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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

Donna Mercedes aber lachte leise. Er erschrak fast darüber – er hatte diesen ernsten Mund noch nie lachen hören; jetzt entschleierte sich ihm für einen flüchtigen Moment der wundervolle, feuchte Perlenglanz der Zähne; die Mundwinkel vertieften sich in hinreißender Anmuth, aber auch in dämonisch ausdrucksvollen Linien – Donna Mercedes lachte spöttisch.

„Möglich, daß dem Maler die Augen dort gegen seinen Willen aus dem Pinsel geschlüpft sind,“ sagte sie mit leichtem Achselzucken; „indeß ein solcher Irrthum läßt sich ja verbessern – den vandalischen Strich da drüben aber hat der Jähzorn gemacht, oder auch die Caprice.“

Er wandte sich schweigend ab, nahm ein auf dem Tische liegendes Messer und ging hinüber. Rasch, mit wenigen scharfen Strichen schnitt er die Leinwand aus dem Rahmen, rollte sie zusammen und verschloß sie in dem Schranke – das hieß jedem weiteren Commentar den Weg verlegen.

Das schwarze Seidenkleid rauschte – Donna Mercedes war nach der Glasthür gegangen und vor der Gardine stehen geblieben. Sie lachte nicht mehr; ihr Profil hob sich, wie aus Stein geschnitten, von den dunklen Sammetfalten, die ihre Hand eben ergriffen, um sie zurückzuschlagen.

„Ich bin im Begriffe, abzureisen“ – sprach sie kühl wie immer – „und sehe mich gezwungen, um Ihren Schutz für die Kinder während meiner Abwesenheit zu bitten.“

„Sie wollen nach Berlin?“

„Ja – Lucile muß sofort mit mir zurückkehren.“

„Der Meinung bin ich auch. Aber fangen Sie eine Lerche ein, die bereits hoch in den Lüften jubilirt!“

„Das Jubiliren wird ihr vergehen, wenn sie die Ueberzeugung gewinnt, daß sie sich aus diesen Lüften herab zu Tode stürzen muß – ich werde die ersten ärztlichen Autoritäten zu Hülfe nehmen.“

„Sie hoffen, mit der Todesfurcht zu wirken? – Das sagen Sie, die diese Regung verachtet wie ein Mann? Und wenn nun die kleine Frau auch –“

„O bitte – keinen Vergleich!“ unterbrach sie ihn – sie zog die Stirn zusammen, und der harte Zug beleidigten Stolzes legte sich um ihre Lippen. „Ich möchte nie mit Lucile verglichen sein.... Ich war ein dreizehnjähriges Kind, als ich sie zum ersten Male sah, und weinte damals in einem Gefühl von widerfahrener Schmach und Erniedrigung; ich sah, daß der Leichtsinn, die vulgäre Denkweise in unser Haus einzogen, dem mein stolzer Großvater, meine Mutter den Nimbus eines Fürstenhofes zu geben verstanden hatten.“

Sie preßte die Hände auf die Brust, als wolle sie das, was sie vielleicht noch nie ausgesprochen, auch jetzt zurückdrängen, und doch sagte sie. „Mein Gott, wie tief geht mir das Haßgefühl für dieses frivole Wesen, das so schnell vergessen kann! Felix hätte sein Blut für sie hingegeben, und sie – tanzt aus dem Trauerjahr hinaus.“

„Und diese unselige Bürde,“ sagte er, sie voll ansehend, „wollen Sie wieder auf Ihre Schultern nehmen, um Ihr ganzes junges Dasein in Verbitterung hinzuschleppen?“

„Muß ich nicht?“ fragte sie wie erstaunt zurück. „Ich kann doch mein Wort nicht brechen? Felix ist todt, und was ich ihm versprochen habe, hat für mich gleich bindende Kraft, wie das Wort am Altar, das Mann und Weib verknüpft und nicht gelöst werden darf, auch wenn es als schwere Kette drückt, selbst wenn es uns mit geistigem Tode drohen sollte –“

Sie unterbrach sich jäh, als sei ihr ein Geheimniß tief aus der Seele geschlüpft, und griff verwirrt nach dem Vorhange, der vorhin ihrer Hand entglitten war. Baron Schilling trat an den Tisch, um das gebrauchte Messer an seinen Platz zu legen.

„Das hört sich an, wie spartanische Charakterkraft,“ sagte er, „und wäre in seinen Consequenzen doch höchst unmoralisch. Man hat sich sehr zu hüten, daß man mit allzu starr durchgeführten Principien nicht in das geschmähte feindliche Lager geräth, wie das meist mit dem Extrem geschieht.“

Sie klemmte die Unterlippe hart zwischen die Zähne, und ihr stolzes Haupt neigte sich gegen die Brust.

„Sie werden in Berlin nichts ausrichten,“ lenkte er gewaltsam ein. „Was wollen Sie thun, wenn Ihre Schwägerin Ihnen absolut den Zutritt verweigert?“

„Ich werde mich an ihre Fersen heften; ich werde ihr auf Schritt und Tritt folgen –“

„Auch bis hinter die Coulissen?“

Donna Mercedes wich unwillkürlich zurück.

„Das vermögen Sie nicht – ich weiß es. Sie werden bei all Ihrem Muth, Ihrer Energie auf dem fremden Terrain umherflattern wie sturmverschlagen und vor neugierigen und dreisten Blicken fliehen, ohne Ihren Zweck erreicht zu haben.... Lassen Sie mich gehen! – Ich hatte bereits den Entschluß gefaßt, nachdem ich Frau Lucian’s Brief gelesen, und bin reisefertig.“ – Er zeigte auf das am Boden liegende Gepäck. „Ich weiß zwar genau, daß auch ich unverrichteter Dinge heimkommen werde – Lucile Fournier stirbt eher auf der Bühne, angesichts des Publicums, als daß sie zu Ihnen zurückkehrt – so ungefähr hat sie mir geschrieben. José will sie Ihnen lassen, aber die kleine Paula verlangt sie mit Ungestüm, kraft ihrer Mutterrechte –“

„Nie! Niemals!“

„So lassen Sie mich gehen! Es bedarf nicht allein der ärztlichen Ueberredung, auch juristische Gründe müssen wirken, um die kleine Frau nachgiebiger zu machen.“

„Nun wohl, ich bin damit einverstanden, und – ich danke Ihnen.“ Wie weich und innig klangen diese drei letzten Worte, wie so ganz anders, als die, mit welchen sie neulich herb und gehässig in ihrer furchtbaren Aufregung die gebotene kleine Blumenspende zurückgewiesen hatte!

Er aber schien diesen Contrast nicht zu fühlen; er überhörte den Dank vollständig; er sah auch nicht, daß sie ihm die zarten Fingerspitzen hinstreckte. Mit einem Blicke nach der Uhr zog er so kräftig an der Klingel, daß sie laut ertönte.

Er befahl dem eintretenden Bedienten, mit dem Gepäck nach der Bahn vorauszugehen; dabei hing er sich eine kleine Ledertasche um und griff nach seinem Hut. –

Donna Mercedes trat in das Glashaus, während er die in das Atelier führende Thür verschloß. Sie schritt ihm voraus und streifte dabei achtlos und hart an einer Pflanzengruppe hin – ein rosenfarbener Gloxinienkelch knickte ab und fiel auf den Asphaltboden. Sie wurde so roth, wie die Blume zu ihren Füßen, und mit einem Ausrufe des Bedauerns bückte sie sich, um sie aufzuheben – aber Baron Schilling kam ihr zuvor.

„Lassen Sie doch!“ sagte er frostig. „Solch eine kleine Blumenseele ist nicht so empfindlich wie der Mensch – sie freut sich ihres Lebens weiter, auch wenn man sie plötzlich in das kalte Element versetzt.“

Damit legte er die Blume auf den Rand des Bassins, sodaß ihr Stengel die Wasserfläche erreichte.

„Bis wann dürfen wir Sie zurück erwarten?“ fragte Donna Mercedes draußen vor der Thür des Glashauses.

„Möglicher Weise in drei Tagen.“

„Das wird José unerträglich lange erscheinen,“ sagte sie und blickte auf ihre Fußspitze nieder, die sich spielend in den Kiessand grub, „er verlangt unaufhörlich nach Ihnen.“ – Sie hob den Blick und sah ihn doch nicht an. „Wollen Sie den kleinen Reconvalescenten nicht noch einmal sehen?“

„Nein – nein!“

Jetzt sah sie ihm bestürzt ist das Gesicht, in diese Züge, welche die innere Kraft der Empfindungen ehrlich widerspiegelten – ein zornig funkelnder Blick begegnete dem ihren.

„Ich habe die schmerzvolle Sehnsucht überwunden und werde das Wiedersehen mit meinem kleinen Lieblinge nur unter den grünen Bäumen hier feiern.“ –

Er zog grüßend den Hut, und sie ging rasch an ihm vorüber in die Platanenallee, während er quer durch das Fichtenwäldchen schritt. Dort führte eine Thür in der Mauer nach der öden menschenverlassenen Straße, die das Grundstück des Schillingshofes begrenzte und mit dem Stadttheil verband, in welchem der Bahnhof lag.




24.

Blaß und schweigsam war Donna Mercedes ist das Säulenhaus zurückgekehrt. Sie hatte eigenhändig alles zur Reise Vorgerichtete wieder weggeräumt, war einige Zeit bei José verblieben, der mit matten Händen ein kleines, hölzernes Pferd auf seiner Bettdecke hin und her spazieren ließ, und saß nun in

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 499. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_499.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)