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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

des Landgrafen ältester Sohn gestorben war, und es dem Lande Hessen an einem Erben gebrach, tritt der alte Landgraf dem Todtgeglaubten die Landgrafschaft ab, und Otto der Schütze hält mit der geliebten Beatrix fröhlichen Einzug im Lande der Hessen. Die strenge Forschung schüttelt, um die Wahrheit der Geschichte befragt, zwar verneinend ihr Haupt, vermag aber nicht ihr das Leben zu nehmen, das sie fortlebt im Reiche der Poesie.

Fr. Helbig.




Aus vergessenen Acten.

Eine Criminalgeschichte von Hans Blum.

(Fortsetzung.)


„Eine Dolchscheide,“ sagte der Amtsrichter, „von schwarzen Leder mit silbernem Beschlag. Die Waffe muß eine ungewöhnliche Länge und Breite besessen haben. Kennt Jemand diese Dolchscheide?“

Niemand kannte sie. Der Zug setzte sich wieder in Bewegung und schritt, nachdem Kern die Kellerthür verschlossen und den Schlüssel zu sich gesteckt, in’s Erdgeschoß; und wieder weiter in die erste Etage, in das Zimmer Wolf’s, das des jungen Ehegatten Schlafzimmer hatte werden sollen und nun seiner Leiche zur letzten Ruhestätte über der Erde diente. –

Das Schlafzimmer und Bett des Todten waren unversehrt; letzteres machte den Eindruck, als sei es eben vom Inhaber verlassen worden, nachdem dieser kurze Zeit auf demselben geruht hatte. Uhr, Geldbeutel, Verlobungsring des Ermordeten lagen auf dem Nachttischchen; seine Kleidung auf dem Stuhle am Fuße des Bettes. Nirgends im Zimmer die Spur einer Unordnung, eines Kampfes. Wolf mußte das Bett verlassen haben – aus welcher Veranlassung, war noch unklar – in der Meinung, sogleich dahin zurückkehren zu können, halb entkleidet, wie er im Keller gefunden worden, ohne Ahnung einer Gefahr, die ihn bedrohe.

Der Arzt begann den Todten zu entkleiden, und Kern hatte soeben den Begleitern geboten abzutreten und in der Flur seiner Befehle zu harren, als die Mutter des Ermordeten mit Frau Martin hereinwankte.

Die arme Frau hatte ihr einziges Kind verloren, die Stütze ihres Wittwenstandes. Sie hatte den Sohn geboren; sie hatte ihn als Knaben und Jüngling wachsen und gedeihen sehen mit Mutterlust; sie hatte mit allem mütterlichen Stolze das Streben und den Erfolg seiner jungen Mannesjahre begleitet. Und nun – todt! Von ihr genommen für immer! Sie allein gelassen, mutterseelenallein, in der weiten, öden Welt! Sie ergriff seine kalte Hand und schmiegte ihre Stirn, ihren Mund daran; sie bedeckte die todte Hand mit Küssen. Es war ja dieselbe Hand, die einst ihren Hals umschlungen hatte, während der Mund, der jetzt für immer stumm war, zum ersten Mal ihr den süßen Namen Mutter gab.

„Frau Wolf,“ sagte Kern nach langer, andächtiger Stille, „haben Sie die Güte, uns bei der Ausübung unsrer traurigen Pflicht allein zu lassen!“

„Sie haben Recht,“ erwiderte sie, sich erhebend. „Empfangen Sie meinen innigsten Dank für Ihre aufopfernden Bemühungen!“

Sie schritt, auf den Arm der Frau Martin gestützt, hinaus, und Kern begleitete sie bis an die Schwelle ihres Schlafzimmers.

„Sie konnten nicht auf den Flur heraus, als Margret Sie rief und Sie Geräusch vom Keller hörten, nicht wahr?“ fragte er.

„Nein. Die Thür war von hier aus verriegelt.“

„Lassen Sie mich doch das Schloß einmal betrachten!“

Auch Margret war mit der Lampe in der Hand der Herrin treppab gefolgt, sie leuchtete nach dem Thürschlosse, und der Amtsrichter prüfte aufmerksam den Griff des Schlüssels, der in dem Schlosse steckte.

„Das sind Blutflecke,“ sagte er bestimmt, indem er mit dem Zeigefinger auf den Schlüssel wies. „Leuchten Sie mir an die Hinterthür, Margret!“

Auch hier fanden sich am Riegel, der nach Margret’s Bericht vorgeschoben worden war, während sie im Hofe verweilte – Blutspuren, blutige Fingerabdrücke. Dieselbe Wahrnehmung machte der Amtsrichter an der Klinke der Hausthür.

„Sonderbar,“ dachte Kern für sich. „Wenn wir dem blutigen Taschentuch glauben wollen, hatte der Mörder im Keller seine Hände von Blut gereinigt. Und hier erscheinen von neuem Blutspuren an allen Thüren, die er nach der That berührt hat. Wie ist das zu erklären?“

Der Gerichtsdiener, der zur Verhaftung Karl Bahring’s entsendet worden war, kehrte jetzt zurück – allein. Der sonst so ruhige Mann schien sehr aufgeregt.

„Sie haben den Gesuchten wohl nicht getroffen?“ fragte Kern, indem ein leichtes Lächeln bei dem Unmuth des eifrigen Dieners über sein Gesicht glitt; denn daß dieser den Fleischer nicht mehr zu Hause, auch nicht in der Stadt finden werde, nahm er als selbstverständlich an.

„O ja,“ erwiderte der Diener mürrisch. „Getroffen hab’ ich ihn schon.“

„Nun, warum haben Sie ihn denn nicht mitgebracht?“ fragte Kern erstaunt.

„Sie hatten doch nicht befohlen: ‚todt oder lebendig’, Herr Amtsrichter?“

„Natürlich nicht, da er ja lebt,“ rief Kern unwillig.

„Nein, er ist eben todt,“ versicherte der Amtsbote.

„Karl Bahring? Todt?”

„Karl Bahring, der Fleischermeister – ist todt,“ versicherte Etzold mit jener Amtswürde, die keines Irrthums fähig ist.

„An was denn gestorben, so plötzlich? Ich kann es kaum glauben.“

„Nun, er hat sich erschossen. Was denn weiter?“

„Etzold, reden Sie so über den Tod eines Menschen?“

„Ich meine nur, es war doch das Vernünftigste, was er thun konnte, Herr Amtsrichter.“

„Warum?“

„Nachdem er den Mord hier begangen und die ganze Stadt in Alarm war – –“

„Hielten Sie ihn auch für den Mörder?“

„Nun, Herr Amtsrichter, so dumm ist doch Etzold nicht? Und dann lesen Sie ’mal diesen Zettel, den ich neben dem erschossenen Leichnam gefunden und zu mir gesteckt habe!“

Der Amtsrichter nahm begierig den Zettel und las.

„Es ist vollbracht –“ stand da geschrieben, in schweren, aufgeregten Schriftzügen. „Ich kann nicht weiter leben. Erst wollte ich sie tödten, die Ungetreue – dann mich. Doch es ist besser so, wie ich es nun beschlossen und gethan habe, wenn dieser Zettel gefunden wird. So wird das Glück ihrer Untreue doch getrübt. – Gott mag über mich richten und über –

Karl Bahring.“

„Unklar und zweideutig,“ murmelte der Amtsrichter vor sich hin. „Wo haben Sie den Zettel gefunden, Etzold?“

„Neben der Leiche, Herr Amtsrichter. Der Todte lag auf dem Sopha seines Zimmers, der Zettel auf dem Tische daneben, und das Notizbuch, aus dem das Papier gerissen war, wenige Zoll davon. Die Pistole, mit der er sich umgebracht, war aus seiner Hand auf die Diele gesunken.“

„Wann mag die That geschehen sein?“

„Kaum vor einer halben Stunde, Herr Amtsrichter. Als ich ankam, hatte er eben den letzten Athemzug gethan; die alte Haushälterin hatte ihn nach Hause kommen hören. Wenige Minuten später fiel der Schuß, und als sie in sein Zimmer eilte, that er eben die letzten Seufzer.“

Der Amtsrichter sann einen Augenblick nach, dann wandte er sich an die Umstehenden, welche das Gespräch herbeigezogen, an King, Margret, die Lehrlinge und die Nachbarn und sagte:

„Ich danke Ihnen. Sie können schlafen gehen. Ich werde Sie nicht mehr nöthig haben. Gute Nacht!“

„Besten Dank, Herr Amtsrichter!“ erwiderte King gähnend. „Ich kann mich vor Müdigkeit kaum mehr auf den Beinen halten.“

Und die Leute des Hauses geleiteten die Nachbarn zur Thür und stiegen dann, mit Ausnahme Margret’s, wieder in ihre

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