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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)


Ananas, da hinsichtlich dieser Früchte nicht der geringste Grund für irgendwelchen Argwohn vorhanden war; unser Hunger wurde dadurch vollständig gestillt, und während die Diener die Ueberreste wegräumten, erwarteten wir beim Rauchen einer Cigarre den Beginn der Tanzvorstellung.

Der Lieutenant gab inzwischen dem Sergeanten Befehl, den Mannschaften im Schuppen einige Verhaltungsmaßregeln zu ertheilen; dieser begab sich dorthin und passirte im Zurückgehen auch die vor der Veranda aufgestellten Beleuchtungsgegenstände; wir sahen von unsern Matten aus, wie er langsam schlendernd plötzlich Halt machte, einige der mit Oel gefüllten Schalen genauer in Augenschein nahm und dann, die aufgestellte Reihe entlang gehend, sich wieder zu uns verfügte.

„Lieutenant,“ rapportirte er, „da habe ich eine schöne Entdeckung gemacht, bitte, unternehmen Sie doch mit diesem Herrn eine Wanderung längs der dort aufgestellten Laternen und betrachten Sie dabei sowohl die Träger der Oelschalen wie auch diese selbst! Es wird Sie nicht reuen; es ist wirklich sehr interessant zu sehen; nur möchte ich Ihnen rathen, es scheinbar absichtslos zu thun und keine Ueberraschung merken zu lassen.“

Neugierig wollte ich sofort aufspringen, doch der Lieutenant, welcher eine ziemlich richtige Vermuthung zu haben schien, ersuchte mich, noch etwas zu warten und erst mit ihm nach dem Schuppen zu gehen, wo die Soldaten logirten, um von dort aus wie zufällig unsere Nachforschungen anzustellen. Ich folgte natürlich seinem Rath; wir überzeugten uns, daß die Mannschaften gute Schlafplätze hatten, und promenirten dann die Veranda entlang bis zu den ominösen Lichtschalen; was ich hier sah, werde ich nie vergessen. Ungefähr zehn Schritte von der Gallerie weg waren mannshohe Bambuspfähle in den Grund geschlagen, auf deren zugespitztem Ende je eine menschliche Hand stak, welche ein wenig unterhalb des Gelenkes vom Arme abgehackt war. Die Fingerspitzen, mit Ausnahme des Daumens, waren mit scharfen Dornen durchstochen; darum gewundener Bast, nach unten straff angezogen, nöthigte die Handfläche offen zu bleiben und ermöglichte dadurch das Aufstellen von mit Oel gefüllten Schalen, in welchen ein Docht zum Brennen lag. Die Schale, vor welcher ich stand, war die Hälfte einer Cocosnuß, doch rechts davon war an deren Stelle die obere Schädeldecke eines Menschen getreten; wir zählten zehn Hände und fünf Schädel, jeder weitere Commentar war natürlich überflüssig.

Es kostete sowohl mir wie dem Lieutenant ziemliche Mühe, bei diesem scheußlichen Anblick unsere Ruhe zu bewahren, und doch war dies entschieden nothwendig, wenn wir uns nicht in Unannehmlichkeiten verwickeln wollten; directe Gefahr bestand zwar für uns durchaus nicht, da wir selbst im ärgsten Fall mit unsern dreißig Bajonneten das ganze Kampong in Respect halten konnten, doch gehörte es zu den strengsten Instructionen des Patrouille-Commandanten, nicht nur jeden Conflict zu vermeiden, sondern durch möglichstes Zuvorkommen der Bevölkerung Vertrauen einzuflößen. Obgleich wir uns, wie gesagt, bemühten, durch keinerlei äußerliche Zeichen unsern Abscheu zu verrathen, so hatte unser Gastherr doch Lunte gerochen. Mit dem harmlosesten Gesichte der Welt kam dieser Biedermann auf uns zu, sich keineswegs wegen des Geschehenen entschuldigend, sondern nur den Schwerpunkt darauf legend, daß es keine orang blanda (weiße Menschen) seien, deren Fleisch er mit den Seinigen sich heute habe gut schmecken lassen. Ein gewisser wehmüthiger Zug, welcher dabei sein Gesicht durchzuckte, schien mich zu der Annahme zu berechtigen, daß ihm der Genuß von orang blanda keineswegs fremd sei, daß er im Gegentheil sehr gut den Unterschied zu würdigen wisse, welcher zwischen einem zähen Eingeborenen und einem saftigen Europäer besteht. Wie dem auch sei – wir setzten ein möglichst diplomatisches Gesicht auf und thaten, als ob uns die ganze Geschichte sehr gleichgültig sei; ändern konnten wir doch nichts daran.

Die Vorbereitungen zum Tanz waren inzwischen so weit gediehen, daß mit dem Beginn nur auf uns gewartet wurde; nachdem wir unsere Plätze wieder eingenommen hatten, klatschte der Häuptling in die Hände; Gamelang und Gong-Gong eröffneten ihr ohrenbetäubendes Concert, und drei Bataksche Schöne, den nackten Oberkörper reichlich mit weißer und gelber Farbe bemalt, mit Ringen und Goldplättchen um Hals, Arme und Beine, begannen laut singend zu tanzen.

Bei allen Völkern des indischen Archipels bildet der Tanz den Glanzpunkt jedes Festes, nicht daß sich Jedermann daran betheiligte, nein, nur das Sehen der rhythmischen Bewegung und der begleitende Vortrag alter Heldengesänge, wodurch Auge und Ohr der Anwesenden gleich angenehm beschäftigt wird, gewährt den Reiz; die Tänzerinnen stehen gewöhnlich außerhalb der sogenannten Gesellschaft, und das Verhältniß ist genau dasselbe, wie es früher in Europa zwischen wandernden Komödianten und einer ehrenwerthen Bürgerfamilie bestand.

Schade nur, daß für uns Europäer der Wortlaut des Gesanges vollständig unverständlich blieb; der malayischen Sprache, welche überall im indischen Archipel neben der gewöhnlichen Volkssprache Bürgerrecht hat, waren wir zwar vollkommen mächtig, der Vortrag wurde jedoch in einem Idiom gehalten, welches vielleicht vor vielen Hunderten von Jahren bei den alten Batakern gebräuchlich und uns deshalb unbekannt war. Auf eine Verdolmetschung durch unsern Gastherrn war nicht zu rechnen, da derselbe so vollständig durch den Gesang eingenommen schien, daß er für nichts Anderes Auge und Ohr harte; unser Genuß war deshalb auch nicht bedeutend, und nach einer verabschiedenden Verbeugung gegen die Festgeber, welche höflich erwidert wurde, begaben wir uns in die bereit gehaltenen Gemächer, wo wir, beschützt durch eine Schildwache, bald in ruhigen Schlaf versanken.

Der andere Morgen fand uns frisch und munter, bereit, den Rückweg anzutreten; das Stammeshaupt hatte die Einladung nach Simboga angenommen, und wir, auf ein angebotenes Frühstück einstimmig verzichtend, begannen unsern Marsch nicht ohne das Gefühl einer gewissen Dankbarkeit gegen die Vorsehung, welche uns so glücklich vor dem Genuß eines Products Batakscher Kochkunst bewahrt hatte. Wir passirten diesen und die darauf folgenden Tage noch mehrere Kampongs, ohne jedoch von der angebotenen Gastfreundschaft Gebrauch zu machen; der Anblick großer Kessel auf Feuerherden war genügend, um uns einen gelinden Grusel einzujagen, um so mehr, als der Sergeant ein gewisses Vergnügen daran fand, durch Vermuthungen, welche höchst wahrscheinlich der Wahrheit ziemlich nahe kamen, die Erinnerungen an unser Nachtquartier nicht einschlafen zu lassen. Endlich bekamen wir am Abend des siebenten Marschtages Simboga wieder zu Gesicht; ein flinker Marsch brachte uns dahin, und inmitten der befreundeten Officiere erzählten wir unsere Abenteuer. Bald nachher sagte ich Simboga und den fatalen Batakers Lebewohl, um mein Standquartier auf Java zu nehmen.

R. K.




Aus dem Teutoburger Walde.


Wenn man, dem Laufe der Weser aufwärts folgend, durch die Porta Westphalica in das Gebiet des Wesergebirges eintritt, so wird das Auge von einem Gebirgszuge gefesselt, welcher sich in malerischen kräftigen Formen am südlichen Horizonte emporhebt. Auf einem seiner höchsten Bergrücken bemerkt man deutlich eine Figur, die sich scharf am Himmel abzeichnet: das Hermanns-Denkmal, das Wahrzeichen des Teutoburger Waldes.

Gewiß ist kein deutsches Gebirge so wenig gekannt und bisher so wenig besucht worden, wie gerade der Teutoburger Wald; es mag dies seinen Grund wesentlich darin haben, daß er abseits der großen Heerstraßen liegt, welche die Touristen zu wandern pflegen, denn an romantischer, ganz eigenartiger Schönheit steht er den anderen deutschen Gebirgen durchaus nicht nach – dagegen überragt er sie alle weit in einer Hinsicht: in der historischen Bedeutung, in jenem gesteigerten Interesse, mit welchem gewaltige Ereignisse der Geschichte eine Gegend zu verklären vermögen.

Denn gerade die gegen die Romanen gerichteten Kämpfe unseres Jahrhunderts haben es unserem Bewußtsein nahe gerückt, daß die Varus-Schlacht im Teutoburger Walde die Basis für

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 490. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_490.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)