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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

eigenthümliches elegisches Gefühl beim Anblick dieser einst vergrabenen Menschenwohnungen, dieser Säulenstümpfe, Mauerreste und Kunstdenkmäler; die Phantasie versetzt sich mitten hinein in das Leben und Treiben jener längst vergangenen Culturepoche, als von Rom aus noch die ganze bekannte Welt beherrscht und geknechtet wurde und noch nicht das kräftige Germanenthum die römischen Fesseln in Stücke gebrochen hatte.

Das Areal Pompejis bildet ein von Ost nach West verschobenes Oval, dessen Gesammtfläche noch nicht 3000 Meter beträgt. Bis jetzt sind von den alten Eingängen oder Thoren acht bekannt geworden, von denen das schon erwähnte westliche Herculanerthor das bedeutendste und architektonisch schönste gewesen sein muß. In der Nähe dieses Thores, das heißt außerhalb desselben, finden sich einige sehenswerthe Grabmonumente namhafter Männer Pompejis, sowie einzelne prächtige Villen, z. B. die reizende einstige Besitzung des Marcus Arrius Diomedes. Das Herculanertor hat drei verschiedene Eingänge, in der Mitte für Fuhrwerke, zu beiden Seiten für Fußgänger, aber von weit größerem Interesse sind die mit weißem Stuck überkleideten Pfeiler, Album genannt; sie dienten seinerzeit zur Publication von Anzeigen, vertraten also den Inseratentheil unserer Zeitungen. Man schrieb, respective malte mit rother oder schwarzer Farbe irgendwelche Mittheilungen für das Publicum darauf, die dann nach einiger Zeit wieder beseitigt, nämlich weiß übertüncht wurden. Solche Albums, von denen die Benennung unserer modernen Albums (für Photographien etc.) herstammt, fanden sich auch zahlreich an Plätzen und Kreuzungspunkten der Straßen. – Rechts am Thore ist eine Nische, in welcher bei der Ausgrabung ein Gerippe mit Stahlhaube und in Waffen – die Schildwache, die, getreu ihrer Soldatenpflicht, auf dem Posten den Tod fand – entdeckt wurde.

Sehr belebt muß einst die Straße vom Thore in das Innere der Stadt gewesen sein, auch befanden sich in derselben das Zollhaus, die Post und einige Herbergen oder Gasthäuser, ferner Kaufmannshäuser, Lagergebäude etc.. Die Straße mündet in die von Südwest nach Nordost das Centrum der Stadt bis zum Nolanerthor durchschneidende Hauptstraße, von welcher die Mercurstraße, die nobelste der Stadt, sich abzweigt und durch einen Triumphbogen nach dem Forum civile hinführt. Südlicher liegen dann das Forum triangulare, die Tempel, die öffentlichen Gebäude, links am äußersten Ende der Stadt das Forum boarium und das berühmte Amphitheater. Wie in so vielen Städten Südeuropas sind die Straßen erstaunlich eng, oft nur zwei bis drei Meter breit, sodaß immer nur ein Wagen darin fahren und keinem zweiten ausweichen konnte.

Das ohrenzerreißende Gerassel schwerer Lastwagen hat man übrigens in Pompeji niemals zu erdulden gehabt, denn nur elegante Wagen vornehmer Bürger und reicher Gäste passirten diese engen Straßen. Sicher aber waren die engsten Straße, als die schattigsten, auch die verkehrreichsten. Alle Fahrstraßen müssen ausgezeichnet gepflastert gewesen sein, und zwar benutzte man dazu große Lavablöcke. Man fand auf dem Pflaster meist noch die Spuren der Wagenräder. Auf den sehr hohen Trottoirs gingen die Pompejaner sehr bequem und waren wohl auch nicht wenig stolz auf den Ausschmuck derselben, der in Ziegelmosaik, in Sandsteinplatten, Asphalt oder Marmor ausgeführt war. An den Kreuzungen waren schöne Brunnen angebracht, und die Abflüsse liefen durch Gossen in unterirdische Canäle.




Heimweh.


Auf der dampfenden Stadt liegt Mittagsgluth,
Und es sinkt mir die Wimper; es wallt mir das Blut.
Die Straßen so staubig, so dumpf und so schwül,
Und die Menschen so nüchtern, so seelenlos kühl,
Und so hastig ihr Schaffen, so wirr ihr Gedräng’,
Das Gewissen so weit und die Herzen so eng –
Im Gemüthe erwacht mir ein Heimweh tief,
Das lange schlief.

Wo am Strande die schimmernden Dünen steh’n,
Wo die Masten ragen, die Wimpel weh’n,
Wo die Möven am Felsen sich Nester bau’n,
Wo versunkene Städte vom Grunde schau’n,
Wo die rollende Fluth zu Lande schäumt
Und das Herz von vergangenen Tagen träumt
In dem wellenversilbernden Mondenschein –
Da möcht’ ich sein.

Eine trauliche Hütte am brandenden Meer
Und verständige, schlichte Nachbarn umher
Und ich selber mit Weib und mit Kindern darin –
O, wie würd’ ich genesen an Herz und Sinn!
Der Großstadt Wust, wo die Einfalt stirbt,
Wo der Leib früh altert, die Seele verdirbt,
Wo das Heiligste feil ist um eiteles Gold,
Hat Gott nicht gewollt.

Ernst Ziel.




Aus vergessenen Acten.

Eine Criminalgeschichte von Hans Blum.

(Fortsetzung.)


Plötzlich richtete sich Margret mit weitoffenem Auge leise im Bette empor und horchte gespannt in die stille Nacht hinaus.

Sie horchte lange und regungslos, mit verhaltenem Athem. Ein feiner, kalter Schweiß bedeckte ihr Gesicht, und es durchschauerte sie trotz der milden Sommernacht.

„Was war das, was soll das bedeuten?“ murmelte sie. Und wieder horchte sie lange hinaus.

Ein dumpfer Schrei, der aus dem Parterreflure kommen mußte, unterbrach jetzt plötzlich die Stille.

„Die Stimme des Herrn Wolf. Was mag er haben?“ rief sie ängstlich und flog in ihre Kleider.

Abermals ertönte ein Schrei von unten, gellender, aber schwächer als der vorige. Er schien aus dem Keller zu kommen.

Margret stürzte in fliegender Eile nach der Lehrlingskammer und klopfte mit der Faust an die Thür.

„Aufstehen – King, Buben, rasch!“ rief sie dringlich, aber gedämpft, damit ihr Ruf nicht weiter gehört werde, als in der Kammer. Dann flog sie die Treppen hinab, ohne Licht, nur von dem unbestimmten Gedanken geleitet, es müsse unten ein Unglück geschehen sein und sie müsse helfen.

In der Hausflur des Erdgeschosses gewann ihre Besorgniß festere Gestalt. Von den schmalen und steilen Stufen der Kellertreppe her erscholl ein unheimliches Getöse. Es klang bald wie Stöhnen und Aechzen, bald wie Zerren und Treten, wie das kämpfende Hin- und Herwogen menschlicher Körper. Herr Wolf hatte zweimal einen Schrei ausgestoßen, war er bei dem Kampfe betheiligt? Und wer noch?

Wenige Secunden genügten zu dieser Beobachtung. Inzwischen hatte sie Licht gemacht. Ihre Lampe hatte sie von oben mitgenommen und sie mit den Zündhölzern angezündet, welche, wie immer, neben der Hausflur in der Wandnische lagen.

Das muthige Mädchen schritt nun, die Lampe hoch in der Hand, unverzagt auf die Kellerthür zu, von wo her immer noch das Kampfgetöse erschallte.

„Herr Wolf, Herr Wolf, sind Sie da?“ rief sie laut und dringend. „Wer ist bei Ihnen?“

Unverständliche, gurgelnde Worte, die aber wiederum offenbar Wolf ausstieß, erhielt sie als Antwort.

Ihre Angst – nicht ihrethalben, aber für das Wohl des Herrn, dem sie diente, dessen Brod sie aß, unter dessen Dach sie

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