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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

von ehrloser Gesinnung zeugenden Verbrechens, insbesondere „wegen Meineids, Raubes, Diebstahls oder Betruges verurtheilt worden“, und die das Gewerbe „zur Gefährdung der öffentlichen Sicherheit benutzen könnten.“ Wander beschwerte sich bei der Regierung, die aber nach acht Monaten dem Hirschberger Landrath Recht gab. Trotz dieser Verfügung betrieb Wander, der sich in seinem Rechte wußte, das Geschäft weiter. Mehrere gegen ihn eingeleiteten Untersuchungen „wegen unbefugten Gewerbebetriebes“ blieben erfolglos, und nach drei Jahren erlebte er die Genugthuung, daß seine Frau doch den Berechtigungsschein erhielt.

Inzwischen hatte er alle ihm möglichen Schritte gethan, um für die erlittene Behandlung auf dem gesetzlichen Wege Genugthuung zu erlangen. Vom Ministerium wurde er abgewiesen. Das Abgeordnetenhaus ging über seine Petition, die er alljährlich erneuerte, zur Tagesordnung über. Erst 1859 kam, Dank der Unterstützung Diesterweg’s, seine Sache zur Verhandlung. Das Abgeordnetenhaus erklärte das ganze Verfahren gegen Wander für ungesetzlich, aber über dessen Entschädigungsansprüche beschloß es abermals zur Tagesordnung überzugehen.

Seitdem lebte Wander still daheim, in Hermsdorf und seit 1874 in Quirl bei Schmiedeberg. Seine Hauptthätigkeit widmete er seinem Riesenwerke, dem bei Brockhaus erscheinenden „Deutschen Sprichwörterlexikon“. Im Jahre 1862 erschienen die ersten Lieferungen des Werkes, das jetzt in fünf sehr starken Bänden bis auf die Nachträge vollendet vorliegt. Es enthält gegen eine Viertelmillion Sprüchwörter. Sicherlich wird dieses Werk, das außer Grimm’s „Wörterbuch“ in der deutschen Literatur wohl kaum seines Gleichen hat, Wander’s Namen auch der späten Nachwelt übermitteln. Neben dieser wissenschaftlichen Arbeit gab Wander seit mehreren Jahren den „Schmiedeberger Sprecher“, ein Volksblatt, heraus, das seiner ganzen Anlage nach und besonders seiner kräftigen und gemeinverständlichen Schreibweise wegen ein Muster seiner Art genannt zu werden verdiente.

Leider sollte der alte Kämpfer und „Pflüger mit dem Geiste“ die Vollendung des Drucks der Nachträge seines großen Werks nicht erleben. Während wir uns im Stillen darauf freuten, den wettergrauen Einsiedler von Quirl mit diesem Blatt der „Gartenlaube“ zu überraschen, ist er rasch, ohne jeden Vorboten der Krankheit, von dannen gegangen. Ein Herzschlag machte am 4. Juni seinem Leben ein Ende. Wir brauchen an seinem Grabe nicht zu verschweigen, daß er im Anstürmen gegen die Burgen des Zopfthums und der Thorheit manchmal etwas mehr einriß, als gerade nöthig war, daß er in der Kampfeshitze auch Dem oder Jenem einen Streich versetzte, den ein Anderer bei ruhiger Ueberlegung hätte laufen lassen: anzuerkennen bleibt aber, daß das treibende Element seines Kämpfens und Streitens niemals ein subjectives Vorurtheil, sondern lediglich der Wunsch gewesen ist, durch Volksbildung die Volksfreiheit zu fördern. Dies ist wohl auch der Grund, warum Wander nicht, wie mancher Andere, dem das Sturmjahr 1848 eine Wunde geschlagen, sich mürrisch in den Schmollwinkel zurückzog oder vom sicheren Hinterhalt aus Giftpfeile gegen das neue Reich schleuderte, sondern daß er, allen alten Groll vergessend, voll und ganz zu Kaiser und Reich stand. Entsprach auch dieses Reich noch lange nicht seinem Ideale, jenem Reich, „in dem die Wahrheit frei und die Freiheit wahr ist“, und war er darum weit entfernt davon, in die Lobhudeleien und in den nationalen Cultus gewisser Optimisten und Genügsamen einzustimmen, so war ihm doch das neue Reich der Grundstein, auf dem allein sich das „Vaterland der Zukunft“ erheben kann, und deshalb war er auch in seinem engen Kreise bemüht, diese Errungenschaft der Neuzeit gegen alle Feinde von rechts oder links zu vertheidigen.

Man macht dem gegenwärtigen Geschlechte nicht selten den Vorwurf, daß es ihm an unbeugsamen Charakteren mangele und daß man über Recht und Freiheit zwar viel theoretisire, dabei aber den Kampf scheue, wenn es darauf ankomme, diese Güter zu vertheidigen. Vielleicht war es darum nicht überflüssig, unserer Zeit wieder einmal das Lebensbild eines ungebeugten Kämpfers für Recht und Freiheit vom alten Schlage vor die Augen zu führen.




Klytia.
Von Hermann Oelschläger.


Eine graue sich rasch fortbewegende Wolkenfläche bedeckte weithin den ganzen Himmel, und die stolze Kette von Bergen, deren Riesenwand in langer Linie die bairische Hochebene begrenzt, lag mit ihren ungeheueren Schneefeldern und schwarzblauen Felsenmassen dem Auge so nahe, daß sie in wenigen Stunden erreichbar schien. Vereinzelte Windstöße, feucht und warm, bliesen über die weite Ebene, deren Schneehülle, als ob sie das Unheil ahne, von dem sie bedroht war, da und dort schon sachte in den Boden zu sickern und zu rieseln begann, und die Isar wälzte ihre reißenden schmutziggelben Fluthen mit vermehrtem Ungestüm daher. Bald stürzte sich auch der Orkan brausend mit voller Wucht von dem Kamme des Gebirges in die Ebene, brach die Eisdecke der Seen und Bäche, fegte in den rauschenden Wäldern die todten Blätter von den Bäumen und warf unter endlosen Regengüssen die morschen Stämme und mürben Zweige knatternd auf den versumpften Weg. Es war, wie wenn die Natur zerstörend gegen sich selbst wüthe. Aber in ungeheuerem Kampfe vernichtete und schied sie nur aus, was nicht mehr werth war, den kommenden Frühling zu schauen, und was nicht mehr gesunde Kraft in sich hatte, ihn mit schwellenden Blüthen und würzigen Trieben zu begrüßen.

Und dann kam der Frühling selbst, der Frühling mit all seinem jungen Wiesengrün, mit seinen bunten Blumen, mit seinem zarten Blätterlaub, mit seiner herrlichen Sonne, mit seiner Liebe und – mit seinem Trieb zum Wandern.

Aber nicht Allen, die wohl ihrer Sehnsucht nach rauschenden Baumhallen und schmetterndem Vogelsang, Tannenduft und Waldeinsamkeit Genüge thun möchten, wird es wirklich so gut, aus dem und jenem Grunde nicht, und wer nicht anders kann, sucht dann wenigstens der quetschenden Enge der Straßen zu entgehen, die ihn viele trostlose Monde lang eingeschlossen hat wie ein Gefängniß, in welchem der Winter Kerkermeister war, und flüchtet hinaus in die weitläufigeren Vorstädte, wo die Straßen breiter, die busch- und rasenbesetzten Plätze häufiger sind, wo Luft und Sonne freieren Eintritt in die Räume der Menschen haben und wo vielleicht sogar aus geringerer Ferne ein Stückchen Wald oder Feld in die äußerste Häuserzeile hereinblickt.

Dann gilt es freilich ein neues Nest zu suchen, in welchem man auch hausen kann, und als ich das letzte Mal mich in der Lage sah, nach einer solchen Villeggiatur in der Vorstadt Umschau zu halten, weil ich eine andere nicht ermöglichen konnte, da begegnete mir eine seltsame Geschichte, die ich hier erzählen will.

Die Frühlingsstürme, die über die Hochebene hereingebraust waren, hatten mich eines schönen Tages aus dem finsteren Häuserwirrwarr der innern Stadt bis in eine Straße hinausgeweht, die sich ziemlich am nördlichen Ende der Stadt in langer Linie hinzieht und zuletzt, wenigstens damals, in die freien Felder und Wiesen verlief. Gerade das aber war so sehr nach meinem Geschmack, daß ich nun mit größtem Behagen in der ziemlich menschenstillen Straße dahinschlenderte, die regenfeuchten Miethzettel an den Thoren der Häuser studirend und diese selbst mit prüfendem Auge musternd. Leider boten die wenigsten Häuser das, was ich suchte. In den ungeheueren Casernen der Häuserspeculanten zu wohnen fand ich widrig, und die paar kleinen niedlichen Häuser, die an der Straße lagen, vermietheten keine Zimmer.

Schon ziemlich mißmuthig, gelangte ich an das äußerste Ende der Straße. Dasselbe ward rechts durch einen außerordentlich großen, von der Bauwuth noch verschont gebliebenen Wiesenplatz gebildet, dem gegenüber links ein kleines und ein großes Haus standen. An diese Häuser schloß sich an der nämlichen Seite ein Zimmermannsplatz, der mit einem alten schwarzen Lattenzaun eingefaßt war; den Schluß bildete ebenfalls eine kleine Wiese, die nur von runden, schwer auf morschen Pfählen ruhenden Balken, wie von dickbäuchigen Schlangen, eingerahmt war, und von hier führten vielverschlungene Pfade in’s Freie.

Das große Haus hatte, so stattlich seine Steinmasse war,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 460. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_460.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)