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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

den interessanten Salon zu gewinnen und die Verwüstung zu begucken, die der „tapfere“ Pirat mit der Wucht seines Sprunges angerichtet. Allein Jack stand wie eine schwarze Marmorfigur ernsthaft vor der Thür, und die stolze Bewohnerin des Zimmers, die sonst immer um diese Zeit in den Garten ging, verließ heute nicht ihre Gemächer.

Zudem erschien plötzlich Baron Schilling, und wenn er auch, durch Jack angemeldet, nur für wenige Minuten im Salon verblieben war, um sich als Herr des Hauses vom Sachverhalte zu überzeugen, so konnte er doch jeden Augenblick wieder kommen, und der finster, verweisende Blick, mit welchem er die Wißbegierigen in der Flurhalle gemessen hatte, war Allen in die Glieder gefahren.

Am Morgen des anderen Tages aber standen sie doch schon wieder insgesammt am Eisengitter des Vorgartens; sie schielten flüsternd nach dem Klosterhause und sprachen mit den Vorübergehenden, die auch zu Haufen stehen blieben – der Bäckerjunge hatte die Nachricht vom Tode des Rathes mitgebracht.

Die Leute waren nicht wenig erstaunt, als eine Magd vom Klostergute mit verweinten Augen hastig und schweigend an ihnen vorüber nach dem Säulenhause schritt und gleich darauf mit Donna Mercedes zurückkam. Sie hielt sich in scheuer Entfernung hinter der schönen, schlanken Frau, die ein schwarzes Spitzentuch über den Kopf und die Büste geworfen hatte und die kleine Paula an der Hand führte.

Alles wich scheu zur Seite vor der schwebenden majestätischen Erscheinung, die mit ihren feinbekleideten Füßen zum ersten Mal das Trottoir hinter dem Eisengitter betrat, um gleich darauf im Mauerpförtchen des Klostergutes zu verschwinden.

Es war der Majorin nicht so gut geworden wie sie gehofft und gewünscht: sie hatte nicht am Schillingshof anklopfen und Einlaß begehren können, um bei den Enkeln, den einzigen Wesen auf der Welt, die zu ihr gehörten, Trost und Beruhigung zu suchen. Als der erste Schein des ersehnten Frührothes am Himmel aufgeflogen war, die Vögel im Gebüsch sich geregt und die Haushähne auf dem Hinterhof ihren Weckruf in die Morgenstille hineingeschickt hatten, da war auch ein seltsames Raunen und Regen jenseits des Hintergebäudes laut geworden. Sie hatte gehört, wie die Mägde nach ihr riefen und sie im ganzen Hause suchten. Aber sie hatte sich nicht finden lassen wollen; für sie gab es keinen Weg mehr zu dem Bruder zurück.

Sie war von der Bank aufgestanden und an die Thür geflohen, die in die öde Straße führte, bis der alte Knecht des Hauses, Thomas, suchend den Kopf durch die Gartenthür gesteckt und ihr eine grauenhafte Botschaft nachgerufen hatte.

Vorbei war Alles, Alles! – Auf der verhüllten Tragbahre, die man inmitten der Hausflur niedergestellt, lag das Ende eines mehr als dreihundertjährigen Wirkens und Strebens, lag der Stürmische, Gewaltthätige, der zuletzt mit bösen Dämonen gerechnet, in der wahnsinnigen Sucht, Alles weit zu überbieten, was die Altvorderen geleistet.

Thränenlosen Auges war sie nach dem Refectorium gewankt, hatte die Thür weit zurückgeschlagen und den Leuten stumm gewinkt, den letzten Herrn des Klostergutes in das stolzeste Zimmer des Hauses zu tragen. Sie hatte eigenhändig seinen kleinen Sohn neben ihn gebettet und dann an den getäfelten Wänden die massiv silbernen Armleuchter befestigt, die zum letzten Mal bei Veit’s Taufe gestrahlt hatten; noch einmal sollte ihr Kerzenlicht aufflammen – dann leuchteten sie keinem Wolfram wieder.

Wie eine Schlafwandelnde ging sie umher; ihre Schläfen hämmerten, und ihr Blut fieberte, aber was geschehen mußte, das wurde gethan mit fast übermenschlicher Selbstüberwindung, und später, als es im festverschlossenen Hause still geworden war, ließ sie Donna Mercedes sagen, sie könne heute nicht kommen – sie müsse Todtenwache auf dem Klostergute halten.

Da war es nun freilich, als schwebe über den Grüften, die sich in der einen verhängnißvollen Nacht aufgethan, eine holde Psyche empor – das kleine, blondlockige Mädchen im weißen Kleide flatterte an Donna Mercedes’ Hand in die düstere Flur des Klosterhauses, aber es sah sich plötzlich mit großen, erschreckten Augen um und steckte das kleine Gesicht in die Kleiderfalten der Tante, genau so wie es einst der arme, kleine Knabe im blauen Sammetröckchen gethan.

Und die Frau, die damals ihr Kind heftig gescholten hatte, weil sie stets der Meinung gewesen war, es gäbe nichts Stolzeres, Gediegeneres, kein Haus, das mehr anheimeln könnte, als ihr Vaterhaus auf dem Klostergute, sie ließ jetzt unwillkürlich den Blick über die Wände und das schwarzbraune Deckengebälk hinfliegen, und da war es, als sei droben Alles verschoben und verzogen, wie ein über Nacht gealtertes, aus den Linien gegangenes Gesicht, als sei mit dem letzten gebrochenen Manneswillen, der drinnen auf der Bahre lag, auch das uralte „Falkennest“ der Wolframs morsch geworden, und die schiefen Balken müßten demnächst wie Spähne zersplittern unter der Wucht der von oben herabstürzenden Mauertrümmer, in welche der düstere Mönchsbau zusammensinke.

„Meines Bleibens ist hier nicht länger, als es die Pflicht verlangt,“ sagte sie, wie unbewußt, mit zuckenden Lippen, und nahm das Kind vom Boden auf, um es beruhigend an ihr Herz zu drücken; Donna Mercedes aber streckte sie lebhaft, wie von einem plötzlichen unwiderstehlichen Impuls getrieben, ihre Rechte hin. Die majestätische junge Frau, die stolzes Geblüt in den Adern hatte, war gekommen wie eine treue Tochter, um ihr Trost zu bringen und sie zu stützen, nicht darauf achtend, daß sie damit öffentlich ein Haus betrete, welches das Verbrechen entehrt hatte. Und war sie auch sein und der bittergehaßten „Zweiten“ Kind – so dachte die Majorin für sich – sie war doch auch Felix’ Schwester, dieselbe, die den Bruder zärtlich geliebt und gepflegt hatte bis an sein frühes Ende, sie war neben den zwei Kindern die einzige Ueberlebende – alle Anderen schliefen unter der Erde, der Rache entrückt. Die Majorin hätte sich den Dolch in’s eigene Fleisch gestoßen, wenn sie das Rachewerk auch auf die Unschuldige erstreckte, auf die Einzige, mit welcher sie von jenen Tagen reden konnte, in denen sie geliebt und deshalb wirklich gelebt hatte. War es nicht hohe Zeit, die Sonnenwärme der Liebe wieder aufzusuchen, da sich die Schatten des Alters ihr schon so breit und kältend über den Lebensweg hinstreckten? – –

Während so der Schicksalssturm das Klosterhaus reinigend und sühnend durchbrauste, war es in der Beletage des nachbarlichen Schillingshofes schwül und gewitterhaft.

Die Herrin des Hauses war noch immer leidend, und die Domestiken, die droben verkehren durften, meinten, Fräulein von Riedt, die sie pflege, habe einen sehr schweren Posten. Sie verliere jedoch nie die Geduld und nehme die bösesten Worte mit so viel Gemüthsruhe hin, als habe sie gar kein Ohr dafür. Dazwischen sei es aber auch hier und da für einen oder mehrere Tage stiller droben, und die Frau Baronin wisse dann gar nicht, was sie Alles ersinnen solle, um Fräulein von Riedt Liebes und Gutes zu erzeigen; es fehle nicht viel daran, daß sie vor ihr auf die Kniee falle. Diese Umwandlung vollziehe sich aber stets, wenn Briefe mit einem gewissen Poststempel einträfen.

Die Baronin hatte noch immer die Gewohnheit, ruhelos durch ihre Zimmer und Säle zu irren, aber das Haus verließ sie nicht. Nur einmal wollte der Gärtner Zeuge gewesen sein, wie sie gegen Mitternacht immer und immer wieder das Atelier umkreist habe, bis ihr Fräulein von Riedt auf die Spur gekommen sei und nach einem heftigen Wortwechsel, wobei die Gnädige mit den Füßen gestampft, die Entwischte in das Säulenhaus zurückgebracht habe.

Nicht selten wurde sie aber auch auf der Terrasse gesehen. Auch da wandelte sie oft unruhig durch die Orangenbäume, aber immer nur an der Balustrade hin, welche die Plattform auf der Ostseite begrenzte. Von da konnte sie ziemlich die ganze Linie der Platanenallee übersehen, und über die Boscage hinweg war auch der kleine Oberbau des Ateliers sichtbar, in welchem Baron Schilling seine Wohnung hatte. Da, unter einem Zeltdach, nahm sie mit Fräulein von Riedt die Mahlzeiten ein, hielt auch manchmal ein Buch oder eine Stickerei in den Händen, hauptsächlich aber war das der Observationsposten, von welchem aus sie den Verkehr zwischen Säulenhaus und Atelier controlirte. Keine Portion Essen, keine Flasche Wein, die in das Atelier getragen wurden, entging ihren scharfen Augen, noch weniger aber ein lebendes Wesen, das die Kiesbahn der Allee beschritt.

So hatte sie auch eines Tages ihren Mann – zum ersten Mal seit ihrer Rückkehr – unter den Platanen herkommen sehen. Er gab nach; er beugte sich endlich, endlich und kam zu ihr.... Aber der wohlbekannte Schritt war nicht laut geworden in der Beletage; der „Bereuende“ war nicht in die Glasthür getreten, an der ihre gespannten Blicke gehangen; nur der Bediente Robert

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 599. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_599.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)