. Sein Wort hatte Geltung, und von Zeitgenossen der verschiedensten Classen ward er viel und mit eifriger Aufmerksamkeit gelesen.

Dennoch ist sein Einfluß nicht allein auf Rechnung seiner schriftstellerischen Thätigkeit zu setzen, er ging auch von seiner Persönlichkeit und seiner Erscheinung aus, von dem Interesse an

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 601. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_601.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)