Seite:Die Gartenlaube (1879) 600.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

war mit dem Eßzeug gekommen und hatte dabei über das verwunderliche Ereigniß in der Parterrewohnung und den „gnädigen Herrn“ berichtet, der „eben in den Salon getreten sei“.

Seitdem hatte sie ihren Mann wiederholt brieflich aufgefordert, sich mit ihr über die Renovirung im Holzsalon, die der stattgehabte Scandal nöthig mache, zu verständigen, da ja auch ihr Interesse dadurch nahe berührt werde, und die Antwort hatte kurz und bündig gelautet, daß man anständiger Weise erst die Beerdigung im Nachbarhause abwarten müsse, ehe man mit dem Handwerkerlärm beginne.

In das Säulenhaus war Baron Schilling nicht wieder gekommen, aber auf dem Klostergute war er gewesen. Er hatte lange in der Amtsstube gesessen und eine eingehende Besprechung mit der Majorin gehabt, und bei seinem Nachhausekommen hatte der Gärtner mit Beihülfe des Hausknechtes sofort vor seinen Augen einen schmalen Durchgang in den Zaun hauen müssen, der das Schilling’sche Gebiet vom Klostergute trennte.

Tiefgereizt hatte die Baronin von der Terrasse aus dem Beginnen zugesehen, sie war ja notorisch die Besitzerin des Schillingshofes, ohne ihre Genehmigung durfte kein Strauch versetzt, kein Beet verändert werden. Und nun gerirte er sich dort als alleiniger Besitzer – unerträglich! Er durchbrach eigenmächtig die wohlthätige Schranke, die das „Bauernelement“ von dem vornehmen Boden geschieden, und suchte offenbar einen intimen nachbarlichen Verkehr einzuleiten, und das in einem Augenblick, wo es offenbar geworden, daß „die Menschen da drüben“ in ehrloser Weise die Schillings um eine werthvolle Acquisition gebracht hatten.... „Er ist verrückt!“ hatte sie gesagt und hastig nach Hut und Handschuhen gegriffen, um hinunterzugehen und auf Grund ihrer Rechte ein energisches Veto einzulegen; allein die Stiftsdame war ihr zuvorgekommen. Sie hatte sich an die Glasthür gestellt und mit unerschütterlicher Ruhe erklärt, sie gebe es nicht zu, daß sich ihre „Schutzbefohlene“ einer Blamage vor der Dienerschaft aussetze; denn daß ihr sofort eine eclatante Zurückweisung da unten entgegengeschleudert werde, lasse sich nach dem neulichen Auftreten des rücksichtslosen Mannes im Atelier ohne Mühe voraussagen.

So hatte die Baronin voll kochenden Aergers noch an demselben Abend sehen müssen, wie die Majorin durch die Zaunbresche herübergekommen und in das Säulenhaus gegangen war.

Die Versöhnung hatte sich also vollzogen; der Plan war durchgeführt worden, obwohl die Frau Baronin ihn durch ihre Reise zu vereiteln gesucht hatte. Sie war nicht vermißt worden; kein einziger Brief hatte sie gebeten, zurückzukehren – sie hatte immer noch an starren Trotz geglaubt; nun sah sie, daß man ihrer gar nicht gedacht hatte. Sie hätte weinen mögen vor Groll und Ingrimm.




37.

Der Rath Wolfram und sein kleiner Sohn ruhten seit gestern im Erdbegräbnisse an der Seite der „armen stillen Frau Räthin“. Die beiden Verstorbenen waren am frühen Morgen ohne alles Aufsehen beigesetzt worden.

Auf den Höfen des Klostergutes herrschte wieder der Oekonomielärm, als sei er nie unterbrochen gewesen. Das große Mauerthor stand tagsüber weit offen; die Knechte fuhren unermüdlich aus und ein – denn die Ernte hatte begonnen – und die Mägde hantirten mit erhitzten Gesichtern in den Ställen und am Kochherd, auf welchem in mächtigen Kesseln das Essen für die Erntearbeiter bereitet wurde.

Die Majorin überwachte Alles, wie sie es seit vielen Jahren gethan. Es war unmöglich, eine so große Wirthschaft, die bisher wie ein pünktliches Uhrwerk gegangen, mit einem Rucke zum Stillstehen zu bringen; da hieß es, geduldig den Faden abwickeln, und die aus allen Fugen gerüttelte Frauenseele bedurfte ihrer ganzen Willensstärke, um diese Aufgabe durchzuführen. Nur vom Milchverkaufe hatte sie sich dispensirt – das besorgten jetzt die Mägde in der Gesindestube; alles Geschäftliche bezüglich der Hinterlassenschaft des Rathes hatte sie vorläufig in Baron Schilling’s Hände gelegt, der ihr in diesen Tagen des Schreckens und der namenlosen Bedrängniß wie ein Sohn nahe getreten war. Sie hatte auch mit ihm vereinbart, daß der verhängnißvolle Gang vom Schillingshofe aus zugemauert werde; die Amtsstube und das Eßzimmer standen verschlossen – sie mied die zwei Schwellen im Gefühl innerlicher Scheu.

Nun kam Baron Schilling am Tage nach der Beisetzung, behufs einer vorläufigen Untersuchung, mit zwei Handwerkern, einem Kunsttischler und einem Maurer, in den Holzsalon. Er hatte Donna Mercedes vorher benachrichtigt und fand deshalb den Salon leer, aber die Thür nach José’s ehemaligem Krankenzimmer und der anstoßenden Kinderstube war nicht fest geschlossen; man hörte das Geplauder der spielenden Kinder von dort herüber.

Der Tischler schlug die Hände zusammen über das zerstörte kostbare Kunstwerk der Holzschnitzerei, und der Maurer untersuchte die dahinterliegende glatte, braune Thür an der Innenseite. Die alten Mönche seien Schlauköpfe gewesen, meinte er und zeigte auf verschiedene kleine Schieber und Riegel auf der Fläche. Auch ohne eine der Thüren – die durchsichtige sowohl, wie die feste, glatte – zu öffnen, hatte man durch kleine Rundungen zwischen übereinandergeflochtenen Ranken, oder im Kelche einer Blume, den ganzen Salon übersehen können. Und diese verschiebbaren kleinen Platten liefen geräuschlos in sorgfältig eingeölten Rinnen und zeugten so unwiderleglich vom allerjüngsten Gebrauche. Die Polsterthür aber, von einem dicken unverwüstlichen Leder überspannt, hatte zu allen Zeiten jeden Schall zwischen den zwei Häusern aufgefangen, und zum Ueberfluß zeigte sich auch noch das Innere der Wand mit den geschnitzten Heiligen drüben in der Amtsstube durch Polsterwerk verkleidet.

„Die gnädige Frau Baronin!“ meldete während dieser Besichtigung plötzlich der Bediente Robert, und seitwärts tretend schlug er den Thürflügel zurück.

(Fortsetzung folgt.)




Moses Mendelssohn.
Ein Gedenkblatt für den sechsten September.

Auf die jetzt laufenden Jahrzehnte fällt ein Schimmer feierlicher Weihe durch die Jubiläen der großen Aufklärungs- und Wiedergeburtsepoche des vorigen Jahrhunderts. Nachdem wir im gegenwärtigen Jahre den hundertsten Geburtstag „Nathan’s des Weisen“ und den hundertfünfzigsten seines Dichters gefeiert haben (vergl. Gartenlaube Nr. 1 dieses Jahrgangs!), sind es an diesem 6. September nun auch hundertfünfzig Jahre, daß in einem elenden, noch heute vorhandenen Hofstübchen zu Dessau der arme Judenknabe geboren wurde, der später als Moses Mendelssohn einen der schönsten Ehrenplätze auf den Höhen der deutschen Geistesgeschichte errungen hat. In unserer mäkelsüchtigen Zeit ist die Bedeutung Mendelssohn’s vielfach unterschätzt worden, namentlich von einer Kritik, die an literarischen Erscheinungen der Vergangenheit nur die rein wissenschaftlichen Maßstäbe gegenwärtiger Erkenntnisse legt und an früheren Anschauungen, Doctrinen und Denksystemen nur das Ueberwundene und Abgewelkte in’s Auge faßt, nicht ihre geschichtliche Nothwendigkeit für die geistige Befruchtung und Vorwärtsbewegung der Welt, in welcher sie gewirkt haben. Gerade dieser letztere Punkt aber ist es, wodurch Mendelssohn erinnerungswürdig geblieben ist bis zum heutigen Tage und es auch ferner bleiben wird. Er hatte eine Sendung für sein Zeitalter und nicht für das unserige, aber wesentliche Errungenschaften unserer Epoche würden nicht möglich geworden sein, wenn die mächtige Gedankenarbeit der seinigen ihnen nicht die Bahn gebrochen hätte. Schon der Umstand, daß er beinahe drei Jahrzehnte hindurch der nächste Herzensfreund und Strebensgenosse Lessing’s bis zu dessen Tode gewesen ist, muß ihm ein warmes Andenken bei Allen sichern, die dem Lebensgange des großen Läuterers und Wiedererweckers unseres Nationalgeistes jemals eine tiefere Aufmerksamkeit gewidmet haben.

Aber auch über dieses Freundschaftsverhältniß sind in neuerer Zeit zum Nachtheil Mendelssohn’s zweifelnde und spöttelnde Bemerkungen geäußert worden, die eher alles Andere, als eine wirklich

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 600. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_600.jpg&oldid=- (Version vom 26.4.2018)