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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Frau Schwiegermutter. Die Bosheit hat gesiegt – prosit, wohl bekomm es Ihnen, verehrte Frau! Ein anderes Mal lache ich.“

Sie machte einen spöttischen Bühnenknix voll unvergleichlich drastischer Komik, sprang in den Wagen und warf sich in die Polster.

„Vorwärts!“ commandirte sie mit ihrer hochliegenden Stimme; die Pferde zogen an, und der unglückliche Secretär, der sich nach der Kammerjungfer eben auf den Tritt geschwungen hatte, taumelte auf den Vordersitz des davonbrausenden Wagens.




33.

Die Majorin blieb auf der Schwelle stehen, als gelte es den Eingang zu hüten, bis auch das letzte, fernste Räderrollen der Equipage verhallt war. Sie wandte nur das Gesicht in den Garten hinein, wo Paula auf dem Arm ihrer schwarzen Wärterin unaufhörlich weinte und nach „Mama“ und der „wunderschönen, großen Schreipuppe“ verlangte, die ihr Minna versprochen habe.

Ein Menschentrupp hatte sich um Deborah geschaart und verlangte Auskunft über das, was eigentlich geschehen. Die Leute, wie sie sich herandrängten, der Gärtner, der Stallknecht und verschiedene weibliche Dienstboten des Schillingshofes, sie hörten dem überstürzten, athemlos hervorgestammelten Bericht der Schwarzen mit total verblüffter, verständnißloser Miene zu. Die kleine gnädige Frau habe ihr eigenes Kind stehlen wollen – darauf sollte sich Einer einen Vers machen. Das war doch zu lächerlich. Deborah vergaß vor Schrecken alle Vorsicht, und Jack, der vom Säulenhaus herbeigestürmt war, in seiner Wuth ebenfalls.

„Das hat Canaille Minna ausgeheckt,“ rief er. „Ist immer da hinausgegangen bei Besorgungen in der Stadt – hat gewußt, daß klein Paula Morgens immer dort spielt, allein mit Deborah.“

Donna Mercedes kam flüchtigen Ganges quer über die Wiesenflächen. Sie war im weißen, duftig flatternden Morgenkleide – es war, als schwebe eine Lilie [WS 1] daher.

Deborah eilte ihr mit der kleinen Paula entgegen und wiederholte unter angstvollen Geberden ihre Erzählung – sie zitterte sichtlich unter dem Blick der großen, flammenden Augen.

Das schöne Antlitz der Herrin wurde todtenblaß und ihre Brauen zogen sich finster und drohend zusammen, aber sie verlor die Geistesgegenwart nicht, – wie ihre Leute. Sie unterbrach mit kurzen, leisen Worten und einem Handwinken den Bericht, und als die Schwarze verstummend nach der Mauerthür zeigte, in deren Rahmen die Majorin noch stand, da nahm sie das Kind, das beim Erblicken der Tante ruhiger geworden war, vom Arm der Wärterin, stellte es auf die kleinen Füße und führte es direct der Frau zu, die seine Entführung verhindert hatte.

Diesmal wich die Majorin nicht zurück; sie ging im Gegentheil Donna Mercedes um einige Schritte entgegen, und diese Dame war ganz frappirt von der königlichen Haltung, dem würdevollen, edlen Gang der Frau. Sie hatte in der That die blauleinene Kochschürze über ihrem dunklen Wollenkleide; im Drang des Augenblickes waren ihr weder Zeit noch Ueberlegung verblieben, sie abzuwerfen, und auch jetzt schien sie durch das Begebniß viel zu sehr in Anspruch genommen, um zu bedenken, daß sie wie eine Magd auf fremdem Terrain, einer hocheleganten Dame gegenüber stehe. Eine feine Röthe innerer Erregung brannte auf ihren Wangen.

„Ist Ihnen das kleine Mädchen anvertraut worden, Fräulein, dann werden Sie es in Zukunft besser hüten müssen,“ sagte sie kurz mit harter Stimme. „Es möchte sich nicht immer so treffen, daß Hülfe nahe ist, wie es eben der Fall war.“

„Einen solch perfiden Streich von Seiten der Mutter konnte Niemand voraussehen,“ antwortete Donna Mercedes, peinlich berührt von dieser unverhüllten Rüge. „Ich hüte die Kinder wie meinen Augapfel.“

Die Majorin ließ einen scharfprüfenden Blick über die junge Dame hingleiten. „Sie sind die Gouvernante?“ fragte sie zögernd und etwas unsicher.

Ein leises, ironisches Lächeln stahl sich um Donna Mercedes’ Mund. „Nein – ich bin die Tante.“

Die Majorin trat unwillkürlich zurück. „Ach so – also auch eine Fournier?“ warf sie verächtlich hin, und ihre Augen hefteten sich ausdrucksvoll auf das spitzenbesetzte Morgenkleid, als wollten sie sagen: „Auch Theaterplunder!“

Donna Mercedes erröthete vor Unwillen. „Ich muß sehr bitten,“ entgegnete sie entrüstet. „Jener Familie habe ich nie angehört, weder dem Blut, noch dem Namen nach. Ich stelle mich Ihnen als Frau de Valmaseda vor.“

Ein richtiger Instinct hielt sie ab, dieser geschiedenen Frau jetzt schon, in einem Moment der Aufregung, zu sagen, daß sie Felix Lucian’s Stiefschwester sei. Eine derartige Annahme schien aber auch der Majorin vollkommen fern zu liegen. Sie forschte nicht weiter, weil sie offenbar mit brennender Ungeduld eine andere Frage zu lösen wünschte. Man sah, sie rang nach einem möglichst unverfänglichen Ausdruck, und plötzlich sagte sie. „Die Person, die da eben fortgefahren ist –“

„Sie meinen Lucile Lucian, geborene Fournier?“

Die Augen der Majorin funkelten erbittert auf – ihrem Ohr war diese Namenverbindung jedenfalls noch genau so verhaßt, so entsetzlich demüthigend, wie an jenem Abend, da sie den einzigen Sohn um seiner Wahl willen verstoßen hatte. Aber sie bezwang sich. „Ich wollte fragen, ob sie getrennt lebt von – von ihrem Manne?“

Donna Mercedes fühlte, wie ihr alles Blut zum Herzen zurücktrat – sie schauderte. Diese Mutter da, welche Liebe und Reue unwiderstehlich auf den Weg der Umkehr drängten, sie war völlig ahnungslos, daß es zur Buße zu spät sei, daß sie keinen Sohn mehr habe, zu dem sie in beglückender Verzeihung sagen konnte. „Komm an das Mutterherz zurück!“ Mit weggewendetem Blick, barsch und rauh hatte sie die Frage hingeworfen – noch wogte ein starker Rest von Trotz und Unbeugsamkeit in dem Gefühlssturm mit – aber ein kaum zu unterdrückendes Frohlocken sprach aus ihren Zügen, lag in der athemlosen Spannung, mit der sie auf die bejahende Antwort horchte. Sie glaubte das unwürdige Band gelöst und hoffte auf eine doppelt frohe Wiedervereinigung mit dem Sohn, nachdem das verhaßte Element ausgestoßen war....

„Nun, warum sprechen Sie nicht?“ fragte sie heftig und trat so dicht an Donna Mercedes heran, daß diese meinte, sie höre das starke, stürmisch bewegte Herz der Frau klopfen. „Hörten Sie denn nicht, was ich fragte? Ich will wissen, ob er sich von jenem unseligen Geschöpf getrennt hat –“

„Ja – aber in anderer Weise, als Sie denken,“ versetzte Donna Mercedes stockend; ein tiefes Mitleiden, ein inniges Erbarmen umflorte diese schwachen Töne.

Das Gesicht der Majorin wurde plötzlich fahlweiß bis in die Lippen, und die hochgehobenen Brauen falteten sich wie in Entsetzen über den starr aufgerissenen Augen.

Donna Mercedes ergriff ihre Hände und zog sie mit einem thränenfeuchten Aufblick an sich. „Glauben Sie, Felix würde seine Kinder allein hierher geschickt haben? – Er würde, nachdem sein Knabe das Zeichen Ihrer Verzeihung heimgebracht, nicht sofort hinübergestürzt sein –“

„Todt!“ stöhnte die Majorin auf. Sie riß sich los, fuhr mit beiden Händen nach dem Kopfe und stürzte plötzlich auf den Boden, wie ein Baum niederschmettert, den die Säge über der Wurzel durchschnitten hat.

Die herbeigelaufenen Leute des Hauses hatten sich inzwischen entfernt; nur Deborah war geblieben. Sie kam erschrocken herbei und half ihrer Herrin die Gestürzte aufrichten. Die Majorin war nicht bewußtlos – es war die grauenvolle Wucht des unerwarteten Schlages gewesen, die ihr plötzlich alle seelische Herrschaft über den Körper geraubt hatte.

Sie richtete sich auf und sah mit leeren, thränenlosen Augen in die Weite.... Da lag Alles in Scherben, der Wolfram’sche Starrkopf, die wüthende Eifersucht, die eingebildete, auf vertrocknete Principien gestützte Unfehlbarkeit – aber auch das letzte beseligende, aus furchtbaren Seelenkämpfen wiedergeborene Hoffen.

„Ich will Dich nie wiedersehen – selbst nach dem Tode nicht,“ hatte sie dem scheidenden Sohne in unerhörtem Frevel zugerufen, und nun – nun hätte sie büßend in die weite Welt hinein bis zu ihm pilgern und die Erde, die ihn deckte, mit ihren Fingernägeln aufscharren mögen, um ihn nur noch ein einziges Mal wiederzusehen, dessen herrliches Aufblühen und Emporwachsen sie einst mit strengverschwiegener Mutterlust erfüllt hatte.... Nun wollte sie den aufgespeicherten Schatz von mütterlicher Liebe und Zärtlichkeit verschwenderisch über den Hügel ihres Kindes ausschütten, gegen das sie zeitlebens mit Worten und Liebkosungen erbarmungslos gekargt, um des Principes

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Willi
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 578. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_578.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)