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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Verunglückten zugeworfen, und es gelingt ihm, eine derselben zu erhaschen. Indessen hat sich das Schiff, dessen Lauf nicht auf einen Ruck gehemmt werden kann, bereits eine gute Strecke entfernt; es muß daher ein Boot ausgesetzt werden. Geschieht dies bei hohem Seegange, so werden mehrere Menschenleben an die Erhaltung des einen gesetzt. Sind aber die Insassen des Bootes mit Schwimmgürteln ausgerüstet, so kann der Schiffsführer mit größter Ruhe das rettende Boot abstoßen sehen.

Am sichersten vielleicht bringt der Schwimmgürtel Denen Rettung, welche sich an Bord eines gestrandeten Fahrzeugs befinden. Wenn die Wogen über das Deck des Schiffes schlagen und die Schiffbrüchigen über Bord werfen, so können diese, falls sie einen Schwimmgürtel besitzen, sehr leicht das Ufer erreichen. Auch in den Fällen, wo ein Wrack bei der Küste liegt und das Rettungsboot sich demselben, ohne Gefahr zu zerschellen, nicht zu nähern vermag, wird es den auf dem Wrack Befindlichen leicht werden, schwimmend das Boot zu erreichen, wenn sie einen Korkgürtel angelegt haben.

Es entsteht nun, nachdem die Nothwendigkeit der Schwimmgürtel genügend nachgewiesen worden ist, die Frage, welche Gürtel die empfehlenswerthesten sind. Die Commission des deutschen „Nautischen Vereins“, welche über diese Frage zu entscheiden berufen war, schloß sofort alle Guttapercha-Apparate von der Concurrenz aus und zwar erstens, weil das Aufblasen derselben zu viel Zeit erfordert, und zweitens, weil eine Reparatur derselben an Bord des Schiffes unmöglich ist. Ferner fanden die mit Oeltuch oder Leinwand überzogenen Gürtel keine Berücksichtigung, weil man die Güte des Materials hier nicht zu untersuchen vermag und weil der Ueberzug beim Verlassen des Schiffes leicht festhaken kann.

Es bleiben also nur die Korkgürtel oder Korkjacken übrig, an welche die Commission folgende Anforderungen stellte: erstens genügende Tragfähigkeit. Man glaubte früher, daß die Tragfähigkeit eines Rettungsgürtels nur zehn Pfund betragen müsse, um einen Menschen über Wasser zu halten. Dies war zu niedrig gegriffen. Die im Bassin angestellten Proben, bei denen sich ein in der gewöhnlichen Seemannstracht befindlicher Mann des Rettungsgürtels bediente, ergaben, daß nur die Gürtel, welche im Wasser etwa zwanzig Pfund Eisen zu tragen vermochten, im Stande waren, den Mann im Bassin so zu halten, daß seine Schultern etwas über die Oberfläche des Wassers traten.

In zweiter Linie kommt die Möglichkeit in Betracht, den Gürtel schnell und bequem anlegen zu können. Im Augenblicke der Gefahr hat sich der Passagiere eines Schiffes in der Regel eine so große Aufregung bemächtigt, daß dieselben die einfachsten Dinge verkehrt anfassen. Ist daher die Construction eines Schwimmgürtels eine sehr complicirte, so wird sich der geängstigte Passagier so leicht nicht zurechtfinden. Die mittlere Zeit, in der ein besonnener Mann einen einfach construirten Gürtel anzulegen vermag, beträgt zwanzig Secunden.

Als das geeignetste Material für den Schwimmgürtel hat sich guter, möglichst leichter Kork erwiesen, der auch allen Anforderungen betreffs der Dauerhaftigkeit entspricht.

Endlich wurde noch die Preisfrage in Betracht gezogen, weil aus der Massenanschaffung den Rhedern eine ganz respectable Ausgabe erwächst. Die Commission glaubte annehmen zu dürfen, daß für den Preis von acht Mark ein zweckmäßiger und guter Korkgürtel herzustellen sei.

Die Korkgürtel, welche die Commission nach eingehender Prüfung einer Empfehlung für würdig erachtete, gehörten den Herren Heinrich Meyer in Bremen, Wehmann in Vegesack und Birth in London. Auch die Schwimmweste des Herrn Arp in Kiel wurde der Empfehlung für würdig erachtet, falls dieser Fabrikant durch eine Vergrößerung der Korkblöcke die Tragfähigkeit noch um drei Pfund erhöht.

Die auserwählten Schwimmgürtel sind alle von höchst einfacher Structur. Sie bestehen aus einem etwa einen Meter breiten Leinwandgürtel, der mit schmalen Korkblöcken reihenweise so besetzt ist, daß der Gürtel leicht beweglich bleibt. Alle diese Gürtel sind hinten offen und müssen dort mit Hülfe zweier starker Bänder, die man vorne verknüpft, verschlossen werden. Die stärksten Korkblöcke befinden sich vorn auf der Brust und zwar aus folgender Rücksicht. Der Schwimmgürtel bewirkt, daß der Schiffbrüchige, welcher ihn angelegt hat, im Stadium der Ruhe aufrecht im Wasser steht; tritt nun bei demselben Bewußtlosigkeit oder Uebermüdung ein, so würde er, wenn der Gürtel vorn offen wäre, vornüberfallen und bald so viel Wasser schlucken, daß der Tod erfolgte. Dadurch, daß der Gürtel vorn geschlossen und stark bewehrt ist, glaubt man einem Vornüberkippen des Oberkörpers vorbeugen zu können. Zur Befestigung des Gürtels dienen außer den an den hinteren Enden befindlichen starken Bändern, welche man vorn zuknöpft, noch zwei Tragbänder an der obern Seite des Gürtels, durch welche man Kopf und Arme steckt. Liegt der Gürtel fest an, so gleicht er – von den Korkblöcken abgesehen – einem Leibchen, wie es kleine Mädchen tragen. Die Korkwesten unterscheiden sich von den Gürteln nur dadurch, daß sie Armlöcher haben und an der Brust höher hinaufreichen.

Der einfachst construirte Korkgürtel hat somit das Feld behauptet; wer die See befährt, achte ihn höher als der Soldat seine Waffe, denn wenn das Schiff auf hoher See sinkt und die Rettungsboote nicht zur Hand oder überfüllt sind, ist der Schwimmgürtel das letzte Fahrzeug des Schiffbrüchigen.




Wanderburschen-Elend. Vor einiger Zeit fand man in verschiedenen Zeitungen die beunruhigende Nachricht, daß in einigen Gegenden Deutschlands in Folge der andauernden Noth und Arbeitslosigkeit unter den wandernden Handwerksburschen und Fabrikarbeitern die sogenannte „Bettlerpest“ ausgebrochen sei. Es ist diese direct durch ungenügende Ernährung, übermäßigen Schnapsgenuß und häufiges Schlafen im Freien bei großen Marschstrapazen veranlaßte ansteckende Krankheit (richtiger Hungertyphus genannt) vielfach in Krankenhäusern constatirt worden, und durch den Gumprecht’schen Aufsatz in unserer Nr. 24 wurde bereits die Aufmerksamkeit größerer Kreise auf diese immerhin bedenkliche Erscheinung gelenkt. Der Zweck des vorliegenden Artikels ist, einige wohlgemeinte Vorschläge zur Besserung dieses socialen Uebels zu machen.

Es existiren im Deutschen Reiche bereits eine große Anzahl von Vereinen zur Verhütung der Hausbettelei (Berlin, Breslau, Leipzig, München, Hannover, Stuttgart, Darmstadt, Göttingen, Osnabrück etc., die zum Theil auch noch weitergehende Wohlthätigkeitszwecke verfolgen), welche das Aufhören des für die Angesprochenen höchst lästigen, für die Ansprechenden aber demoralisirenden Bettelns der arbeitslosen oder arbeitsunlustigen Wanderburschen anstreben und den Betreffenden zum Ersatz dafür an den errichteten Unterstützungsstellen größtentheils Geldgeschenke verabreichen.

Wenn nun alle diese Vereine, deren von den Regierungen und Behörden befürwortete allgemeine Einführung dringend anzurathen ist, nach dem Beispiele des neubegründeten Vereins in Hannover, statt des Geldes nur Marken vertheilten, für welche die Leute warmes Essen, eventuell Nachtlager mit Morgenimbiß in bestimmten, streng controlirten Herbergen erhalten, so dürfte Folgendes erreicht werden:

a) die Wanderburschen bekämen häufiger etwas Warmes zu essen und ordentliche Nachtquartiere;
b) sie würden weniger Geld zum Ankaufe von Spirituosen übrig behalten und seltener Gelegenheit haben, in schlechte Gesellschaft zu gerathen;
c) durch die Entziehung der baaren Geldunterstützungen würde das Vagabondenleben mit der Zeit für die Meisten den Reiz verlieren.

Allerdings ist hierbei vorausgesetzt, daß die Mitglieder der genannten Vereine den eingegangenen Verpflichtungen streng nachkommen und fremde Bettler consequent abweisen. Ein sehr praktisches, hier und da von Behörden und Vereinen (z. B. in Weimar) mit Erfolg eingeschlagenes Verfahren, arbeitsscheue Subjecte zu bessern, besteht darin, daß dieselben eine bestimmte Arbeit, Holzhacken etc. verrichten müssen, bevor sie das übliche Geschenk erhalten. Einige Vereine haben mit dem Unterstützungs- ein Arbeitsnachweisungsbureau verbunden, welche Einrichtung namentlich für größere Städte zur Nachahmung empfohlen werden darf.

Wenn solche Vereine mit Erfolg wirken wollen, so ist es in erster Linie nöthig, daß sich dieselben mit den Armenbehörden, Innungen und sonstigen Unterstützungsstellen der betreffenden Plätze in Verbindung setzen; auch würde es von großem Nutzen sein, wenn eine Vereinigung sämmtlicher im Reichsgebiete bestehender Vereine zu gemeinsamem Wirken und einem organisirten energischen Kampfe gegen die gemeinschädliche Bettelei und das Vagabondenthum, sowie zur kräftigen Steuerung wirklicher Noth, zu Stande käme.

Um die hierzu nöthigen Schritte einleiten zu können, werden hierdurch zunächst alle desfallsigen Vereinspräsidenten gebeten, ihre Adressen an den Kaufmann Gustav Effenberger in Hannover, der dem Vorstande des dortigen Vereins angehört, einzusenden und die eventuellen Statuten, Geschäftsordnungen etc., sowie eine Notiz über die derzeitige Mitgliederzahl ihrer Vereine freundlichst beizufügen. Der Genannte ist auch gern bereit, die Beantwortung etwaiger Anfragen betreffs der Gründung und Organisation solcher Vereine zu vermitteln.




Alpenfreunden und besonders den Alpenvereinen ist aus einem beklagenswerthen Verlust eine traurige Pflicht erwachsen. Von allen Führern im baierischen Hochgebirge wurden als die kühnsten und verlässigsten die beiden Brüder Koser in Garmisch gepriesen. Hunderte von Bergsteigern hatten sie vor Gefahren bewahrt, sie sicher zum Genuß der Riesenbilder der Alpenwelt emporgeführt und glücklich wieder zu Thal gebracht. Nun lebt nur noch einer von ihnen. Joseph Koser hat am 23. Juli bei einer Besteigung der Zugspitze den Tod in seinem Berufe gefunden. Der treue Freund der Familie Koser, der Maler und Director der Partenkirchner Kunstschnitzschule Michael Sachs, schreibt uns darüber: „In dem sogenannten ‚Kamin’, einer der gefährlichsten Stellen dieser Tour, verlor eine Dame aus Magdeburg den Halt; Koser suchte sie zu stützen, wurde dabei niedergerissen und stürzte über 800 Fuß tief auf den Rand des Plattachferners. Dort starb er, nach vierthalbstündigem Leiden, in den Armen seines Bruders. Er war ein Mann wie von Stahl und Eisen, in seinem schweren Berufe voll Muth und Treue und ein Mensch von liebenswürdigstem Wesen.“ Nun steht das Haus des einst so vielgesuchten Mannes in Jammer; die Wittwe und fünf Kinder haben den Ernährer verloren. Bei einem früheren Führer-Mißgeschick wurde uns mitgetheilt, daß es im Plane der Alpenvereine liege, eine Unterstützungscasse für verunglückte Alpenführer und deren Hinterbliebene zu stiften. Sollte dieser Plan noch unausgeführt sein, so dient vielleicht dieser neue Trauerfall zur Beschleunigung der Ausführung. Jedenfalls werden Alpenfreunde und Alpenvereine den Maler Herrn Michael Sachs in Partenkirchen gern in den Stand setzen, Seppel Koser’s Familie vor Noth zu bewahren.




Zur Beachtung. Aus Berlin werden wir telegraphisch benachrichtigt, daß unser allgeschätzter Mitarbeiter Franz Mehring in Folge eines Rückfalles in ein kaum überwundenes schweres Nervenleiden an der Fortsetzung seiner Artikelreihe „Zur Geschichte der Socialdemokratie“ (Nr. 17, 21 und 25) leider einstweilen verhindert ist. Möge der geistvolle und kenntnißreiche Autor, glücklich genesend, bald in der Lage sein, die mit so vielem Beifall aufgenommenen Beleuchtungen der modernen Socialdemokratie zu Ende zu führen! Für die nächsten Wochen werden wir freilich leider außer Stande sein, den Faden jener unterbrochenen Artikelreihe wieder anzuknüpfen und so die Ungeduld unserer Leser zu stillen.

D. Red.



Verantwortlicher Redacteur Dr. Ernst Ziel in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.

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