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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

die man über mich schüttet, und habe eben aus meinem von Enthusiasten überfüllten Salon förmlich flüchten müssen, am diese paar Worte auf das Papier zu werfen. Ja, jetzt lebe ich wieder. Ich lebe ein himmlisches Dasein ohne Gleichen. Was ich, so lange ich nun wieder auf deutschem Boden stehe, im Stillen vorbereitet, es hat sich erfüllt. Und nun, da die Gefahr einer unbefugten Einmischung Deinerseits vorüber, sollst Du auch die Wahrheit erfahren – ich bin gestern Abend als Gisella in den ,Willis’ aufgetreten –“

Großer Gott, die Schwindsüchtige tanzte auf der Bühne! Man jauchzte ihr zu, die mit jedem Pas dem sicheren Tode entgegengaukelte. Dazu also die geheimen Tanzübungen, die Anschaffung neuer Costüme! Daher die fieberhafte Eile bei ihrem neulichen Weggang – Lucile hatte zu ihrem Debüt pünktlich in Berlin eintreffen müssen. Ja, sie hatte Recht gehabt – ihre Schwägerin war unverzeihlich „naiv und harmlos“ gewesen; sie hatte sich als schlechte Hüterin für das ihr anvertraute, ränkevolle junge Weib erwiesen, von welchem der sterbende Mann jedenfalls einen derartigen Streich insgeheim befürchtet hatte. Nun war es doch geschehen, all seinen Anordnungen entgegen – der Vogel war ausgeflogen und schwebte und wiegte sich in Regionen, die ihm bei jedem Flügelschlag das tödtliche Gift zuhauchten!

Donna Mercedes sprang auf. Es blieb ihr keine Wahl: sie mußte selbst nach Berlin. Wieder im vollen Besitz ihrer Energie und Kaltblütigkeit, traf sie die Anstalten zur schleunigen Abreise. Aber diesen Entschluß mußte sie dem Herrn des Hauses anzeigen; sie war gezwungen, ihn zu bitten, die Kinder während ihrer Abwesenheit in seine Obhut zu nehmen.

Das Blut schoß ihr in das Gesicht – sie stand vor einem peinlichen Dilemma. Wie sollte sie ihm, den sie seit jenem Abend nicht wieder gesehen, diese Mittheilungen machen? Zu einer langen schriftlichen Auseinandersetzung blieb ihr keine Zeit; ebenso wenig konnte sie ihm zumuthen, behufs einer Besprechung mit ihr die Gemächer zu betreten, die sie ihm selbst in so schroffer Weise unzugänglich gemacht; sie fürchtete mit Recht eine empfindliche Zurückweisung.

Es kostete einen bitteren Kampf, aber sie steckte schließlich Lucile’s Brief in die Tasche, um – in das Atelier zu gehen.

Es war um die vierte Nachmittagsstunde. Die Scheiben des Glashauses sprühten glühende Sonnenfunken der immer langsamer Wandelnden entgegen, als sie aus der Platanenallee trat. Die von dorther wehende duftbeschwerte und beklemmend heiße Luft nahm ihr fast den Athem. Sie hatte inbrünstig gewünscht, Baron Schilling möchte sie bemerken und ihr auf dem schweren Wege ritterlich zu Hülfe kommen, aber keine der Thüren öffnete sich, obgleich Pirat, in seiner Clause die Nähe der Herrin spürend, wie toll vor Freude lärmte.

Leise schob sie die Thür des Glashauses zurück und trat, von einem wilden Herzpochen fast erstickt, auf den kühlen Asphaltboden, den das üppig quellende Grün da und dort frei ließ. Das Erste, was sie erblickte, jagte ihr ein heftiges Erröthen über das Gesicht – eine Gloxiniengruppe schimmerte in sanfter Farbengluth zu ihr herüber. Da waren die Blüthen – vielleicht die ersten, kaum aufgebrochenen – gepflückt worden, die sie neulich mit eisiger Kälte zurückgewiesen. Auch diese kleinen Blumenglocken sagten der stolzen Frau mit demüthigender Bestimmtheit, daß ihr Erscheinen hier ein Schritt nach Canossa sei.

Sie wandte den Kopf weg und ging dem Eingang zu, der in das Atelier führte. Sie trat geflissentlich fest auf, und ihr schwarzes Reisekleid rauschte in allen Falten – man sollte ihr Kommen hören, allein die plätschernden Fontainen verschlangen das Geräusch.

Die Glasthür stand offen, drüben aber hing der dunkle Velourvorhang und verwehrte nahezu den Eintritt. Durch die Spalte, die der Faltenwurf frei ließ, sah Donna Mercedes den Herrn des Schillingshofes unweit der Staffelei stehen; er hatte den Malstock in der Hand, und war, den prüfenden Blick auf das Bild geheftet, um einige Schritte zurückgetreten. Das von oben kommende, alle Ecken und Schatten des Gesichts verschärfende Licht verschönte ihn nicht; trotzdem war und blieb er bei aller Unregelmäßigkeit der Linien und dem entschieden unschönen, derb deutschen Typus ein höchst bedeutender Kopf, und hier, auf der Stätte seines Schaffens frappirte er förmlich.

Er war vertieft in seine Aufgabe, und Donna Mercedes scheute sich, die Stille, die ihn umgab, durch ein lautes Wort zu unterbrechen. In diesem Moment trat der Bediente Robert droben hinter der Gobelingardine hervor auf die Gallerie; er kam die Wendeltreppe herab, Reisegepäck auf dem Arme. Beim Niedersteigen bemerkte er die Dame, aber er wendete den Blick weg, als habe er sie nicht gesehen.

Donna Mercedes trat sofort unter die Thür. Sie schob den schweren Sammetvorhang mit der Rechten zurück – so blieb sie stehen und sagte mit einer Stimme, vor deren hartem, sprödem Klang sie selbst erschrak:

„Darf ich für einige Augenblicke um Gehör bitten, Herr von Schilling?“

Er fuhr empor, und die Farbe wechselte jäh auf seinen Wangen. Sie sah deutlich, daß Unwille die Empfindung war, die ihr Erscheinen zunächst in ihm hervorrief; dann funkelte es wie grimmer Spott aus den tiefen, blauglänzenden Augen, und die Art, wie er, seinen Malstock weglegend, mit kühler Höflichkeit eine einladende Handbewegung nach dem nächsten Fauteuil machte, sagte deutlich: „Ah, ein Besuch aus – Caprice!“

Sie biß sich auf die Lippen, und ihre Augen loderten zornig; sie trat näher, und den angebotenen Stuhl zurückweisend, stützte sie die Hand auf den nächsten Tisch. Ein langsamer Seitenblick glitt über den Bedienten hin, der sich anscheinend mit einem bereits gepackten Reisesack zu schaffen machte und den Lederriemen an dem zusammengerollten Plaid wiederholt prüfte. Baron Schilling hieß ihn gehen.

Donna Mercedes zog den Brief aus der Tasche. „Bitte, lesen Sie!“ sagte sie so kurz, als wolle sie all und jeden Zeitaufwand vermeiden, der sie in diesem Raum zurückhielt.

„Ist der Brief von Frau Lucian?“

„Ja – aus Berlin.“

„Dann kenne ich den Inhalt.“

Er hob leicht und zurückweisend die Hand nach dem Brief.

„Frau Lucian hat auch an mich geschrieben; sie ist mit großem Erfolg aufgetreten.“

Donna Mercedes lächelte sarkastisch. „Ja, unser Name kommt zu hohen Ehren. Und ich bin schuld daran, daß ein Theaterzettel ihn nennt.“

„Wenn ihm sonst kein Schaden geschieht – durch die Kunst wird er nicht entwürdigt,“ sagte er gelassen. „Ich bin für viele meiner Standesgenossen auch ein Verfehmter, weil ich hier –“ er umschrieb mit ausgestrecktem Arm den Raum des Ateliers – „‚Allotria’ treibe und mein eigenes Brod esse, statt in Wasserstiefeln auf die Jagd zu gehen und den Güterverwalter meiner Frau zu spielen.“

Sie empfand den Hieb – ihr gehässiges „Ja, mit dem Gelde seiner Frau!“ war für immer gebührend zurückgewiesen.

„Uebrigens kann ich nicht einsehen,“ fügte er hinzu, „inwiefern Sie die Schuld an dem überraschenden Schritt Ihrer Schwägerin tragen sollen –“

„Ich bin lächerlich vertrauensselig gewesen.“

„So möchte ich Ihr Verhalten am wenigsten nennen, gnädige Frau.“

Es lag so viel Ironie in diesen anscheinend verbindlich gesprochenen Worten, daß sie mit einem raschen, flammenden Blick aufsah.

„Ein vertrauensseliges Frauengemüth spricht nicht aus solchen Augen,“ setzte er zur Bekräftigung seines Ausspruches flüchtig lächelnd hinzu.

Sie hatte ihn doch schwer beleidigt; er vergab ihr nicht – das hörte sie aus der verletzenden Schärfe seiner Stimme heraus. Ihr leidenschaftliches Blut wallte heiß auf.

„Ach ja,“ sagte sie rasch einfallend, „meine Augen haben das Unglück, nicht mit dem sanftmüthigen deutschen Grau oder Blau in die Welt zu blicken. Aber – das läßt mich ruhig. Ich bin fern von dem Ehrgeiz, mich mit diesen Holbein’schen Madonnen messen zu wollen. Ich kenne ja den deutschen Patriotismus; was sich jenem Frauentypus nicht anpaßt, das läßt der deutsche Maler einfach – verschwinden, wie Figura zeigt.“

Sie deutete unter einem bösen Lächeln nach dem Madonnenbild mit dem entstellenden dunklen Querstreifen über den Augen.

Das Bild lehnte an einer Schrankecke; es war vielleicht beim Reinigen des Ateliers von unberufener Hand aus seinem Versteck gezogen worden, denn Baron Schilling sah überrascht hinüber, und seine Stirn verfinsterte sich.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 498. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_498.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)