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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 34. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


Der Rath war bereits zu Hause. Er stand am Fenster der Eßstube und hatte den zerknitterten Filzhut mit der breiten Krempe noch auf dem Kopfe. Die Majorin hatte ihn schon vor Vollzug ihres Strafactes an dem wilden Veit bemerkt, und gerade weil er nicht die geringste Miene machte, die Mißhandlung der Magd auch nur mit einer Silbe zu rügen, hatte sie die Bestrafung des Missethäters übernommen.

Sie ging in die Küche, nahm einen Korb voll frischgepflückter Johannisbeeren aus einem Schranke und trug ihn in das Eßzimmer, um dort die Beeren zum Einmachen vorzurichten. Ihr Gesicht war wie immer so starr und verschlossen, als sei heute auch noch nicht der mindeste Abglanz einer Gemüthsbewegung darüber hingegangen.

Der Rath lehnte mit verschränkten Armen an der Fensterbrüstung, als seine Schwester eintrat. Er hatte den Hut auf den Nähtisch geworfen, und das grünliche Licht, das durch die Ulme hereinfiel, ließ die reichen Silberfäden in seinem immer noch dichten Haar aufflimmern. Nach kurzem Schweigen trat er vom Fenster weg und begann, in der Stube auf- und abzugehen.

„Du bist in der letzten Zeit so wortkarg, ja, so stumm gewesen, Therese, daß ich nicht einmal weiß, ob Dir das drohende Unheil in meinen Kohlengruben zu Ohren gekommen ist.“

„Das Gesinde spricht den ganzen Tag davon,“ antwortete sie und streifte die Beeren von den Stengeln.

„Und ficht Dich das gar nicht an? Ist Dir das Wohl und Wehe der Wolfram’s gleichgültig geworden?“ fuhr er auf.

„Um das Wohl und Wehe der Wolfram’s habe ich mich längst nicht mehr zu kümmern,“ versetzte sie, ohne aufzublicken. „Du erziehst den Einzigen, der es dermaleinst in der Hand halten wird, nach eigenem Ermessen, nach Deinen Principien, ohne auf mich zu hören; ich habe den Besitz der Wolfram’s nun seit langen Jahren durch unverdrossene Arbeit und gewissenhaftes Sparen vermehren geholfen – das Zeugniß darf ich mir geben.... Es macht mir Freude, ein Familienvermögen anwachsen zu sehen, aber es darf sich nur auf ehrliche Weise mehren, durch stäte und beharrliche Arbeit, wie sie bei unsern Vätern Gebrauch war – nicht um eines Haares Breite anders! Du aber bist ein Moderner geworden. Du möchtest das Geld in jagender Eile scheffelweise einsäckeln, willst aber nichts ausgeben, um den Boden unter Deinen Füßen zuerst zu sichern, und das ist das drohende Unheil in Deinen Gruben – Du hast es selbst verschuldet.“

„Davon verstehst Du nichts,“ fuhr er sie an.

„Mag sein – ist auch nicht meine Sache,“ versetzte sie ebenso gleichmütig wie vorher, nur daß sie jetzt den Blick, in welchem sich eine gewisse Unruhe spiegelte, rasch von der Arbeit hob. „Ich weiß nur, daß ich die ganzen Jahre her gewünscht habe, die Kohlen lägen in guter Ruh’, bis an den jüngsten Tag, unter der Erde und es wüßte kein Mensch d’rum. Seit Du den Boden da draußen hast aufreißen lassen, ist’s auf dem Klostergute nicht mehr, wie es sein sollte.... Ach ja“ – ein unwillkürliches Seufzen hob ihre Brust – „viel, viel reicher sind die Wolfram’s ja geworden – das ist wahr, aber der Erwerb ist mir so unheimlich, so fremd, und ich meine, es hinge ihm Unsegen an, wie unrechtem Gut, weil sich ein unglücklicher Mensch um deswillen den Tod gegeben hat.“

Der Rath war, die Hände auf dem Rücken, immer noch auf- und abgegangen. Bei den letzten Worten blieb er stehen, gleichsam festgebannt, wie man entsetzt und versteinert vor einer Erscheinung verharrt, die unvorhergesehen gespenstig aus dem Boden steigt – dann brach er in ein Hohngelächter aus.

„Bist ja wirklich mit den Jahren stark in der Logik geworden, wie die alten Weiber im Spittel,“ sagte er in seinem beißendsten Tone. „Also weil ein verrückter Bedienter von seinem ebenso hirnverbrannten Herrn fortgejagt worden ist, klebt Unsegen an meinem Unternehmen?“ – Er lachte abermals gezwungen auf. „Ei nun ja – einen solchen Unsegen lasse ich mir schon gefallen.... Wenn der alte Klaus Wolfram, der Tüchtigste unter unseren Vätern, wiederkommen könnte, der würde wohl große Augen machen, daß die Wolfram’s jetzt auf Sommerwiese, dem größten Rittergute im ganzen Lande, sitzen.“

Er trat an das Fenster und spielte unhörbar mit den Fingerspitzen auf den Scheiben. Einen Augenblick war es so still in der Stube, daß man das Summen der über dem Eßtische kreisenden Fliegen hören konnte.

Der Rath blickte verstohlen über die Schulter zurück. Seine letzte Bemerkung war sichtlich eindruckslos abgeglitten – das schöne Matronengesicht mit den gesenkten Augen behauptete seine gewohnte Starrheit, und die rothen Beeren rollten in gleichmäßiger Wiederholung in die Porcellanschüssel.

„Du hast gestern Dein Darlehen von zehntausend Thalern aus der Ziegler’schen Erbschaftsmasse zurückerhalten?“ fragte er plötzlich. „Wie gedenkst Du es wieder anzulegen?“

„Ich weiß es noch nicht.“

„Gieb mir das Geld, Therese!“ sagte er, rasch an den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 561. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_561.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)