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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Tisch tretend. „Sommerwiese hat vor einigen Tagen meine ganzen disponiblen Capitalien geschluckt. Nun kömmt so unvorhergesehen die Calamität in den Gruben – ich muß Geld flüssig haben und möchte doch kein Papier veräußern.... Dein Geld ist ja in meiner Hand gut aufgehoben, Therese. Es ist ja doch auch Wolfram’sches und könnte nun im großen Familienvermögen wieder mitarbeiten, wie ja Dein Alles, Deinem eigenen fest ausgesprochenen Wunsche und Willen gemäß, später einmal – hoffen wir in allerspätester Zeit – wieder zu dem Stammbesitze zurückfließen wird.“

„Ich habe noch nicht mein Testament gemacht,“ versetzte sie, ohne aufzublicken.

Er stützte die Hände auf den Tisch und sah mit höhnischer Ueberlegenheit auf das erröthende Gesicht seiner Schwester herab. War das die Frauenseele, die er bis dahin fast widerspruchslos in der Hand gehabt?

„Das weiß ich so, Therese,“ sagte er, „und es wird mir auch nie einfallen, Dich zu diesem Entschluß zu drängen, obgleich ich’s sonst mit dergleichen Schritten, die doch absolut geschehen müssen, sehr ernst nehme. Du brauchst übrigens nicht zu fürchten, daß, falls Du vor mir das Zeitliche segnen müßtest, auch nur ein Groschen in die Hand kommt, auf welcher der Mutterfluch ruht; dafür bin ich da; ich würde auch darin Deinen und meinen Willen durchzusetzen wissen, wie einst in Deiner Scheidungsangelegenheit.“

Sie hatte die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt und schwieg beharrlich.

„Sollte uns Beiden aber ein hohes Alter beschieden sein,“ fuhr er wie ablenkend fort und drehte lässig den dünnen, grauen Kinnbart zwischen den Fingern, „dann wird die Welt völlig vergessen haben, daß Du einst unseren Namen mit einem andern, unheilvollen vertauscht hattest, dann wirst Du wieder die Tochter der Wolfram’s sein, nichts Anderes, und Dein gerechtes Theil an dem Glanze haben, der vom Klostergut neu ausgeht –“

„Durch den da?“ unterbrach sie ihn schneidend und zeigte mit der ausgestreckten Hand durch das Fenster nach dem Hofe.

„Ja, durch den, durch unsern Veit,“ bestätigte er, und der Grimm begann in seinen Augen aufzufunkeln.

„Der Bursch soll aufbauen und hat doch die zerstörungswüthigste Hand, die je geboren worden ist,“ sprach sie weiter, ohne sich einschüchtern zu lassen.

„Dummes Zeug! Das ist eben Jungenart. Ich bin – wie ich denke – ein ganzer Mann geworden und hab’ der Mutter die Töpfe und Tassen heimlich zerschlagen, daß es eine Lust war, hab’ den Maikäfern die Beine ausgerissen, die Frösche bei lebendigem Leibe aufgespießt und –“

„So?“ unterbrach sie ihn. „Was Du da sagst! Wegen der vielen zerbrochenen Töpfe und Tassen sind damals die Mägde gestraft und schließlich fortgejagt worden. Du warst so gesetzt – ‚ein Mustersohn’, wie die selige Mutter immer sagte – bis auf den heutigen Tag hätte ich mir nicht träumen lassen, daß Du so ein ‚Heimlicher’ gewesen bist.“

Er zog die Brauen finster zusammen, während die Rechte der Majorin vom Tische in die Tasche glitt. Sie umschloß die kühlen Ringe der Löwenzahnstengel, und es war, als laufe diese Kette von dem Händchen aus, das sie zusammengefügt, wie ein magnetisches Band bis an das Herz der Frau, an das verstockte Herz, das viele Jahre lang gegen seine natürlichsten, weiblich weichen Regungen gekämpft hatte – und nun verschafften sie sich doch Geltung, unaufhaltsam, in ungeahnt beseligender Kraft. Jenes zärtlich streichelnde Händchen, es marterte gewiß keine Creatur, die Leben und Odem in sich hatte; in dem Kind lebten so wenig Bosheit und Heimtücke, wie in ihm, den sie einst von der heimischen Schwelle gestoßen hatte.

„Jugendstreiche, Therese, wie sie sein müssen bei einem rechtschaffenen Jungen, der gesundes Blut in den Adern hat!“ meinte der Rath. „Ich will Dir damit auch nur beweisen, daß man nach solch scheinbar schlimmen Symptomen den künftigen Mann nicht beurtheilen soll. Veit wird Dir noch Freude machen – darauf verlasse Dich! Er wird Dir ein Sohn sein, wie mir –“

Er hielt inne, denn seine Schwester streckte, ihn plötzlich unterbrechend, die Linke lebhaft gegen ihn aus.

„Ich habe einen Sohn,“ rang es sich fast wie ein Schrei von ihren Lippen.

In diesen vier Worten gipfelte und erlosch der furchtbare Kampf, der jahrelang verborgen in ihr getobt – die Flammen des Zornes waren ist sich zusammengesunken, und unversehrt, wie ein Phönix, stieg das Muttergefühl empor.

„Du hast einen Sohn? – Verzeih’, ich hatte das vergessen, oder vielmehr vergessen müssen auf Dein ausdrückliches Geheiß,“ sagte der Rath mit tödtlichem Hohn. „Es hat eine Zeit gegeben, wo ich fürchten mußte, Du würdest Dich an mir vergreifen, wenn ich auch nur den Namen des Entarteten laut werden ließe.“

Er senkte das Gesicht gegen die Brust und drehte wieder den Kinnbart zwischen den Fingern. „So, so! Nun ja, Du wirst alt, alt und mürbe, Therese. Da geht der Charakter in die Brüche, und man macht pater peccavi.... Na, sieh’ mal! Da darf man ja wohl wieder von vergangenen Zeiten sprechen? Oder besser – ich will Dir ein paar Berliner Zeitungen mit heimbringen. Da steht’s alle Tage zu lesen, daß die Frau Majorin Lucian ein berühmte Schwiegertochter hat. Aber Du kannst ruhig sein, Therese – Dein Sohn wird dabei nicht genannt. Neben solchen Theaterdamen ist der Ehegatte immer eine Null, ein Nichts, höchstens der Schatten, den die Gefeierte unvermeidlich an der Ferse nachschleppt – er ist eben der Mann seiner Frau, macht den Secretär – eine brillante Carrière, wie sie sich kaum die kühnste Phantasie einer ehrgeizigen Mutter träumen läßt – und lebt ausschließlich von den glänzenden Einnahmen, welche die Balletsprünge der Frau Gemahlin einbringen –“

„Das glaubst Du selbst nicht,“ unterbrach sie ihn entschieden, wenn auch dumpf, wie zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. Sie hatte längst ihre Arbeit weggeschoben und war aufgestanden. Wie furchtbar es in ihr stürmte, das bewies das tiefe, beklommene Athmen, das ihre Brust hob. „Er hat seine Sache gelernt – er kann sich sein Brod selbst verdienen.“

Der Rath lachte rauh auf. „Du meinst, er mache seine Carrière als Jurist, wie Frau Gemahlin als Tänzerin, das heißt, durch Gastiren in allen europäischen Städten?“

Es ging plötzlich wie ein Aufleuchten über ihr Gesicht. „Weißt Du so gewiß, daß er bei ihr ist?“

Der Rath hatte die Hände auf dem Rücken gefaltet; er trat in das Fenster und sah angelegentlich nach allen Himmelsrichtungen, als prüfe er den Stand des Wetters. Es kann auch der brutalsten Denkweise passiren, daß sie einen Augenblick zaudert, eine eclatante Lüge über einen Todten auszusprechen. Jetzt zuckte er die Achseln. „Ich muß Dir gestehen,“ sagte er noch abgewendet, „daß mir das bisher sehr gleichgültig gewesen ist. Es ist mir nicht eingefallen, auch nur im Geringsten nachzuforschen – eine so abgethane Sache, wie die Verstoßung eines mißrathenen Familiengliedes, rührt man nicht wieder auf. Es scheint mir übrigens, als hofftest Du, in Folge besserer Einsicht auf der einen Seite sei jene verhaßte Ehe gelöst worden – liebe Therese, nicht in jeder Menschenseele wohnt die Kraft, die Gemüthsruhe, mit der Du einst ein unliebsames Joch abgeschüttelt und Deinem Manne den Laufpaß gegeben hast.“

Sie ballte die Hände und drückte sie krampfhaft gegen die Brust, während sie das Gesicht langsam dem Sprechenden zuwandte. Er folterte sie Glied um Glied.

„Ich muß Dich daran erinnern,“ sagte er, indem er wieder auf sie zukam, „daß Du nach Männerart stets lieber sofort einen verhaßten Knoten durchschnitten, als Dich unter seinen Druck gebeugt hast. Solch ein zerhauener Knoten aber läßt sich nie und nimmer wieder zusammenflicken, es sei denn, daß man sich vor Gott und aller Welt unsterblich blamiren will – und davon wird das derzeitige Haupt des Wolfram’schen Hauses eines seiner Familienglieder ganz sicher zurückzuhalten wissen. Das kommt in erster Linie; in zweiter erinnere ich Dich an Deinen eigenen Ausspruch, der kurz und bündig besagt, daß Dein Vermögen Pfennig um Pfennig, Groschen um Groschen, von unseren braven Vorvätern aufgesammelt worden und Du niemals gewillt seiest, dieses Geld in einer liederlichen Theatergesellschaft verprassen zu lassen. Hast Du Deine Ansicht darüber geändert – gut – ich nicht!“ – Er schlug mit seinen harten Knöcheln auf den Tisch. – „Jetzt stehe ich vor diesem Erbe und reclamire es für Diejenigen, die gegenwärtig den Namen Wolfram tragen, sowie für die, welche ihn in später Zukunft führen werden.“

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