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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Einrichtungen aufzuweisen hat, wie keine von unseren heutigen luxuriösesten Badeanstalten. Freilich gehörte auch bei den Römern der Aufenthalt in Bädern so sehr zum feinen Ton und war so sehr zur Leidenschaft geworden, daß in der Kaiserzeit reiche Vertreter der Jeunesse dorée oft Tage und Nächte lang daselbst verweilten und selbstverständlich den größten Comfort verlangten.

Für alle Alterthumsforscher muß es hochinteressant sein, hier in Pompeji das echte römische Wohnhaus aus der classischen Zeit römischer Baukunst vor sich zu sehen und genau studiren zu können. Am Aeußeren desselben fällt zunächst auf, daß meist nur glatte Wände die Façade bilden, Fenster nur im höchsten Stockwerk in kleinster Gestalt vorkommen und auch das Portal keinen besondern Ausschmuck zeigt. Ganz im Gegensatz zu dem antiken Tempelbau, an welchem die Hauptzierde architektonischer, malerischer und bildnerischer Kunst hauptsächlich auf die Außenseite verwendet ist, erscheint beim antiken Wohnhaus alle Pracht und Zierde dem Innern zugewendet. Die feineren Privathäuser Pompejis haben meist eine ganz gleichartige Einrichtung. Durch die Hausthür und einen Gang (vestibulum) gelangt man in die innere Vorflur (prothyrum), dann in die innere Hausflur (ostium), neben welcher die Zelle des thürhütenden Sclaven (ostiarius) lag, und nun erst in das Atrium, einen unserem heutigen Salon entsprechenden schönen, mit Marmor getäfelten Raum mit einer großen Oeffnung (compluvium) inmitten des Plafonds. An das Atrium schließen sich an beiden Seiten die Audienzzimmer des Hausherrn an, in denen er seine Freunde oder auch Clienten empfing, und im Fond befindet sich das Tablinum oder das Archiv für die Ahnenbilder und Geschlechtstafeln der Familie. Vertrautere Bekannte wurden auch in die weiteren Zimmer, die private Abtheilung des Hauses, eingeführt, zunächst durch einen schmalen Gang (fauces) in das Peristylium (auch Porticus genannt), um welches sich die Schlafzimmer (cubicula), die Speisezimmer (triclinia), endlich die Küche, die Badezimmer, die Conversationszimmer für die Familie und die Hauscapelle (sacellum), in welcher die Penaten hausten, gruppirten. Die Säulen des Peristyls bildeten Arcaden, die ein reizendes Gärtchen umschlossen, in dessen Mitte ein Springbrunnen mit Fischbehälter (piscina), außerdem Marmorgruppen und sonstige plastische Kunstwerke den Reiz des Gesammtbildes erhöhten. Aus allen Einzeltheilen und der schönen Einheitlichkeit des Ganzen erkennt man den hochausgebildeten Kunst- und Schönheitssinn der Pompejaner.

Wie auf vielen Gebieten der Kunst, so waren auch in der Architektur die Römer mehr Eklektiker, die aus allen früheren Kunstepochen entlehnten, als orginelle oder schöpferische Geister. Speciell die Architektur der Pompejaner zeigt mehr Annäherung an die dorische und corinthische Ordnung, als an die ionische, hat aber im Allgemeinen gar keinen ausgeprägten Stil, auch nicht im Ornament, das mitunter überladen und ohne strenge Anpassung an die Hauptformen des Gebäudes erscheint, jedoch auch nicht in irgend welchen Naturalismus oder in unschöne Verwilderung verfallen ist, sondern stets den Eindruck lieblicher und zierlicher Heiterkeit macht.

Selbst die Wohnhäuser einfacher, wohlhabender Bürger Pompejis entbehren nicht des zierlichsten Ausschmuckes. Der Fußboden bestand meist aus Mosaik, von welcher sich die Säulen der Hallen und das Saftgrün der Tropenpflanzen wunderbar abhoben. Ein Musterstück solcher Mosaikkunst ist die in der sogenannten Casa del Fauno 1831 entdeckte große Alexander-Schlacht, Copie eines Gemäldes, das Timon’s Tochter Helena (aus Aegypten) zugeschrieben wird, über welche Goethe seine glühendste Bewunderung in Briefen aussprach. – Die Wände des Atriums wurden fast stets mit Malerei (al fresco und auch enkaustisch) verziert, welche als „pompejanische“, namentlich wegen der schönen Farbenzusammenstellung mit vorherrschendem Roth (pompejanisches Roth) und einem hell leuchtenden Gelb noch heute so hoch geschätzt wird, wie dies offenbar im Alterthum der Fall war.

Einzelne sehr hervorragende Privatgebäude Pompejis verdienen noch eine nähere Betrachtung, z. B. die schon erwähnte schöne Villa des Marcus Arrius Diomedes mit der unvergleichlichen Terrasse, die einen wonnereichen Blick über den Golf von Neapel gewährt. (Eine bis in die kleinsten Einzelheiten getreue Nachbildung dieser Diomedes-Villa oder der „Casa del questore“ findet sich bekanntlich in Aschaffenburg, im Auftrag des Königs Ludwig des Ersten 1842 bis 1849 vom Oberbaurath von Gärtner ausgeführt.) Bei der Ausgrabung entdeckte man an der Gartenthür zwei Skelete, von denen das eine, durch einen goldenen Ring kenntliche, vermuthlich der traurige Ueberrest des einst so glücklichen Besitzers ist. Er war offenbar auf der Flucht begriffen, um seine Gold- und Silberschätze in einem Sacke auf das Meer zu retten, als ihn der Aschenregen erstickte.

Im Kellerraume fanden sich etwa 21 Opfer des Erstickungstodes, zum Theil eng zusammengekauert vor, und eines der Weiber, mit der Brust an der Wand liegend, hinterließ die Form der Brust in der feuchten Asche abgedrückt. Dadurch kam Director Fiorelli auf die glückliche Idee, auch andere eingedrückte Formen, z. B. die eines classisch schönen Mädchenkörpers, mit Gyps ausgießen zu lassen, und so erhielt man das beste, vollständigste plastische Abbild der Originale.

Noch berühmter als die Diomedes-Villa wurde das in der Fortunastraße gelegene Haus eines dramatischen Dichters durch das entschieden vorzüglichste aller pompejanischen Wandgemälde: „Uebergabe der Briseïs durch Achill an Agamemnon“ und durch den auf dem Mosaikfußboden dargestellten Hund mit der Inschrift: „Cave canem!“ (Hüte dich vor dem Hund.)

Es giebt noch zahlreiche durch Gemäldeschmuck interessante Privathäuser, allein ihre Aufzählung würde ermüden. Wenden wir uns daher den für die Kenntniß des römischen Culturlebens wichtigen Arbeitsstätten der Handwerker und den Kaufläden zu, die in Pompeji stets die Erdgeschosse in belebten Straßen einnehmen! Wie bei uns waren manche Läden durch Abzeichen, dort aber plastische, kenntlich gemacht, z. B. bei einem Bäckerladen fand man eine von einem Maulthier getriebene Mühle, bei einem Milchladen das Bild einer Ziege aus Terracotta. Die Ladentische waren ausgemauert und oben mit Marmor bedeckt. An einigen Vertiefungen, durch die großen Wein-Amphoren gebildet, konnte man herausfinden, daß daselbst eine Weinhandlung oder Weinschenke gewesen sei. In der Herculanerstraße kennzeichneten sich die Werkstätten durch die aufgefundenen Gegenstände: Hämmer, Zangen, Wagenachsen, Hufeisen etc., sodaß man wußte: Hier hauste ein Grobschmied, dort ein Wagner, dort ein Töpfer, dort ein Bildhauer etc.. Auch die Locale der Friseure, Parfumeure und andere Luxusgeschäfte erkennt man an aufgefundenen Phiolen mit eingetrockneten Flüssigkeiten, Harzen und Pillen.

Mehrere Bäckereien wurden offengelegt, die größte in der Herculanerstraße mit vier von Menschen und Vieh getriebenen Mühlen, einem Backofen, der noch einundachtzig verkohlte, sonst aber wohlconservirte gestempelte Brode enthielt, ferner eine Conditorei mit zwei antiken Torten. Bei den aufgefundenen Handwerkerhäusern interessiren auch besonders die bildlichen Darstellungen der gewerblichen Verrichtungen, z. B. bei einer Tuchwalkerei. Manche Inschriften deuten auf die damalige Existenz von Genossenschaften und Zünften der Handwerker hin. Jedenfalls hatten in Pompeji die Goldschmiede, Zimmerleute, Stellmacher schon ihre Zünfte, und die Obsthändler, Oelhändler, Lastträger, Maulthiertreiber u. dergl. ihre Genossenschaften.

Culturelles Interesse gewähren ganz besonders auch die auf den Albums eingeschriebenen und eingeritzten Veröffentlichungen, meist geschäftlicher, aber auch ganz privater Art. Dort wurden die Wahlumtriebe und Wahlempfehlungen zum Austrage gebracht. Z. B. wird an dem Eumachia-Album der reiche Großhändler Photinus als Aedil vorgeschlagen und zwar „zum Schutze der nationalen Arbeit“; an einer andern Stelle wird ein pompejanischer Socialdemokrat von den Brüdern der Lastträgersippe zum Stadtrath decretirt. Außerdem brachten hier viele Clienten ihre Bittgesuche bei den Patronen an. Wohnungsanzeigen wurden, oft mit orthographischen Verstößen, hingekritzelt; auch wurde die Aedilen dringend ersucht, für die Straßenordnung zu sorgen, und ein gewisser „Maserius mit sämmtlichen Schläfern“ bittet um Einstellung des Straßenlärms. Am meisten wurden jedenfalls, wie auch bei uns, die Ankündigungen von Spielen und Vergnügungen gelesen, z. B. steht da zu lesen: „Die Gladiatorentruppe des A. Cerius wird in Pompeji am letzten Mai kämpfen, es wird auch eine Jagd stattfinden!“ Lustig sind zuweilen die Privatkritzeleien, die sogenannten Graffiti, z. B. der Name „Psyche“ in einem nunmehr versteinerten Herzen, dann die indiscrete Mittheilung: „Fräulein Ocula liebt den Arabinus,“ vermuthlich von einem verschmähten Rivalen, endlich eine Hauptmalice gegen die Justiz in den Worten. „Was kostet hier die Justiz?“ Auch

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