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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

eingerostet; im Vorgarten brennt kein Gas – und was soll das Stroh auf den Wegen?“ wandte sie sich an den Gärtner und hob als Beweismittel, unter Zeichen ihrer inneren Empörung, den mit Strohresten garnirten Kleidersaum leicht von der Fußspitze. – „Seit wann wird die Streu für die Stallungen durch Vorgarten und Flurhalle geschafft?“

Die graue Gestalt mußte den erstarrenden Blick der Klapperschlange haben; denn der angeredete Mann stand da wie gelähmt – er brachte kein Wort zu seiner Vertheidigung über die Lippen. Der Bediente Robert war resoluter.

„Dafür können wir Dienstleute nicht, gnädige Frau Baronin,“ sagte er achselzuckend. „Mit Erlaubniß zu sagen, wir ballen selbst die Hand in der Tasche über die polnische Wirthschaft, die wir nun seit so und so viel Wochen im Schillingshof mit ansehen müssen. Die Hausthür hat der einfältige Bäckerjunge, der die Abendsemmeln gebracht hat, wieder einmal offen gelassen; zuschließen darf man ja nicht, weil die Zugglocke – nicht verrostet, wie gnädige Frau Baronin denken – sondern einfach abgenommen ist. Das Gas draußen brennt nicht; die Brunnenröhren sind zugeschraubt, und das Stroh liegt auf den Wegen – kurzum, die ganze heillose Wirthschaft ist nur um deswegen, weil der fremde kleine Junge den Typhus oder so etwas Aehnliches gehabt hat.“

Donna Mercedes fühlte das lebhafteste Verlangen, hervorzutreten und der Dame zu sagen, daß die Krankheit des Kindes nicht der Typhus, überhaupt keine ansteckende gewesen sei; trotzdem blieb ihr Fuß wie festgewurzelt stehen, und instinctmäßig bog sie ihre Gestalt aus dem herausfallenden Licht, das sie streifte. Nein, die erste Begegnung mit der Herrin vom Schillingshof durfte nicht in Gegenwart der gehässigen Domestiken stattfinden. Ob sie es überhaupt je über sich gewinnen würde, dieser Frau mit Worten der gebührenden Höflichkeit, des Dankes für die gewährte Gastfreundschaft zu nahen? – Etwas Abstoßenderes an Gestalt und Wesen, an Linien und Ausdruck, wie diese Heimkehrende mit dem unkleidsamen, grauumschleierten Glockenhut über dem langen, hager zugespitzten, farblosen Gesicht ließ sich nicht denken. Und die Stimme, dieses Gemisch von weinerlicher Bosheit und schneidender Impertinenz berührte sie unsagbar antipathisch.

„Typhus?!“ wiederholte die Baronin und fuhr mit dem Taschentuch durch die Luft – Donna Mercedes sah eine Röthe wie in Folge eines heftigen Erschreckens über ihr Gesicht hinfliegen „Ich will doch nicht hoffen, daß der Baron während dieser Zeit hier im Hause geblieben ist?“

Die Leute sahen sich scheu an.

„Der gnädige Herr kennt keine Furcht; er ist Tag und Nacht in der Krankenstube geblieben und hat das Kind gepflegt, als wenn’s ein – eigenes wäre,“ versetzte der Bediente mit dem Gesicht und der Haltung eines echten Duckmäusers.

Ein zornmüthiges Lächeln entblößte flüchtig die großen weißen Zähne der Dame; sie sah ihre Reisebegleiterin an, welche den Blick mit einem gleichgültigen Achselzucken erwiderte.

„Wundert Dich das, Clementine?“ fragte sie kalt.

Die Baronin antwortete nicht. Sie schob mit der Spitze ihres Sonnenschirmes einen Strohhalm von ihrer Rockgarnirung.

„Ist das Kind noch krank?“ fragte sie mit einem halben Aufblick nach dem Bedienten.

„Ja wohl, gnädige Frau – an ein Aufstehen ist noch lange nicht zu denken.“

„Mein Gott, wie verdrießlich! Ich habe entschieden keine Lust, die verpestete Krankenluft zu athmen. Sorgen Sie dafür, daß sofort Kohlenbecken mit Räucherung hier in der Flurhalle aufgestellt werden!... Wo ist der Baron?“

„Der gnädige Herr ist heute Nachmittag mit dem Fünfuhrzuge nach Berlin gereist,“ rapportirte er so prompt und eilig, als habe er schon längst auf diese Frage gewartet; er rieb sich vor innerer Genugthuung heimlich die Hände.

Hatte er gehofft, seine Herrin werde vor Ueberraschung die Fassung verlieren, dann war er im Irrthum gewesen. Sie hatte seine Bewegung sehr wohl bemerkt und verzog keine Miene, wenn sie auch abermals die Farbe wechselte. Wieder richtete sie den Blick auf die schwarze Dame. Lucile hatte stets behauptet, die Baronin habe glanzlose, todte Augen; das war falsch – es glomm im Gegentheil ein intensives Feuer in den grauen Sternen; sie flackerten unruhig wie Irrlichter unter den halbgesunkenen, dünnen Augenlidern.

„Erinnerst Du Dich, im letzten Brief etwas über diese Abreise gelesen zu haben, Adelheid?“ fragte sie ihre Reisebegleiterin anscheinend gelassen.

Die Dame schüttelte den Kopf.

„Ach, gnädige Frau Baronin, das ist wohl auch nicht gut möglich!“ wagte der Bediente einzuwerfen. „Heute Morgen hatte noch Niemand im Hause auch nur die blasse Ahnung von der Berliner Reise – die Sache hat sich ganz schnell gemacht. Das ist jetzt immer so bei uns, gnädige Frau. Vor ein paar Tagen ist auch die eine fremde Dame so schnell und heimlich nach Berlin abgereist, als ob – ja wirklich und wahrhaftig so ist’s gewesen – als wäre sie durchgebrannt.“ Die letzten Worte sprach er im halben Flüsterton wobei er scheu nach dem hinter der nördlichen Zimmerflucht hinlaufenden Corridor schielte.

Jetzt hatte er doch einen empfindlichen Nerv getroffen. Die Baronin fuhr empor. Ihre zusammengesunkene Haltung wandelte sich im Nu in eine stolzaufgerichtete; hastig fuhren die schlanken Finger prüfend nach der Hutschleife unter dem Kinn ob sie noch fest sitze; die Strohhalme wurden von der Schleppe geschüttelt; der Schleier wurde über das Gesicht gezogen.

„Wir fahren mit dem Neunuhrzuge nach Berlin,“ sagte sie kurz, aber mit fieberischer Aufregung in jedem Ton, zu ihrer Reisebegleiterin.

„Mit nichten Clementine – Du bedarfst dringend der Ruhe – wir bleiben hier,“ versetzte die Dame mit Mentormiene.

„Ruhe?“ lachte die Baronin. „Ich will reisen, und zwar sofort.“

Die schwarze Dame antwortete nicht. Sie trat der Baronin nur näher und griff nach einem großen, goldenen Kreuz, das auf der Brust derselben funkelte.

„Sieh da, Clementine!“ sagte sie. „Um ein Haar konntest Du Dein Kreuz unterwegs verlieren – es hängt nur noch lose in der Schleife. Was würde unsere liebe Frau Aebtissin zu diesem Verluste gesagt haben? Sie hat Dir das Erinnerungszeichen mit eigenen Händen umgehangen.“

Wie ein Erlöschen ging es über das aufgeregte Gesicht der Baronin; sie senkte den Kopf und zog maschinenmäßig das Kreuz an die Lippen, dessen Band ihr die andere Dame im Nacken fester knüpfte.

„Gehe Sie rasch hinauf und legen Sie einen bequemen Schlafrock für die Frau Baronin zurecht!“ befahl die letztere, sich nach der Kammerjungfer umwendend, die indessen, mit Reise-Effecten beladen, in die Flurhalle getreten war. „Die Birkner soll sogleich die Appartements droben aufschließen – wo ist sie?“

„Hier, gnädiges Fräulein!“ rief die Wirthschaftsmamsell, um die Corridorecke biegend, mit einem tiefen Knix. „Ich komme eben von oben; es ist Alles in Ordnung. Ach, was für ein Glück! Gerade heute habe ich die Zimmer der gnädigen Frau Baronin reinigen und tüchtig lüften lassen.“

„Wie – so werden meine Befehle respectirt?“ fuhr die Baronin empor. „Habe ich nicht ausdrücklich befohlen, daß während meiner Abwesenheit Niemand – ich sage Niemand meine Gemächer betrete? Nun wird man sich breit gemacht haben in meinem Eigenthum – ich konnte mir das denken!“

„Aber wer sollte denn so dreist sein, gnädige Frau?“ stotterte die Wirthschaftsmamsell. „Keine Menschenseele hat hinauf gedurft – ich hab’ die Schlüssel gehütet wie meinen Augapfel. Aber der Sturm hatte neulich die Terrassenthür aufgerissen – muß in der Eile bei der Abreise nicht ordentlich eingeklinkt worden sein – und da mußte ich nachsehen, denn das Auf- und Zuschlagen hörte gar nicht wieder auf, und der Glaser hat auch neue Scheiben einsetzen müssen. Der Staub lag fingerhoch; die Luft war dick zum Ersticken, und das war mir schrecklich.“

Sie war bei dieser von lebhaften Gesten begleiteten Auseinandersetzung näher herzugetreten. Die Baronin wich zurück. „Kommen Sie mir nicht zu nahe, Birkner!“ wehrte sie mit ausgestrecktem Arme in kindischer Heftigkeit ab, und in ihrem Gesicht dämmerte der Ausdruck wieder auf, der Donna Mercedes vorhin erschreckt hatte. – „Sie haben überhaupt von nun an in meinen Zimmern nichts mehr zu suchen – absolut nichts! Mein Haus soll und muß rein werden von diesen verpestenden Elementen –“

„Rege Dich nicht auf, Clementine!“ fiel die schwarze Dame

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 514. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_514.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)