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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


No. 30. 1879.
Die Gartenlaube.

Illustrirtes Familienblatt. – Begründet von Ernst Keil 1853.

Wöchentlich 1 ½ bis 2 Bogen. Vierteljährlich 1 Mark 60 Pfennig· – In Heften à 50 Pfennig.


Im Schillingshof.
Von E. Marlitt.
(Fortsetzung.)
Nachdruck verboten und
Uebersetzungsrecht vorbehalten.


23.

Donna Mercedes hatte gehofft, Lucile’s mehrtägige Abwesenheit werde nicht auffallen, zu ihrer Bestürzung aber liefen schon am zweiten Tage verschiedene Rechnungen an sie selbst ein, deren Ausgleichung, wie eine Randbemerkung bei einigen spitz besagte, die abgereiste amerikanische Dame vergessen zu haben scheine.

Der Bediente Robert, der viel an der offenen Hausthür oder im Säulengang herumlungerte und auch wohl die Nachricht von Lucile’s Abreise verbreitet hatte, war stets der Ueberbringer dieser Mahnungen. Er klopfte mit schüchternem Finger an die Salonthür, überreichte, pflichtschuldigst auf silbernem Teller, mit niedergeschlagenen Augen das ominöse Papier und verschwand dann auf Donna Mercedes’ kurzes „Es ist gut!“ mit krummem Rücken und einem halbverbissenen, malitiösen Lächeln wieder jenseits der Thür. Draußen streckte er regelmäßig den Wartenden die leeren Hände hin und sagte achselzuckend: „Geld giebt’s nicht – seht, wie Ihr zu Eurem Guthaben kommt! Warum habt Ihr der ersten besten Schwindelmadame leichtsinnig Eure Waare verborgt! Wir können doch nicht für die Leute einstehen, die sich zudringlich im Schillingshofe einnisten.“

Lucile hatte von dem Credit, den man ihr, als dem vornehmen Gast des Schillingshofes, gewährt, ausgiebigen Gebrauch gemacht – sie hatte nichts von alledem bezahlt, was sie in den letzten Tagen eingekauft, ihre Schwägerin aber brauchte nicht mehr darüber zu sinnen, wie wohl die bedeutenden Summen verwendet worden seien, die ihr Lucile nach und nach abverlangt – es war Alles für den Berliner Aufenthalt eingeheimst worden. Selbstverständlich mußte Jack stets noch in derselben Stunde gehen und die Forderungen der Geschäftsleute ausgleichen.

Die beiden Schwarzen sahen in diesen Tagen ihre Dame oft bedenklich von der Seite an. Sie kannten ja dieses Gesicht seit dem Moment, wo es zum ersten Mal die mächtigen Augen aufgeschlagen; sie hatten es während des unglückseligen Krieges in allen Stadien entflammter Leidenschaften gesehen, gespenstig fahl vor Grimm und Erbitterung, unbewegt und hoheitsvoll dem Feind gegenüber, der ihr Haus nach den von ihr versteckten Secessionisten durchsuchte; sie hatten es mit blassen Lippen kalt lächeln sehen, als man ihr den bluttriefenden Arm verbunden, als die vom Feind geschürten Flammen aus dem Dach ihres Vaterhauses schlugen, um es mit seiner ganzen kostbaren Einrichtung bis auf den Grund zu verzehren. Donna Mercedes war unter allen Wandlungen die Gebietende geblieben, die Unerschütterliche, von der sie, die treuen Schwarzen, die gebotene Freiheit nicht angenommen, weil sie sich unter dieser festen Führung wohl und für das ganze Leben geborgen fühlten. Hier, im fremden Lande, nun war es, als entbehre die Herrin der gewohnten Sicherheit, als verliere sie für Momente den starken Willen, der so zwingend auf ihre Umgebung wirkte und ihr selbst meist das Gepräge äußerster Kaltblütigkeit verlieh. Sie schritt oft stundenlang mit zusammengezogener Stirn und den harten bösen Zug aufbäumenden Stolzes um die Lippen im Salon ruhelos von Wand zu Wand, an Gestalt ein schlank dahingleitendes mädchenhaftes Weib, im Ausdruck aber ein eingefangener wilder Edelfalke, der mit seinen Flügeln die Käfigstäbe zerschlagen möchte. Sie fühlte sich von einem Schemen umstrickt, der schlangenhaft aus dunklen Ecken nach ihr griff und für dessen Wesen oder gar Beziehung zu ihr selber sie daheim in ihrer durch Vornehmheit und Reichthum geschützten Stellung nicht das mindeste Verständniß gehabt haben würde. Erst hier, in diesem deutschen Hause, nahte sich ihr die gemeine Lästersucht; sie fühlte den spitzen Dorn der üblen Nachrede bohrend in ihrer Seele, und sie, die als Rebellin den feindlichen Truppen muthig in’s Auge gesehen, die sich vor den mörderischen Waffen nicht gefürchtet, sie wand sich unter diesem Dorn in ohnmächtigem Grimm und echt weiblicher Verzagtheit. Voll brennender Ungeduld zählte sie die Stunden bis zu Lucile’s Rückkehr. Nicht nur der heiße Wunsch, daß die möglicher Weise aus Rom heimkommende Baronin sie nicht allein hier finden möchte, erregte sie – auch die Sorge stürmte auf sie ein, daß die unvernünftige kleine Frau durch Ungebundenheit und schrankenlose Vergnügungssucht der heimlich an ihr zehrenden Krankheit Vorschub leisten werde.

So waren vier Tage seit Lucile’s Abreise verstrichen, und noch stand die südliche Zimmerflucht der Erdgeschoßwohnung leer und verschlossen. Donna Mercedes’ Unruhe und Erwartung steigerten sich allmählich zur fieberischen Aufregung – sie horchte angestrengt auf jedes ferne Räderrollen und schrak zusammen, wenn die Salonthür geöffnet wurde. Da endlich, am fünften Tage, kam ein Lebenszeichen, aber es war nur ein dünner Brief. Donna Mercedes riß das Couvert auf und sank, nachdem sie die ersten Zeilen überflogen, wie vernichtet zusammen.

„Ich bin wie im Himmel, und ganz Berlin befindet sich in einem wahren Rausch, in Verzückung,“ lauteten die flüchtig hingeworfenen Eingangszeilen „Was waren Mamas Triumphe gegen den Sieg, den ich gefeiert! Ich ersticke fast unter den Blumen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 497. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_497.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)