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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879)

würden Schiffe bequem dort angelangen, ihre Fracht abholen, den Arabern der Wüste deren Bedürfnisse zuführen können. Aber noch mehr! Jetzt regnet es fast niemals in der Sahara. Das Binnenmeer würde in diesen heißen Erdstrichen starke Ausdünstungen erzeugen und durch die Wolkenbildung die Regenmenge vermehren. Wasser aber allein ist es, was dem mit guter Fruchterde bedeckten Theile der Wüste fehlt, um sie urbar zu machen, sie mit Palmen, Oelbäumen, Obst und Getreide zu bepflanzen. Vor etwa zwei Jahrtausenden haben ausgedehnte Fruchtgärten den jetzt todtliegenden Boden geschmückt.

Das sind die Gesichtspunkte, von denen die französischen Pläne ausgehen. Die Entwürfe liegen fertig da; sie waren bereits auf der letzten Pariser Weltausstellung veröffentlicht. Mit ihrer Ausführung würde Frankreichs Herrschaft in Afrika nach Süden hin nicht mehr im Sande verlaufen, sondern sich dort befestigen und ausdehnen; sie würden für die wirtschaftliche Hebung des Landes gute Früchte tragen. Eins liegt nur im Wege – Tunis.

Was man als die tunesische Frage bezeichnet, der Streit und die Gegnerschaft zwischen Frankreich und der Regentschaft des Bey, ist eigentlich zurückzuführen auf den Umstand, daß der Weg, den die Wasserarbeiten nehmen müssen, um vom Mittelmeer in die Wüste zu gelangen, vollständig durch tunesisches Gebiet führt. Natürlich möchte man nicht gern viele Millionen Franken in fremden Grund und Boden stecken. Deshalb versucht man an kleinen Vorspielen die Widerstandsfähigkeit des Bey und seiner Regierung, prüft, ob es bald möglich und angänglich sein werde, die Hand über das Besitzthum des Pascha von Tunis auszustrecken, wie man dies vor 50 Jahren über das Land des Dey von Algier gethan hat. Die Klagen eines französischen Privatmannes mußten da zu willkommenem Anhalte dienen. Wie alle Welt in Tunis erzählt, hatte dieser, ein Graf von Sancy, von der tunesischen Regierung Concessionen für ausgedehnte Weideländereien erhalten. Er durfte diese zu eigenem Nutzen verwerthen und übernahm nur die Verpflichtung, fremde, bessere Rindviehracen einzuführen, einen guten Viehstand zu erhalten und zu züchten, um so als Entgelt für jene Bewilligung zur Hebung und Veredelung der tunesischen Viehzucht beizutragen. Herr von Sancy soll aber, nach den Mittheilungen meiner Gewährsmänner in Tunis, sich um die eingegangenen Verpflichtungen wenig gekümmert, soll gar kein Vieh gehalten, sondern die ihm zugewiesenen Ländereien sonst zu seinem Vortheile verwendet haben. Wenn die Regierung, der dies zu Ohren gekommen, den Stand der Dinge hat untersuchen wollen, mußten gefällige Nachbarn dem französischen Grafen ihr Vieh borgen, um seine Weiden damit aufputzen zu können. Das war an’s Tageslicht gekommen; die Regierung hatte darauf dem Herrn von Sancy die Landbewilligungen entzogen. Darob entbrannte der Streit, der schließlich eine über den ersten Anlaß weit hinausgehende Ausdehnung annahm und zu einem politischen, fast zu einem kriegerischen wurde. Frankreich nahm sich seines Bürgers und der Ansprüche desselben an und zwang die schwache, zu jedem Widerstande wie zur Behauptung ihres Rechts und ihrer Würde gänzlich unfähige Regierung des Bey zum Nachgeben: Herr von Sancy behielt seine Ländereien; der Bey zog mit Aufgabe seines Rechtsspruches und seiner landesherrlichen Würde noch einmal den Kopf aus der Schlinge. Alle Welt im Lande hält diese beigelegte Verwickelung nur für den Vorläufer anderer Streitfälle. Die Franzosen meinen freilich höchst naiv, daß Frankreich durch die diesmal bethätigte Friedensliebe genügend bekundet habe, es denke nicht an den Besitz von Tunis. Sonst hätte es den Streit vertiefen, sofort marschiren, das Land besetzen können. So leicht und so schnell mag das nicht gegangen sein. Man hat vorläufig geprüft und erfahren, daß Tunis mit seinen Hülfsmitteln keinen ernsthaften Widerstand zu leisten vermag. Erst muß nur der Plan, das Land zu durchstechen, in der Wüste ein Binnenmeer mit französischen Küsten zu bilden, festgestellt und genehmigt sein, dann wird das Uebrige sich bei nächstem Anlaß schon von selbst finden. Dies ist der Inhalt und Hintergedanke der tunesischen Frage, die im vergangenen Jahre bald nach dem Congresse Europa in Bewegung brachte, Vielleicht hat Frankreich auf diesem Congresse schon die Genehmigung erhalten, in Afrika Entschädigung zu nehmen für seine uneigennützige Haltung im Rathe der Großmächte.

Die Welt dürfte sich übrigens darob nicht grämen. Denn zunächst würde ein theilweise verödetes, zu schwer zugängliches Land, die Wüste Sahara, dem Verkehre, der Cultur zugänglich gemacht und in eine Reihe paradiesischer Fruchtgärten umgewandelt werden. Dann aber muß man das heutige Tunis, seine Zustände, sein Leben, seine Willkürherrschaft ansehen, sie mit den geordneten Verhältnissen Algiers vergleichen, um ohne jedes Bedauern das Verschwinden dieses einstigen Raubstaates sich vorstellen zu können.

Nicht auf dem beschwerlichen, zeitraubenden Wege durch die Wüste, sondern auf dem zwar weiteren, aber ungleich bequemeren zu Wasser, suchten wir, eine kleine Gesellschaft guter Freunde und schnell befreundeter Reisegefährten, von Algier her Tunis auf.

Die Küstenlandschaft ist von großartiger, hochromantischer Schönheit. Stundenlang fährt der Dampfer einen tief in’s Land einschneidenden Golf hinauf. Zur Rechten springt in dieses dunkelblaue Meergewässer ein felsiges Vorgebirge weit hinaus, umgeben von einer kleinen Sandebene. Auf diesem Vorsprunge hat einst, rings von Wasser umspült, Karthago gelegen, die Nebenbuhlerin des alten Rom, die Beherrscherin des Meeres, der Sitz einer Macht, die in langen Kämpfen mit Rom um die Herrschaft der alten Welt gerungen hat, endlich von diesem bezwungen und völlig zerstört worden ist. Von dem alten Karthago sind nicht einmal mehr kenntliche Ruinen vorhanden. Sein Burgfelsen, vom Meere umbrandet, bildet aber einen malerischen Schmuck der Landschaft. Höhere, wildere Gebirge erheben sich zur anderen Seite des Golfes von Tunis. Ihre herrlich gezeichneten Umrisse, ihre Riffe und Schluchten, ihre Kämme und Schroffen spiegeln sich in dem ruhigen Wasser, das nur an dem Fuß des Gebirges sich zu leichten Schaumflocken kräuselt.

Wir legen an, mitten in diesem Golfe, und gelangen bald in die kleine Hafenstadt Goletta. Hier blickt der ganze Jammer eines verkommenen und verlumpten morgenländischen Despotenstaats uns sofort überall entgegen. Man muß sich vergegenwärtigen, was früher hier gewesen, um voll zu empfinden, was jetzt daraus geworden ist. Die Galeeren der Seeräuberfürsten waren die Schrecken der Meere. Die kühnen arabischen Seefahrer fürchteten sich nicht vor der bewaffneten Macht der großen europäischen Staaten. Mit wilder Lust und frevler Heldenkühnheit zogen sie auf Beute, ihrer barbarischen Raubgier widerstand nichts; mit Schätzen beladen, mit weggeschleppten Weibern, mit gefesselten Christensclaven ruderten sie heim, lebten in wüster Ueppigkeit und umgaben sich mit einer Pracht, wie sie uns arabische Märchen schildern. Feenhafte Paläste mit kühlen Vorhöfen, Springbrunnen, zauberischen Gärten, Sclavenmärkte, auf denen schöne Frauen für den Harem der Großen, Männer für Sclavendienste feilgeboten wurden, verschwenderische Pracht, zügellose Ueppigkeit meinen wir hier überall zu finden, und an der Spitze des Seeräuberstaates einen allmächtigen Herrscher, der Alle in ihren Lüsten und Leidenschaften überbietet.

Dagegen sticht die zwar malerische und eigenthümliche Wirklichkeit scharf ab. Statt der Galeeren, der Flotten, welche die bedeutendste Hafenbucht der alten Welt einst gefüllt haben, sehen wir einige moosige, verfaulte Wracks halb versunken, denn die besseren Schiffe hat der Bey, um seinen Aufwand zu bestreiten, um wenigstens eine Scheinpracht entfalten zu können, längst verkauft. Der Verschwender steht jetzt unter der Controle eines europäischen Finanzausschusses. Seine Heeresmacht ist zusammengeschmolzen auf eine Hand voll Soldaten, traurige alte Kerle, die am Hafen auf Wache stehen, auf den Gassen umherlungern. Die verschossenen Kleider hängen ihnen in Fetzen um die Glieder; ihre Füße haben nie einen Strumpf oder Schuh gekannt. Die Jammergestalten müssen zudem ihren Unterhalt selbst erwerben. Sie legen, auf Posten stehend, das Gewehr zur Seite, ziehen lange Strickstrümpfe hervor und stricken emsig, um wenigstens täglich einige Kupfermünzen zu verdienen. Andere ernähren sich damit, daß sie von Binsen die Körbe flechten, in denen Datteln und Feigen verschickt werden. Von militärischer Zucht ist da keine Rede. Sie belügen sich mit einander, reißen sich die Bissen vom Munde, die ihnen etwa zufallen, und halten beste Cameradschaft mit den in Ketten geschlossenen Gefangenen, die den werthvollsten Hofstaat des Bey ausmachen.

Auf diese Gefangenen hält der Bey große Stücke. Sie sind die beredtesten Zeugen seiner Herrschermacht. Wo er auch im Lande umherziehen, wo er immer seine Residenz aufschlagen möge, immer müssen diese armen in Eisen gelegten Sträflinge in seinem Gefolge sich befinden. Große Verbrecher sind sie selten,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1879). Leipzig: Ernst Keil, 1879, Seite 450. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1879)_450.jpg&oldid=- (Version vom 21.5.2018)