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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

ein einziges Mal, oder, wenn man lieber will, einen Jünger, zu dem er sich durch Sympathie hingezogen fühlte, in dem er einen Zug enger geistiger Verwandtschaft entdeckte.

„In meine Schule,“ hatte er oft in seiner etwas überschwänglichen Weise gesagt, „taugen keine Zwerge, sondern nur Riesen, und die sind jetzt bei der Bühne selten. Wer heute zum Theater geht, thut es nicht aus künstlerischem Drang, sondern aus Eitelkeit, ich will aber lieber für die Nachwelt gar keine Traditionen hinterlassen, als entstellte.“

Von diesem Programm konnte ihn nur innige Sympathie, die Ueberzeugung von dem echten Beruf einer jüngeren Kraft abtrünnig machen, und sein einziger Schüler und Jünger wurde Siegwart Friedmann.

Im April 1842 in Pest geboren, verwöhnter Liebling der Mutter, etwas strenger vom Vater erzogen, war der junge Siegwart für eine praktische Laufbahn bestimmt, wie sie seine Brüder mit Erfolg einschlugen. Er sollte Kaufmann werden, nachdem er die Handelsschule absolvirt hatte; als vierzehnjähriger Lehrling kam er nach Wien, wo er sechs Jahre lang in Condition war, doch sein Hang zog ihn zum Theater; er war einer der fleißigsten Besucher des Burgschauspiels; von Tag zu Tag wuchs seine Neigung zur darstellenden Kunst. Er faßte sich ein Herz und begab sich zu Sonnenthal; denn für diesen trefflichen und vornehmen Künstler hegte er eine große Verehrung. Sonnenthal empfing ihn in freundlicher und liebenswürdiger Weise, sprach ihm Talent zu und erklärte ihm: „Sie dürfen zum Theater.“

Jetzt glaubte der junge Kunstnovize die Weihe für diesen Beruf erhalten zu haben; er eilte nach Pest zurück, um sofort die Zustimmung seines Vaters zu erlangen, doch als er diesem am Tage seiner Ankunft gegenübertrat, versagte ihm das Wort der Bitte. Der Vater war zwar kein Feind des Theaters – er besuchte es gern – doch der Gedanke, daß sein Sohn Schauspieler werden solle, würde ihn auf’s Aeußerste erschreckt haben; er liebte die Kunst, aber er dachte gering von den Künstlern.

Als er am nächsten Tage ausging und nach dem Theaterzettel sah, wie groß war seine Freude, als er ein Gastspiel Dawison’s angezeigt fand! Der berühmte Künstler sollte am Abend „Richard den Dritten“ spielen. Der junge Enthusiast kaufte sogleich ein Billet für die Vorstellung und war nach derselben durch die ausgezeichnete Leistung des Meisters so aufgeregt, daß er die ganze Nacht nicht schlafen konnte. Er faßte den Entschluß, am nächsten Morgen den gefeierten Künstler in seinem Hôtel zu besuchen.

Mit Herzklopfen, mit namenloser Angst stand er vor der Thür des Zimmers. Endlich klopfte er, und ein sonores, schneidiges, kurzes „Herein!“ schallte ihm entgegen; er stand vor Dawison. „Ich muß mich anfangs,“ so schreibt er selbst über diese Begegnung, „recht albern benommen haben, denn das feine und ironische Lächeln, welches den beredten Mund des großen Mimen umschwebte, machte mich jetzt erst auf die fast ohnmächtige Befangenheit aufmerksam, in der ich mich befand. Er hieß mich niedersetzen und fragte nach meinem Begehren. Nach und nach kam ich denn zum stürmischen Ausdrucke meiner Bewunderung.“ Dawison betrachtete den langen, schmächtigen Jüngling mit den herabwallenden Ringellocken und dem entschlossenen Zug in seinem Gesicht nicht ohne Antheil. Allmählich sprach dieser denn auch den Wunsch aus, der ihn hergeführt: er bat, ein, zwei Rollen dem Meister vorsprechen zu dürfen.

„Welche Rollen haben Sie schon studirt?“ fragte Dawison.

„Die meisten,“ lautete die Antwort, „die Sie selbst spielen, Carlos, Marinelli …“

„Das geht nicht. Die ersten zwei bis drei Jahre müssen Sie unter allen Umständen nur Liebhaber spielen; das Fach der Liebhaber ist das ABC in unserer Kunst.“

Dawison nahm ein Buch des „Don Carlos“ und ließ Friedmann die Rolle des spanischen Prinzen im zweiten Acte sprechen.

„Das ist einmal ein ganzer Kerl,“ sagte Dawison zu seiner Frau, als Friedmann gegangen war, „das waren einmal echte, wirkliche Thränen.“

Friedmann kam nun öfters und wurde der Liebling des Hauses. Dawison forderte ihn auf, ihm als sein Schüler nach Dresden zu folgen.

„Kommen Sie nur ungenirt mit,“ sagte er, „und lassen Sie alles Uebrige meine Sorge sein!“

Jetzt erst entdeckte Friedmann dem Vater seine böse Absicht, zum Theater zu gehen; aber die Gönnerschaft Dawison’s ließ keinen Widerspruch zu Worte kommen.

In Dresden studirte Friedmann mit jenem Fleiß, jener Ausdauer, wie sie sein Lehrer selbst bewährt hatte. Von Morgens bis Abends suchte er sich in der Welt- und Literaturgeschichte, in der Musik und Poetik, in den Classikern heimisch zu machen. Wenn er nach einer Abendgesellschaft zu lange schlief, weckte ihn Dawison oft mit einem Pistolenschusse und setzte ihm dann aus einander, daß, wer in der Kunst alles leisten wolle, rastlos thätig sein müsse. Dawison hatte ihn in seiner eigenen Villa einquartiert und ließ ihm durch engagirte Lehrkräfte Unterricht ertheilen, auch im Fechten, Turnen, Schwimmen, Reiten. Zur Lösung seiner Zunge mußte der Zögling viel französisch parliren, englisch lesen und italienisch singen. Den dramatischen Unterricht leitete der Meister selbst.

So ging Friedmann, trefflich vorbereitet als der einzige Schüler eines trefflichen Künstlers, in sein erstes Engagement nach Breslau, nahm dann an Dawison’s Gastspiel in Wien 1864 Theil, und wurde hierauf am Berliner Hoftheater engagirt, wo er eine sehr gedrückte Stellung einnahm, da zwei hervorragende Künstler, Döring und Dessoir, im unbestreitbaren Besitze der ersten Rollen waren.

Eine günstigere Epoche brach für ihn an, als er im Jahre 1871 an das Wiener Stadttheater kam, wo er in der Laube’schen Schule noch etwas realistisch gedrillt wurde und in hervorragenden Rollen schöne Erfolge errang. Im Jahre 1876 wurde er von Pollini für das Hamburger Stadttheater engagirt, und hier gelang es ihm, im Bunde mit Barnay und Fräulein Ellmenreich, durch ausgezeichnete Darstellung classischer Dichtungen stets das Haus zu füllen. Von hier will sich der Künstler wieder dem Wiener Stadttheater zuwenden, dessen Leitung vielleicht, einigen Zeitungsnotizen zufolge, seinen Händen anvertraut wird.

Eine Ehe Friedmann’s mit jener Tochter des Herrn von Doenniges, welche durch ihre Beziehungen zu Ferdinand Lassalle und den tragischen Tod des philosophischen Agitators ein romanhaftes Interesse in Anspruch nahm und welche nachher jenen Bojaren von Rakowicz heirathete, der Lassalle im Duell erschoß, wurde wieder gelöst. Die goldlockige Schöne hat sich auch dem Theater zugewendet und gastirte in der letzten Zeit auf nordamerikanischen Bühnen.

Friedmann selbst hat durch Gastspiele in Meiningen und Schwerin wo ihn die kunstsinnigen Fürsten durch Ordensverleihungen auszeichneten, sowie in vielen anderen Städten seinen Ruf in immer weiteren Kreisen verbreitet. In Leipzig gastirte er im Sommer 1878, und hier lernten auch wir den Künstler kennen. Dasjenige, was ihm von Hause aus Dawison’s Sympathien erwarb, die innere Herzenswärme, belebt noch heute seine Darstellungen; es ist Geist und Leben in Allem, was er schafft. Eine sclavische Nachahmung Dawison’s wird man vergeblich bei ihm suchen. Durch eigenartiges Schaffen hatte sich der Lehrer ausgezeichnet; der Schüler konnte sein Vorbild dann am meisten erreichen, wenn er es am wenigsten in äußerlicher Weise zu copiren suchte. In der That ist die Auffassung vieler Rollen bei dem Jünger eine wesentlich andere als bei dem Meister, ja eine durchaus originelle. Nur ist diese Originalität keine gesuchte, sondern sie hängt mit dem innersten Wesen des Darstellers zusammen.

So ist z. B. sein „Hamlet“ wesentlich abweichend von den üblichen Auffassungen dieses Charakters; man könnte sagen, Friedmann spielt einen neuen Commentar dieser Rolle, aber einen Commentar, der in ihm Fleisch und Blut geworden ist. Dieser Hamlet ist der sanfte, melancholische Gefühlsmensch, dessen Gefühl durch die bitteren Kränkungen seines Schicksals aus den Fugen geworfen ist. Sinn für die Kunst, schöngeistige Empfindungen, Neigungen zu Reflexionen über Welt, Menschen und Leben, das verträgt sich sehr wohl mit einer solchen nervös gereizten Natur, aber das überwiegend Schwächliche, gutmüthig Edle, welches so die Grundlage des Charakters bildet, ist doch mit verschiedenen Aeußerungen desselben nicht in Einklang zu bringen. Die Mehrzahl der Erklärer behauptet, daß es dem Hamlet nicht an Muth, Thatkraft und Mannhaftigkeit fehle, daß er nur aus einer Fülle von Ueberlegungen nicht zur That komme. Zum Glück für jene neue Auffassung des Charakters sind die Scenen, in denen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 566. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_566.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)