Seite:Die Gartenlaube (1879) 503.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Boden aus ließ sich der hohe Zaun nicht überblicken. Mit beiden Armen drängte sie das struppige Gezweig kraftvoll aus einander. So stand sie bewegungslos – so hatte sie seit José’s Erkranken vielleicht täglich gestanden, um von irgend einem Diener des Nachbarhauses Nachricht über das Kind zu erlangen, das sich im großmütterlichen Heim, von dem übermüthigen Erben des Klostergutes gemißhandelt, die schwere Krankheit geholt hatte.

Donna Mercedes verharrte erwartungsvoll schweigend auf ihrem Platze. Sie stand der Frau so nahe, daß sie trotz der Abenddämmerung jeden Zug des Gesichts erkennen konnte, welches sich zu ihr niederbog, und jetzt begriff sie, daß Vater und Sohn, warmherzige, phantasievolle Naturen, vor dieser Macht hatten weichen müssen.

„Ich möchte wissen,“ sagte sie mit unsicherer Stimme, „ob der Kleine –“

„José Lucian wollen Sie sagen,“ fiel Donna Mercedes jetzt fest und äußerlich vollkommen ruhig ein, obgleich ihr das Herz so heftig schlug, daß sie meinte, man müsse es hören.

Mit einem Laut des Schreckens fuhr die Frau zurück; die Büsche schlugen rauschend zusammen, aber gleich darauf theilten die kräftigen Hände das Strauchwerk abermals aus einander, und das bleiche Antlitz erschien wieder – jetzt aber mit scharf zusammengezogenen Brauen und einem harten, drohenden Ausdruck.

„Hab’ ich nach dem Namen gefragt?“ klang es abweisend. „Ich wollte nichts Anderes wissen, als dies: ob der Knabe – zu retten ist.... Der kleine Sohn meines Bruders –“ eine aufkreischende, schrille Kinderstimme unterbrach sie; verstummend und sichtlich erschreckt fuhr sie herum.

Donna Mercedes sah, wie ein schlanker Körper drüben durch das Geäst eines hohen Baumes katzengeschmeidig schlüpfte und ebenso gewandt und flink am Stamm herunterglitt. Das war der Bursche, der vorhin die Steine in den Teich geworfen hatte. Man hörte ihn wie toll mit harten Absätzen über den Kies nach dem Hause zu laufen, und dabei schrie er grob und flegelhaft herüber: „Warte nur, Tante Therese, ich sag’s dem Papa, daß Du mit den Leuten im Schillingshofe sprichst! Ihr habt mir’s streng verboten, und Du thust es selber.“

Die knarrende Thür des Hinterhauses wurde aufgerissen und flog schmetternd wieder zu, und in diesem Moment verschwand auch die Frau hinter dem Zaune.

(Fortsetzung folgt.)



Peter von Cornelius.

Von Fr. Pecht.

(Schluß.)

Cornelius war im Januar 1819 nach München gekommen, längst erwartet vom Kronprinzen. Leider brachte dieser einen guten Theil seiner unsterblichen Verdienste um die deutsche Kunst dadurch um ihre beste Wirkung, daß es ihm durchaus an der Geduld fehlte, große Werke so langsam ausreifen zu lassen, wie es absolut nothwendig ist, wenn etwas von dauerndem Werth entstehen soll. Gleich den meisten Fürsten, wollte auch er womöglich morgen schon fertig sehen, was er heute bestellt hatte. Das war unter allen Umständen ein sehr schweres Uebel, ein doppelt schweres deshalb, weil die langen Kriege von 1789 bis 1815 in Deutschland fast alle technische Tradition aufgehoben hatten, die man doch in Paris zu keiner Zeit hatte aussterben lassen. Während Napoleon der Kunst die mächtigsten monumentalen Aufträge und daher einen unerhörten Aufschwung gab, dachte man in Deutschland nicht an dergleichen, ja, während die Bourbons bei ihrer Wiedererlangung des französischen Thrones sofort zwanzig Millionen Franken aussetzten für Fortsetzung begonnener und Anfang neuer Arbeiten, um „die Kunstfertigkeit der Nation, die Quelle ihres Wohlstandes“ nicht versiechen zu lassen, bewilligten die Sieger in Berlin sechshundert Thaler für Ankäufe von Gypsabgüssen, und es brauchte noch Jahre, bis man sich, obwohl im Besitze eines Schinkel und Rauch, auch nur zum Bau – einer Hauptwache entschloß. Akademien hatte man freilich überall; daß Schulen aber absolut nichts helfen können, wenn man nicht sorgt, daß die Künstler nachher zu thun haben, das hat man in Deutschland noch heute nicht begriffen.

Unter den beiden erwähnten Uebelständen litt die Ausführung der Compositionen des jungen Meisters auf eine verhängnißvolle Weise. Das Schlimmste war, daß die in München noch vorhandenen technisch geschulten Kräfte aus der Mengs’schen Schule sich ihm, dem Eindringling, feindlich gegenüberstellten. Er selbst hatte zwar eine Fülle von Compositionen gezeichnet, aber, Autodidakt wie er war, durch die zwei Bilder in der Casa Bartholdy kaum einen Begriff vom Malen erlangt, konnte also, da er keine Technik, kein System besaß, doch nicht seinen Schülern lehren, was er selber nicht gelernt hatte. So blieb ihm denn zur ersten Hülfe Niemand, als zwei mittelmäßige Künstler der Langer’schen Schule, Schlotthauer und Clemens Zimmermann, denen er seine eigenen Schüler Neureuther, Stürmer, Stilke und Andere nach und nach beigesellte, nicht immer zum Vortheil der vorschreitenden Arbeit. Da es außerdem gar keine Kunstkenner gab, und sein eigenes Selbstgefühl durch die nach jahrzehntelanger Noth und plötzlich von allen Seiten über ihn hereinstürmende Glückesfülle sehr gesteigert worden war, so fehlte es auch durchaus an der so nöthigen Kritik.

Hierzu kam noch, daß ihn kurz nach seiner Ankunft in München die Ernennung zum Director der Akademie in Düsseldorf traf, die Niebuhr bei der preußischen Regierung endlich durchgesetzt hatte. Da reiste er denn schnell erst nach Berlin, um dann in München eiligst anzufangen; schon 1821 im October trat er in Düsseldorf sein Amt an. In der rheinischen Malerstadt strömten ihm von allen Seiten Schüler zu, unter denen Kaulbach, Förster, Eberle, Hermann, Gözenberger sich bald bemerklich machten; dort wurden nun im Winter die Cartons gezeichnet, die im Sommer in München ausgeführt werden sollten, da aber der Göttersaal allein einige zwanzig figurenreiche Compositionen enthält, so war von einem gründlichen Studium auch nur der Zeichnung bald keine Rede mehr, angesichts des ewig drängenden Königs.

Im Sommer 1823 wurde der Göttersaal fertig, und Cornelius fing die Cartons für den trojanischen Saal an. Die schönste Composition desselben ist „Der Brand von Troja“, die furchtbare Schlußscene, wo der Meister ein so großartig dramatisches Leben zeigt, daß er in der Kraft der Charakteristik der Haupthelden durch Handeln und Thun schon dicht an Shakespeare hinstreift, obwohl die Schwäche der Ausführung hier noch sehr gesteigert wiederkehrt, da Cornelius dieselbe nicht einmal persönlich überwachen konnte, sondern in Düsseldorf bleiben mußte. Die Erfindung der umringt von ihren Töchtern verzweiflungsvoll dasitzenden Hekuba, über der sich Kassandra erhebt, um den durch Rauch und Flammen eindringenden Bedrängern die fürchterliche Rache zu verkünden, die das Schicksal an ihnen nehmen werde, ist eben so genial, wie die Auffassung dieser Bedränger selber. Die meisten anderen Scenen bleiben weit hinter denen des Göttersaals zurück.

Unter diesen Arbeiten erhielt Cornelius nach Langer’s Tode die Berufung zum Director der Münchener Akademie, die er um so weniger Bedenken trug anzunehmen, als es sich längst gezeigt hatte, daß in Preußen vom Staat absolut nichts für monumentale Kunst, wenigstens für ihn, zu hoffen war, obwohl die Verzierung des eben angefangenen Museums mit Fresken doch ganz wie für ihn gemacht schien. Jene unaufhörliche Reibung mit der preußischen Bureaukratie, die so charakteristisch für die preußischen Akademieverhältnisse bis heute geblieben ist, hemmte jede schöpferische Thätigkeit, und nur dem bei der königlichen Familie so überaus beliebten Rauch gelang es, ab und zu sie zu überwinden. Kunst galt als etwas ganz Ueberflüssiges unter Friedrich Wilhelm dem Dritten. Wie man die Reihe der Monumentalbauten mit einer Hauptwache begonnen, so wurde auch als einziges historisches Bild die berühmte „Wachtparade“ von Krüger beliebt, selbst Menzel aber gar keiner Aufmerksamkeit gewürdigt, geschweige denn Cornelius.

Schon während der Arbeit in der Glyptothek war diesem die Ausschmückung des Corridors der neuen Pinakothek mit

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 503. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_503.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)