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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Mit einer Geberde des ausgesprochensten Hasses wandte sie dem Bilde den Rücken, und ihr fester Tritt hallte auf dem Steinfußboden wider.

„O, daß mir hier die Rechte der Ehefrau, die Befugnisse der Eigenthümerin zustünden!“ fügte sie, noch einmal den Schritt hemmend, hinzu, und das Haupt ausdrucksvoll vorgeneigt, stieß sie die Fingerspitzen der Rechten gegen ihre Brust; „ich zerbräche dem Frevler die Pinsel vor seinen Augen; ich schüttete ihm die verrätherischen Farben vor die Füße – das Bild dort müßte verschwinden, und sollte ich jede Faser der Leinwand mit den Zähnen zernagen.“

Die gewaltige Kraft des Fanatismus, jeder Bewegung, jedem Blick dieser Walkürenerscheinung entströmend, mußte eine unwiderstehliche Gewalt über andere Seelen haben – die Baronin ging von der Staffelei weg wie eine Gestrafte. Sie nahm ihren schleppenden Gang wieder an und kehrte nach dem Schranke zurück; aber einen Schritt davon blieb sie stehen und preßte die Hand auf das Ohr – draußen ließ Pirat ein tolles Freudengebell hören.

„Ich möchte den lärmenden Hund da draußen vergiften,“ rief sie.

In diesem Augenblicke vergrub sich Donna Mercedes förmlich zwischen den schützenden Zweigen – ihr Herz schlug heftig. Sie hörte, daß Pirat losgekettet sein mußte und jenseits des Ateliers näher und näher kam. Es konnte nur Baron Schilling sein, welchem das freigelassene Thier drüben auf der in das obere Gelaß führenden Treppe voraussprang. Er war zurückgekehrt, und die Frau dort, die, noch das confiscirte Couvert in der Hand, vor dem eigenmächtig geöffneten Schranke stehen geblieben war, ahnte nicht, wie schnell sie von dem Beargwohnten in dieser compromittirenden Stellung werde überrascht werden.

Jenes schöne, echt weibliche Gefühl, welches die Niederlage Anderer nicht mit anzusehen vermag, wallte in Donna Mercedes auf – ein warnender Laut drängte sich auf ihre Lippen; aber schon war es zu spät – Baron Schilling trat auf die Gallerie heraus.




28.

Dem heimkehrenden Manne leuchtete ein Strahl der Wiedersehensfreude auf dem Gesichte. Er trug die kleine Paula auf dem rechten Arme und mit dem linken drückte er das Kind fest und zärtlich an seine Brust.... Pirat hatte sich neben ihm durch die Thüröffnung gedrängt und schoß über die Gallerie und die Wendeltreppe herab – wie ein Rasender stürzte er auf die Baronin zu, aus deren Händen das Couvert eben auf den Boden niederflatterte.

Sie stand wie schreckerstarrt, allein die Besonnenheit kehrte ihr rasch zurück – ihre erste Bewegung war, die Schrankthür verstohlen zuzudrücken; in dem Momente jedoch, wo sie sich scheinbar unwillkürlich hinüberbog, fuhr der Hund an ihr empor, als gelte es, einen Dieb von dem Eigenthume des Mannes da droben abzuwehren.

„Willst Du mich von dem Ungethüm zerreißen lassen?“ rief sie empört nach der Gallerie hinauf.

Ein kurzer, scharfer Zuruf von oben – und das Thier stürmte wieder die Treppe hinauf. Baron Schilling wies es mit einer Armbewegung in das Zimmer zurück und schloß die hinter der Gardine befindliche Thür.

„Es thut mir leid, daß ich Dich erschreckt habe, Clementine,“ sagte er, die Stufen herabsteigend. Noch trug er das Kind, das die Aermchen um seinen Nacken geschlungen hatte und sein kleines Gesicht so fest an seine gebräunte Wange schmiegte, daß sich die blonden Locken mit seinem Barte mischten. „Der Hund ist nur scheinbar gefährlich, nur plump und übereifrig, aber er beißt nicht – er ist ja der Spielgefährte der Kinder,“ fuhr er fort, indem er seiner Frau näher trat – sein Blick streifte das hinabgeflogene Couvert und den geöffneten Schrank, und ein Zug von Ironie ging durch sein Gesicht. „Ich konnte nicht ahnen, daß Du zurückgekehrt bist, noch weniger aber durfte ich voraussetzen, Dich hier, hier – es ist wirklich eine seltsame Ueberraschung, Clementine! – zu finden; ich würde sonst dem ungeberdigen Thier nicht gestattet haben, mich zu begleiten.“

Er neigte leicht und kalt grüßend den Kopf vor Fräulein von Riedt und reichte seiner Frau die freie Linke hin.

„So lange Du das Mädchen da auf dem Arme hast, fällt es mir nicht ein, Dir die Hand zu geben,“ sagte sie eisig. „Ich mag beim Wiedersehen keine Fremden um mich haben.“

Bei diesen Worten wandte er den Kopf zur Seite, und während sich seine Brauen zusammenzogen, fixirte er mit einem spöttisch-scharfen, sprechenden Blicke die Stiftsdame, die mit untergeschlagenen Armen schweigend und unbeweglich auf ihrem Platze verharrte.

„Adelheid ist keine Fremde“ – fuhr die Baronin auf.

„Und Lucian’s Kind, mein kleiner Liebling hier, steht mir sehr nahe,“ ergänzte er mit großer Ruhe. Er stellte die Kleine mit zärtlicher Behutsamkeit auf den Boden und nahm ihr Händchen fest in seine Linke – seiner Frau bot er die Hand nicht wieder. Ihre schwachen Füße trugen sie plötzlich nicht mehr – sie sank im nächsten Lehnstuhle zusammen. „Ich habe Beklemmung, Adelheid,“ sagte sie und drückte die verschränkten Hände gegen die Brust.

Die Stiftsdame trat näher und reichte ihr ein Flacon, das sie aus der Tasche zog, während Baron Schilling den dunklen, dichten Vorhang von einem der unteren Fenster wegschob und beide Flügel öffnete. „Man hat während meiner Abwesenheit schlecht gelüftet,“ bemerkte er gleichmütig.

„O, das ist’s nicht,“ entgegnete die Baronin und athmete den Geist der Essenz ein. – „Wie sollte es da mir Aermsten drüben im Hause ergehen, das mit häßlicher Krankenluft erfüllt ist? Um mich und Adelheid vor Ansteckung einigermaßen zu schützen, bin ich gezwungen, Tag und Nacht den erstickenden Dampf der Kohlenpfannen zu athmen.“

„Wie – hat José’s Krankheit noch einen bösartigen Charakter angenommen?“ rief Baron Schilling bestürzt.

„José? – Wer ist José?“ fragte die Baronin gleichgültig, mit einem matten Augenaufschlag. „Du mußt nicht denken, daß ich mir Zeit und Mühe genommen habe, so viel Einblick in Deine Beziehungen zu gewinnen, um mich mit den Namen vertraut zu machen.... Ich weiß nur, daß ich unser Haus in einem beispiellosen Zustande fand, als ich neulich Abends zurückkehrte. Die Dienerschaft war verwildert, ohne Disciplin, wie eine herrenlose Heerde, an ihrer Spitze diese stupide Wirthschaftsmamsell, die ohne Gnade nun endlich den Laufpaß erhalten wird – “

„So?!“

„Ganz sicher – diesmal werde ich ihre Entlassung durchzusetzen wissen – darauf verlasse Dich!... O, wie habe ich mich alterirt an dem Abend! Aus dem heiligen Frieden des stillen Hauses kommend, in welchem ich erzogen bin, berührte mich der trostlose Empfang doppelt niederschlagend. Der Herr Gemahl war verreist – “

„In Erfüllung einer unabweisbaren Pflicht – “

„Ach ja – Du mußtest der durchgebrannten Tänzerin nachreisen,“ fiel sie ein.

Er hatte offenbar eine niederschmettere Antwort auf den Lippen – er rang mit sich. Der Blick, den er auf diese tückische, schlaff zusammengesunkene Frau im Lehnstuhl heftete, sagte deutlicher als die schärfsten Worte, daß er ein tiefunglücklicher Mann sei, ob er auch neulich in Lucile’s Zimmer stolz versichert hatte, er finde an seinem Loos nichts auszusetzen.

„'Lucian’s Wittwe'“ willst Du sagen, Clementine,“ entgegnete er sich bezwingend. „Mit der Tänzerin Fournier habe ich nichts zu schaffen.“

„Ach mein Gott, auf einen so subtilen, haarfeinen Unterschied versteht sich mein schlichter Verstand nicht,“ sagte sie ebenso impertinent obenhin und eintönig wie zuvor. „Nun meinetwegen auch! Solch ein jugendliches Wittwenthum mag immerhin für manche Männer die Bühnenglorie an Anziehungskraft aufwiegen.... Apropos, diese Donna de Valmaseda ist ja auch Wittwe, wie ich höre. Du hast es nicht für nöthig gehalten, mir diese interessante Thatsache mitzuteilen – “

„Hast Du nicht stets jede eingehendere Mittheilung aus Lucian’s Briefen als langweilig abgewehrt?“

„Mein Gott, ja! Aber wer spricht denn von alten Zeiten?“

Die junge Dame hinter dem Myrthenstrauch kämpfte in diesem Augenblick einen verzweifelten Kampf mit sich selbst, mit ihrem stolzen, wild aufflammenden Blut. Sie sah, wie ihm bei Nennung ihres Namens die Röthe heftigen Unwillens in das Gesicht trat, wie seine Augen sich verdunkelten. Es trieb sie, hervorzutreten, und doch verharrte sie wie gelähmt.

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