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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

drüben wird sie schützen wie ein Mann und lieben, wie nur ein weibliches Herz zu lieben vermag – sobald der letzte Damm durchbrochen ist.... Sie bestätigen meine innere Verwandtschaft zu ihr – nun wohl, dann muß ich auch ihrem Fühlen nachspüren können. Und so weiß ich, daß die Triebkraft der Reue, das heiße Verlangen, zu sühnen, die spröde Knospenhülle sprengen, die Flamme nach außen treiben wird. Diese neidisch verhaltene Liebe mag dann wohl von ganz anders concentrirter Kraft sein, als die zahme Hingebung einer sanften Frauennatur, die für alle Welt ein freundliches, aber kühles Mondlicht auf den Weg breitet.... Unter der Hut dieser Großmutter lasse ich die Kinder getrost zurück.“

„Sie wollen die Kinder verlassen?“ fragte er plötzlich.

„Ja, um mich daheim zu amüsiren,“ versetzte sie mit scharfem Spott. „Oder hab’ ich das nicht redlich verdient durch meinen Aufenthalt in Deutschland?“

„Gewiß, Sie haben Recht,“ sagte er, indem ihm das Blut in’s Gesicht schoß, „wenn Sie dieses Martyrthum so sehr wie möglich abkürzen, und ich bin gewiß der Letzte, der Ihnen zumuthet, auch nur eine Stunde länger zu bleiben, als absolut nöthig ist. – Vorerst müssen wir freilich abwarten, ob sich die sanguinische Hoffnung auf die Umkehr der alten Frau in der That verwirklicht.“

Donna Mercedes fühlte plötzlich den festen Boden ihres Selbstbewußtseins, ihrer stolzen Sicherheit unter den Füßen weichen. Es hatte eine Zeit gegeben, wo ihr Alle versichert, es dunkle, wenn sie gehe. War aller Glanz von ihr gewichen? War ihr nichts, gar nichts verblieben von dem Zauber der Jugend, des Esprit, der Schönheit, den man – ihr selbst oft zum Ekel und Ueberdruß – in allen Zungen gepriesen, oder glitt er so völlig wirkungslos ab von dem deutschen Gemüth, daß ihr Kommen und Gehen absolut keine Spur hinterließ?

Der große Promenadenfächer, den sie in der Hand hielt, wurde geräuschvoll zusammengefaltet – sie wiegte ihn zwischen den Fingern wie eine schwanke Reitgerte. Diese Bewegung, im Verein mit dem schlimmen Lächeln der Erbitterung und den gereizt sprühenden Augen in dem fremdartig schönen Gesicht, konnte recht wohl an den Ausspruch der Baronin erinnern, daß diese Sclavengebieterin vor der eigenhändigen Züchtigung Straffälliger nicht zurückscheue.

Sein Blick ruhte durchdringend auf ihr.

„Aber auch dieses fernere Opfer könnte Ihnen erspart werden,“ fuhr er wie nach augenblicklicher Ueberlegung fort, „wenn Sie sich dazu verstehen wollten, die weitere Entwickelung einzig und allein in meiner Hand zurückzulassen –“

„Das heißt mit anderen Worten, meine Begleitung sei überhaupt eine überflüssige gewesen,“ fiel sie rasch, mit bewegter Stimme ein; „der Schillingshof vermöge den kleinen Lucian’s den Schutz des Vaterhauses, die treue, väterliche Fürsorge im vollsten Umfang zu bieten – ganz richtig, mein Herr, aber die weibliche Zärtlichkeit nicht, die ein Kind zum Gedeihen braucht, wie den Sonnenschein. . . . Und da oben“ – sie zeigte mit dem Fächer nach dem Obergeschoß des Säulenhauses – „lebt eine Frau, Ihre Frau, Baron Schilling, die sich vor dem verpestenden Kinderodem hermetisch einschließt, die den Blick beleidigt wegwendet, sobald solch ein kleines Gesicht hinter den Scheiben auftaucht, die –“

„Sind Sie gekränkt worden?“ brauste er auf.

„Glauben Sie, ich lasse eine Beleidigung an mich herankommen?“ fragte sie mit stolz verächtlicher Ueberlegenheit zurück. „Ich will damit auch gar keinen Vorwurf erheben – wer mag es der Frau verdenken, wenn ihr der Kinderlärm in ihrem stillen Hause nicht wünschenswerth ist? Die Zurechtweisung gilt Ihnen, der Sie eine Last von Widerwärtigkeiten und schwerer Verantwortung so unbedenklich auf die Schultern nehmen wollen –“

„Das wäre meine Sache,“ unterbrach er sie kalt und bestimmt. „Uebrigens entsprang mein Vorschlag, wie Sie wissen, nicht der Selbstüberschätzung, sondern lediglich dem Wunsche, Ihnen das Verlassen des verhaßten deutschen Bodens rasch und sorglos zu ermöglichen. Felix hat zu viel von Ihnen gefordert. Ihr Hiersein, Ihr Ausharren in diesem stillen Erdenwinkel mag Ihnen wohl gleichbedeutend sein mit geistigem Verkommen – es ist ein unerhörter Raub an Ihrer kostbaren Jugendzeit. Sie sind gewohnt, Triumphe zu feiern, bewundernden Blicken zu begegnen, wohin Ihre stolzen Augen sehen – Sie sind gewohnt, inmitten einer tropisch üppigen Vegetation Tage des Ueberflusses hinzuleben, wo tropische Leidenschaft Ihre Schönheit umwirbt – das Alles kann Ihnen Deutschland mit seinem blassen Himmel, seinen ‚fischblütigen’ Menschen nicht geben. Dort finden Sie –“

„Ja, dort suche und finde ich – vier Gräber,“ fiel sie mit tonloser Stimme ein, und ein starrer, thränenfunkelnder Blick voll zürnenden Vorwurfs traf seine Augen.

Sie wandte sich mit einer raschen Bewegung von ihm weg, und das Gesicht mit dem Fächer bedeckend, ging sie beschleunigten Schrittes nach dem Säulenhause.




30.

Auf dem Klostergute herrschte eine schwüle Stimmung. Das Gesinde drückte sich scheu in die Ecken, wenn der Schritt des Rathes laut wurde; es horchte ängstlich auf seine barsche Stimme, die so mißtönend und grillig war und den ganzen Tag schalt.

Er hatte seine Sorgen. In dem Kohlenbergwerke schossen plötzlich aus schmalen Ritzen und Klüften dünne, aber kräftig vorgetriebene Brünnlein, die ihm und den Grubenleuten nicht gefielen. Das ganze Gebiet des sogenannten kleinen Thales, unter welchem sich die Kohlengruben hinzogen, war ein quellenreiches; kleine, kühle Bäche rauschten durch den Grund, und am Thaleingange breiteten sich mächtige Teichspiegel hin. Es war von Anfang an viel darüber gemunkelt worden, daß sich bei diesem Unternehmen die Gewinnsucht des Rathes in sündlicher Weise geltend mache; die Sicherheitsvorrichtungen seien äußerst mangelhaft, und in den Gruben werde der abscheulichste Raubbau getrieben.

Um das Stadtgespräch kümmerte sich der Rath nicht. Er scharrte mit immer heißerer Gier die Reichthümer zusammen, die ihm die Gruben in den Schooß warfen, und beschnitt die Betriebskosten, wo er konnte. Da tauchte plötzlich das Gespenst in der Tiefe auf, der unheimliche Feind, der die Wasserstrahlen wie dünne, weißliche Schwerter aus den Wänden trieb. Es stellte sich immer dringender heraus, daß mit großen Kosten verknüpfte Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden müßten, um eine greifbare Gefahr abzuwenden, und das war’s, was den Rath so finster-brütend, so tief innerlich ergrimmt umhergehen machte.

Die Majorin schien dies nicht zu berühren. Sie hatte nie viel Worte gemacht; das wußte das Gesinde gar nicht anders, auch war ja das überflüssige, zeitraubende Sprechen überhaupt verpönt auf dem Klostergute. Aber die Leute wunderten sich doch, daß zwischen dem Herrn und seiner Schwester kaum noch der Morgen- und Abendgruß gewechselt wurde. Und mochte der Rath noch so verstimmt heimkommen und mit seinem finstersten Tyrannengesicht durch die Küche nach dem Eßzimmer schreiten, die Majorin fragte nicht; sie trug pünktlich das Essen hinein, nahm die Küchenschürze ab und setzte sich an den Tisch. Aber nur Veit führte das Wort – die beiden Anderen schwiegen.

Dagegen trat eine neue Gewohnheit der Majorin immer mehr in den Vordergrund; jeden freien Augenblick, den sie den Hausgeschäften abstehlen konnte, brachte sie im Garten zu. Sie hatte zwar dort auch ihre Beschäftigung, das Abpflücken der Erbsen und Bohnen, das Begießen der Gemüsebeete und des bleichenden Leinens. Aber die Mägde kicherten und meinten, die Leinwand würde niemals trocken – so oft rauschte die Gießkanne darüber hin, und in der heißen Nachmittagssonne begieße doch kein vernünftiger Mensch das junge Gemüse. Es fiel ihnen auch auf, daß „die Frau“ so oft auf der Gartenbank stehe und über des Nachbars Zaun gucke – das war auch eine neue Mode und zu verwunderlich an der „Aparten und Stolzen“, die sonst keinem Menschen einen Blick gönnte und immer that, als mache sie sich aus der ganzen Welt nichts.... Lächerlich! Auf die Bank zu steigen, um immer wieder die dicke, watschelnde „Mohrin“ anzusehen denn nach dem kleinen Mädchen, das die Schwarze zu behüten hatte, guckte sie doch nicht?

Heute war es den ganzen Tag über mit dem Rate kaum auszuhalten gewesen. Einer der Knechte, der die Kohlenfuhren nach der Bahn zu besorgen hatte, erzählte, „der Herr“ sei nun doch gezwungen, der dummen Wassergeschichte wegen „gelehrte“ Leute aus weiter Ferne kommen zu lassen – und das koste ein Heidengeld.

Bald nach dem Mittagessen war der Rat wieder nach dem

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 546. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_546.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)