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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Willen, die Unfrieden und Hader in unsere Ehe getragen hat.“ Er zeigte auf die Stiftsdame, die mit untergeschlagenen Armen, die Lippen festgeschlossen und kühne Herausforderung auf der Stirn, unverwandt die Augen auf ihn gerichtet hielt. „Sie mag es widerlegen, wenn ich Dich beschuldige, den Namen Deines Mannes fort und fort durch gehässige Anklagen und Mittheilungen verunglimpft zu haben.“

„Sind Sie so fehl- und sündenlos, daß Sie über jeder Anklage zu stehen vermeinen?“ fragte die Stiftsdame nach einem augenblicklichen Zögern.

Der Schatten eines verächtlichen Lächelns glitt über sein Gesicht.

„Das sprach die Diplomatin, der gutgeschulte Klostersendbote,“ sagte er. „Ich bin nicht fehl- und sündenlos; die Schilling’s sind gesunde Erdgeborene – und ich kann das Blut meiner Vorfahren nicht verleugnen. Sie waren sammt und sonders keine lammfrommen, unterwürfigen Ehemänner; ich glaube nicht, daß wir auch nur einen einzigen Pantoffelhelden zu verzeichnen haben. Diese Unlenksamkeit mag mancher Schilling’schen Ehefrau ein Dorn im Auge, ein Stein im Wege gewesen sein, allein die Annalen unseres Hauses nennen nicht eine Treulose, die durch bösartigen Klatsch hinter dem Rücken ihres Mannes seine Ehre angegriffen hätte.“

Er ging nach der Thür, durch welche er vorhin in das Atelier zurückgekehrt war, und öffnete sie weit; dann verbeugte er sich leicht gegen die Stiftsdame und schritt nach der Wendeltreppe, um sich in das obere Gelaß zurückzuziehen.

„Du weisest Adelheid aus unserem Hause?“ rief die Baronin wie außer sich.

Er blieb, die Hand auf das Geländer gelegt, an der untersten Stufe stehen und wandte das Gesicht zurück.

„Ich glaube das nicht zum ersten Mal zu thun,“ sagte er mit großer Ruhe. „Allein Fräulein von Riedt verfolgt ‚höhere Ziele’, die ihr verbieten, höflich angedeutete Wünsche zu verstehen und die Stimme des eigenen weiblichen Zartgefühls zu beachten. Jeder andere Mann würde nach so vielen mißglückten gütlichen Versuchen, einen unheilstiftenden, bösen Geist aus seiner unmittelbaren Nähe zu entfernen, von dem ihm zustehenden Recht als Hausherr energischen Gebrauch machen – das widerstrebt mir. Ich muß mich darauf beschränken, gegen jedes fernere Betreten meines Ateliers Protest einzulegen und mich hier zu isoliren – ich werde das Säulenhaus nicht mehr betreten, so lange Du Besuch hast.“

Festen Schrittes stieg er die Treppe hinauf und verschwand hinter der Gardine; man hörte, wie er auch die Thür kräftig hinter sich zudrückte.

Die Baronin starrte ihm nach, als erwarte sie, ihn jeden Augenblick reuig wieder hervortreten zu sehen – plötzlich nahm sie ihre Schleppe auf und eilte nach der Treppe, aber schon stand Fräulein von Riedt neben ihr – sie war dahingerauscht wie ein Dämon, der seine schwarzen Fittige über eine ihm verfallene Seele breitet. Sie sprach kein Wort; mit raschem Griff nahm sie die Hand, die eben das Geländer umfaßte, und zog sie herab. Und in dieser Berührung mußte eine seltsame Kraft, eine Uebergewalt liegen; denn die Frau mit dem eigensinnigen Gesicht, das jetzt in die dunkle Röthe aufgestürmter Leidenschaft getaucht war, zog den Fuß zurück, den sie bereits auf die untere Stufe gesetzt hatte – freilich unter allen Zeichen des Widerspruches und mit einem Ausdruck, als kämpfe sie Thränen des Zornes, der inneren Wuth nieder. Aber sie ging mit – sie rang ihre Hand ungeduldig los und schritt nach der offenen Thür.

„Da hinaus gehen wir nicht,“ erklärte Fräulein von Riedt fest, und der schneidende Hohn in ihrer Stimme besagte, daß sie durchaus nicht gewillt sei, den Weg zu betreten, auf den „der Hausherr“ sie gewiesen. „Schließe die Thür des Glashauses auf – der Schlüssel muß ohnehin wieder an Ort und Stelle!“

Sie traten in den Wintergarten, und die Baronin zog den Schlüssel aus der Tasche. Donna Mercedes hörte ihr tiefes Athmen – es kam aus einer vor Aufregung keuchenden Brust. „Reise ab, Adelheid!“ preßte sie flehend hervor.

„Ich bleibe!“ entgegnete die Stiftsdame kalt. „Der Erbärmliche soll mich nicht um eine Linie breit von meinem Weg ablenken. Mehr als je habe ich an meiner Aufgabe festzuhalten, da es ein so jämmerlich schwankendes Rohr ist, das ich stützen muß. Du hast unzählige Mal versprochen, Dich aus den entwürdigenden Banden zu retten. Sobald Du unter uns bist, geberdest Du Dich, als sei Dir alle sinnliche Leidenschaft tief verhaßt; Du spielst mit Vorliebe die Heilige. Und die treuen Führerinnen unserer Jugend glauben auch steif und fest, daß in Deine Seele nie ein unreiner Wunsch gekommen, daß Du einfach das bethörte Opfer des speculativen alten Freiherrn geworden seiest – sie hast Du zu überzeugen gewußt, mich aber nicht, mich niemals! Und wenn sie Alle denken, Schilling klammere sich an Deinen Reichthum, er verhindere immer wieder Deine endliche Rückkehr in den Orden, dessen Eigenthum Du eigentlich bist, so weiß ich am besten, daß Du nicht willst, daß sich Deine sündhafte Neigung an jedem Strohhalm festhält, den Dir die trügerische Hoffnung hinwirft. Aber unser Pact, nach welchem Du gelobt, mit mir zu gehen, sobald Schilling selbst all und jede Liebe für Dich leugnet, dieser Pact hat sich eben erfüllt – aus jedem Wort, aus jeder seiner Geberden sprach der entschiedenste Widerwille, sprachen Haß und Verachtung – er hat Dich nie geliebt – nie!“

Die Stiftsdame hatte während dieser ganzen Strafrede die Frau an ihrer Seite festgehalten. Die kräftig geformten, schönen, weißen Hände, die das hagere Gelenk und den Arm der Baronin umspannten, mußten wie Eisenstangen fesseln – wie hätte sonst die Frau der schonungslosen Bloßlegung ihrer verheimlichten Neigungen und Triebfedern gegenüber ausgeharrt?... Aber nun, bei den letzten Worten der Stiftsdame gelang es ihr, sich loszureißen – die Glasthür flog auf, und die Baronin eilte wie gejagt nach der Platanenallee, während ihr Fräulein von Riedt in unerschütterter Haltung und Ruhe folgte.




29.

Der Weg war frei. Tiefathmend, mit heftig pochendem Herzen und das flammende Roth des stürmisch kreisenden Blutes auf den Wangen, floh Donna Mercedes aus dem Glashause.

Draußen, zwischen den Fichtenstämmen, sah sie Paula’s helles Kleid schimmern. Die Kleine spielte dort, und Deborah war bei ihr; Pirat aber steckte schon wieder in seiner Klause; er bellte von dort den davoneilenden Damen wüthend nach.

Donna Mercedes ging in das Fichtenwäldchen. Paula jubelte ihr entgegen; das Kind entnahm einer großen Holzschachtel verschiedene reizende Spielereien und reihte sie auf einem Gartentische neben einander – „der gute Herr“ habe das dem Goldkinde aus Berlin mitgebracht, sagte Deborah. Von Lucile war nicht die Rede – Baron Schilling’s Mission hatte also, wie er vorausgesagt, nicht den gewünschten Erfolg gehabt.

Es war Donna Mercedes selbst verwunderlich, daß diese Gewißheit sie so merkwürdig kalt lasse. Die ganze Angelegenheit mit ihrem Gefolge von Aufregung und Befürchtungen erschien ihr in diesem Moment so abgeblaßt, wie etwas längst Vergangenes, halb Vergessenes neben den Eindrücken, die sie eben empfangen. Sie fühlte ein beängstigendes Schauern bei dem Gedanken, daß sie unmittelbar nach jenen Scenen mit dem tieferregten Mann verkehren sollte – Scheu vor ihm, Angst vor sich selber. Diese Bangigkeit vor irgend einem durch eigene Schuld heraufbeschworenen rauhen Worte hatte sie nie, auch in frühester Jugend nicht empfunden. Ihr sonst ziemlich willenskräftiger Vater, die unbeugsame Mutter hatten dem vergötterten, einzigen Lieblinge gegenüber niemals eine Rüge über die Lippen gebracht – im Gegentheil, jedes leichte Stirnrunzeln, jeder ärgerlich eigensinnige Blick waren begütigend hinweggekost worden.... Baron Schilling zürnte in unversöhnlicher Weise. Sein Anathema gegen die weiblichen Untugenden, die boshaften Launen, erstreckte sich auch auf die Amerikanerin, die neuerdings in seinen Gesichtskreis getreten, – das hatte sie wie einen Dolchstich gefühlt.... Seine Kunst sei die Erwählte seiner Seele, hatte er gesagt. Mit diesem Idealwesen, „das ihn nie zwang, in die dunkeln Schlupfwinkel der weiblichen Seele zu blicken“, konnten sich freilich die Sterblichen nicht messen – dachte sie erbittert. Sie hatten Blut und Nerven, und der Erdenstaub legte sich auf die Flügel ihrer Seele und ließ sie nicht hinaufflattern in die Regionen, die hoch über der bösen Zunge der Menschen schweben.

Nicht lange hatte sie gedankenvoll neben der spielenden Kleinen gesessen, als sie seinen Schritt hörte.

(Fortsetzung folgt.)
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 532. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_532.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)